7.01 - Sehnsucht hinter Masken von Nadia

7.01 - Sehnsucht hinter Masken von Nadia

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Story Bemerkung:

Co-Autoren waren Anna-Lena und Rachel (leider habe ich keine funktionierenden Mail-Addys mehr von den beiden)
»Heeey, Amy ... guten Morgen!« Mit einem Lächeln auf den Lippen hob Jack das kleine Mädchen aus dem Gitterbett, drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange und nahm sie auf die Arme.

Seit Jens Tod waren inzwischen sechs Wochen vergangen. Sechs Wochen in denen kein Tag vergangen war, an dem er nicht an sie denken musste. Nicht zuletzt deshalb, weil er nun ihre Tochter, die Jen so ähnlichsah, dass es ihn an manchen Tagen schmerzte, das kleine Mädchen lächeln zu sehen, wie sein eigenes Kind aufzog.

Er vermisste Jens Lächeln, ihren unvergleichlichen Humor – schlicht ihre Nähe. Es war als hätte sie ein riesiges Loch in seinem Leben und in seinem Herzen hinterlassen. Jeden Tag hatte er das Gefühl, dass er nicht mehr vollständig war. Und immer noch weinte er sich nachts in den Schlaf, obgleich er am Tag den perfekten Vater, Hausmann, Geliebten, Freund und Lehrer mimte. In seinem Innern war er nichts weiter als ein Mann, der seine beste Freundin und seine Seelenverwandte verloren hatte.

Amy erwiderte sein Lächeln nicht, sah ihn lediglich aus verweinten, geröteten Augen an. »Du hast Hunger, mein Engel, hab ich Recht? Ich habe dein Frühstück schon fertig.« Noch während er ihr von dem Milchbrei erzählte, den vorbereitet hatte, ging er mit Amy in die Küche, die im Erdgeschoss lag, und setzte sie dort in den Hochstuhl. »Sieh mal ... das sieht doch lecker aus, hm?« Er nahm einen Löffel voll Brei, pustete vorsorglich und hielt ihn ihr entgegen. Ihre Augen wurden groß und dann öffnete sie mit einem Lächeln den Mund.

Jack fütterte sie und konnte nicht anders als Jen in ihr zu sehen. Er sah Amy an, sah ihr blondes Haar, ihre Augen, ja selbst ihren Mund ... Einfach alles erinnerte ihn an die Frau, die so viele Jahre seine beste Freundin gewesen war. Der Mensch, dem er mehr als sonst jemandem vertraut, den er mehr geliebt hatte, als irgendjemand sonst.

Selbst was er für Doug empfand, war nicht so stark. Vielleicht lag es auch daran, dass er erst knapp acht Monate mit ihm zusammen war. Jen hatte er immerhin mehr als zehn Jahre gekannt. Und es waren zwei gänzlich verschiedene Arten, jemanden zu lieben.

Doug war sein Geliebter, Jen war seine Seelenverwandte, seine Freundin und Vertraute. Sie war ihm auf einer ganz anderen Ebene verbunden gewesen.

~*~

Joey drehte sich auf ihre rechte Seite und gähnte ausgelassen, als sie in das lächelnde Gesicht Paceys blickte und erwiderte das Lächeln automatisch. Es tat so gut wieder ein Bett mit ihm zu teilen, ihn um sich zu haben, ihn berühren und ansehen zu dürfen, ohne wegen irgendwas oder wem ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Es war schön endlich die alten Probleme beseitig zu haben und einfach nur zu leben. Mit ihm zusammen zu leben. Na ja, sie lebten nicht wirklich zusammen, aber sie versuchten wenigstens, sich so oft wie möglich zu sehen. Und im Augenblick beschränkte sich das so-oft-wie-möglich auf die Wochenenden.

»Du bist so wunderschön«, sagte er mit sanfter Stimme und strich ihr eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Seit wann bist du schon wach?« Sie sah ihn fragend an und stützte sich auf dem Handgelenk ab.

»Eine Weile«, lächelte Pacey und lehnte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben. »Ich liebe es dich beim Schlafen zu beobachten.«

Sie setzte in aller Verschlafenheit ihr typisches freches Grinsen auf, das er so an ihr liebte. »Ist das so?« Pacey nickte und sie nahm dies als Anlass, ihm gleich noch einen Kuss zu geben, einen der diesmal tiefer und inniger war als der vorige.

Pacey wollte gar nicht daran denken, dass er schon in wenigen Stunden wieder zurück nach Capeside fahren musste. Es kam ihm wie ein falscher Zauber vor, dass die Wochentage sich immer ewig hinzogen und die beiden Wochenendtage dafür stets wie im sprichwörtlichen Flug vergingen. »Was machen wir heute?«, fragte er und schloss sie zärtlich in die Arme.

»Keine Ahnung ...« Joey überlegte eine Weile. »Wir könnten schick essen gehen, etwas im Park spazieren ...«

»Ja, ja das könnten wir.« Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. »Ist dir schon mal aufgefallen, dass New York auch nicht aufregender ist, als Capeside.« Pacey dachte an die vielen Freunde – na ja, zumindest Jack – und die Familien, die sie hätten zusammen besuchen können. Ein Barbecue war für einen Tag wie diesen wie geschaffen, doch so was ließ sich in einer Stadt wie New York nur schwer verwirklichen. Und selbst wenn sie ihm Park grillen gehen würden, so wären sie doch ohne Freunde und Verwandte – ganz allein. Nicht, dass er nicht gern mit Joey zusammen war, aber ihm fehlten die gemeinsamen Treffen von früher. Nicht zuletzt fehlten ihm Dawson, der wieder in L.A. war, und auch Jen.

Er sehnte sich nach den Tagen unbeschwerte Jugend, wo jeder Tag ein eigenes kleines Abenteuer bereithielt, eine wichtige neue Erfahrung mit sich brachte oder schlichtweg zu wahren Achterbahnfahrten der Gefühle einlud. Er vermisste das Lachen seiner Freunde, wenn sie gemeinsam schwimmen waren, im Kino, zum Tanzen, zum Angeln ... Das alles ging hier nicht. Und genau aus diesem Grund hasste er Großstädte. Für jemanden wie ihn gab es hier keinerlei Freizeitbeschäftigung. Gut und schön waren die vielen angesagten Clubs und Restaurants, doch diese waren auch sehr unpersönlich.

In Capeside kannte man sich eben und das war es, was er an diesem kleinen Kaff so sehr schätzte. Was er schon immer daran geliebt hatte. Ganz im Gegensatz zu Joey, die es, schon so lange er sich erinnern konnte, in die Ferne gezogen hatte. Vielleicht hatte sie es aus diesem Grund auch geschafft aus Capeside hinauszukommen und er nicht. Sie waren beide lediglich ihrem Herzen gefolgt.

~*~

Das Klopfen an der Vordertür zauberte augenblicklich ein Lächeln auf Jacks Gesicht. Schnell hob er Amy aus dem Hochstuhl, wischte ihr den Mund und ging, um die Tür zu öffnen.

»Hey ihr beiden«, grüßte Doug und gab zuerst Amy ein Küsschen auf die Wange und dann Jack einen langen Kuss auf den Mund. »Ich bin ein bisschen früh dran, ich weiß, aber ich wollte nicht länger Zuhause sitzen und auf die Uhr starren.«

»Wir sind eigentlich auch fertig«, lächelte Jack und trat zur Seite, so dass Doug hereinkommen konnte. »Ich möchte Amy nur noch wickeln und umziehen, dann können wir los.«

»Wunderbar«, erwiderte Doug und schloss die Tür hinter sich, bevor er Jack nach oben folgte. »Ich habe mir überlegt, dass wir nachher zusammen bei Gale vorbeischauen könnten.«

»Bei Gale?« Jack drehte ich im Gehen kurz zu ihm um.

»Ja. Sie rief mich gestern Abend an und sagte mir, dass sie den Dachboden ausgemistet hätte und dabei auf eine Kiste mit Kleidern und einigen Spielsachen von Lillian gestoßen sei, die sie uns gerne für Amy schenken möchte.«

»Gebrauchte Kleidung, Doug? Ich weiß nicht ...« Jack legte Amy auf die Wickelkommode und wandte sich abermals um. »Lilly ist inzwischen sieben Jahre alt und die Sachen sind mit Sicherheit völlig aus der Mode.«

»Bei Kleinkindern gibt es so was wie Mode so gut wie gar nicht. Außerdem müssen wir etwas Geld sparen, nachdem ...« Doug wagte es kaum auszusprechen, was ihm durch den Kopf ging.

»Sag’ es ruhig. Nachdem Jens Beerdigung und Verlegung hierher nach Capeside so teuer war. Ich weiß, aber ich ...«

»Hey.« Doug legte ihm versöhnlich eine Hand auf die Schulter. »Wir beide verdienen nun mal nicht allzu viel und wir sollten versuchen zu sparen wo es nur geht. Zudem wäre es nicht schlecht, wenn wir das Geld, das wir zum Beispiel durch unnötigen Kleiderkauf sparen, anlegen, damit wir Amy in einigen Jahren ein Studium finanzieren können.«

Jack seufzte schwer, stimmte dann jedoch mit einem kleinen Nicken zu, während er Amys Windel wegwarf. »Du hast ja Recht. Wie immer hast du Recht.«

»Nicht immer, Jack. Aber ich bin nun mal«, er überlegte kurz, ob er es laut aussprechen sollte, entschied sich dann jedoch dafür, da sie sich dessen ohnehin schon längst bewusst waren, »fast zehn Jahre älter als du und denke dadurch vielleicht schon etwas weiter.«

»Selbst als du in meinem Alter gewesen bist, warst du vernünftiger und weitsichtiger als ich heute.« Jack verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Du bist im wahrsten Sinn meine bessere Hälfte.«

»Übertreib es nicht«, lächelte Doug, legte von hinten seine Arme um Jack und drückte ihm einen zärtlichen Kuss in den Nacken. »Wir ergänzen uns. Nichts weiter ...«

~*~

Sie stiegen, sich an den Händen haltend, aus einem der völlig überfüllten U-Bahnwaggons. Joeys Griff um Paceys Hand verstärkte sich, als sie ihn in Richtung der Rolltreppen zog. So mürrisch wie heute, hatte sie ihn schon länger nicht mehr gesehen. Und eigentlich – wenn sie es recht bedachte – hatte sie ihn so schon seit Jahren nicht mehr gesehen, nicht mehr, seit jenem Abend auf dem Schiff, als er ihr am Abend des Abschlussballes gesagt hatte, dass er unglücklich in ihrer Beziehung sei und sie daran schuld tragen würde.

Irgendetwas bedrückte ihn ganz immens und sie wollte unbedingt herausfinden was es war, bevor wieder alles in die Brüche ging. Ein Spaziergang im Central Park war jetzt genau das, was sie brauchten. Dort würden sie der Hektik der Stadt entkommen, das Gefühl haben allein zu sein, um in Ruhe reden zu können.

Pacey ließ sich bereitwillig von ihr hinauf, zurück ans Tageslicht, führen und fand sich in unmittelbarer Nähe saftigen, unberührt wirkendem Grün wieder. Der Central Park war riesig, schien inmitten der Stadt geradezu unendlich, obwohl er das natürlich nicht war. Und obwohl es nicht das erste Mal war, dass er mit Joey in den Central Park ging, so war er doch nicht weniger beeindruckt von seiner imposanten Größe.

Sie lächelte ihn an und er erwiderte es. »Ich glaube, das verliert sich nie.«

»Was meinst du?«, fragte er, während sie die 76ste Straße hinter sich ließen.

»Dieser Wow-Effekt, wenn man die überfüllten Straßen hinter sich lässt und den Park betritt. Es ist jedes Mal wie ein kleiner Urlaub, an dem man das Gefühl hat, dass die Zeit stillsteht.« Er nickte und verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln. »Ich werde nie vergessen, was für ein Gefühl es war, als ich das erste Mal hier stand und nichts als Grün sah.«

»Wann war das?«, erkundigte er sich und blickte im Gehen zu ihr hinüber.

»Als ich mit Jen hier war«, lächelte sie ein trauriges Lächeln. »Sie zwang mich, die Augen geschlossen zu halten und führte mich von der U-Bahn-Station bis hier her. Dann durfte ich meine Augen öffnen und sah den Park zum ersten Mal. Es war bei Sonnenuntergang und ich weiß noch, dass ich mit Tränen in den Augen dastand und mich sehr klein, aber auch sehr glücklich gefühlt habe. Sie sah zu mir auf, nahm mich bei der Hand und führte mich hinein.« Joey machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. »Seit damals hat sich sehr viel verändert, nur der Park ist derselbe geblieben. Und an manchen Tagen kommt es mir sogar so vor, als gingen hier immer noch dieselben Leute spazieren, wie an jenem Tag und dann kann ich sie wieder hören.«

Pacey sah die Frau an seiner Seite nur schweigend an.

»Ich komme oft hier her, wenn ich Capeside vermisse und Jen. Wenn ich das Gefühl habe, als verschlingt mich der Strudel der Veränderungen. Hier fühle ich mich wohl.«

»Das klingt aber nicht so, als seiest du wirklich glücklich in dieser Stadt, Jo.« Er hob eine Augenbraue und blieb stehen.

»Ich habe hier einen wunderbaren Job und ein geniales Apartment, Pace. Ich habe hier alles, was ich mir immer gewünscht habe.« Sie zuckte mit der Schulter. »Und doch fühle ich mich an manchen Tagen nicht so, als sei ich Zuhause.«

»Das wird so sein, weil es nicht dein Zuhause ist.« Er machte eine kleine Pause, fuhr jedoch fort ehe sie ihm widersprechen konnte. »Du leugnest es immer noch und du hast hart gekämpft, um es hinter dir zu lassen, aber Capeside ist dein wahres Zuhause. Es ist der Ort, an dem du aufgewachsen bist und die besten Jahre deines Lebens verbracht hast. Dort sind alle deine wichtigen Momente zurückgeblieben, alle bedeutsamen Erfahrungen. Deine Mutter ist dort begraben, deine Schwester lebt dort und alle verbliebenen Freunde.«

»Und du lebst dort«, fügte sie leise hinzu, während sie weiter spazieren gingen. »Aber, Pace, wie du schon sagtest, ich habe hart dafür gekämpft, aus dieser Kleinstadt zu entkommen. Gekämpft, um eine Karriere aufzubauen. Ich habe mir ein Penthouse-Apartment gemietet, für dessen Mietkosten ich in Capeside locker ein überdurchschnittlich großes Haus bekäme.«

~*~

Immer noch schlug ihm das Herz hart gegen die Rippen, als er den Wagen hinter sich ließ und den Friedhof betrat, wie an jenem Tag, als er sie hier zum ersten Mal besucht hatte. Ihre Verlegung von New York hierher hatte mehr als zehntausend Dollar gekostet, doch ihm war es das wert gewesen. Und er war auch heute noch in dem festen Glauben, dass Jen hierher zurückgewollt hätte. Dass sie hier eher ihren Frieden fand, als auf einem der riesigen New Yorker Friedhöfe. Sie hatte es verdient an den Ort zurückzukehren, an dem sie einen Großteil ihrer Jugend verbracht hatte.

Doug ging wortlos neben Jack her, trug den Strauß orange- und gelbfarbener Lilien, während Jack den Kinderwagen seiner Tochter den kleinen Hügel hinaufschob, hinter dem Jens Grab lag. Ihm zitterten die Knie und er unterdrückte das brennende Bedürfnis, schon jetzt zu weinen.

Es war als ließe der Schmerz nicht nach, obgleich ihm das so viele Menschen bei der Beerdigung und auch während der Kondolenz versprochen hatten. Er hatte dagesessen und in all die Gesichter gesehen, die so mitfühlend und doch so wenig betroffen ausgesehen hatten und hatte sich zwingen müssen, dem standzuhalten, nicht aus dem Raum zu fliehen und alles hinter sich zu lassen. Er hatte sich gefühlt wie ein Witwer, nicht wie ein Mann der seine beste Freundin zu Grabe getragen hatte. Und dieser Tag war definitiv zum bisher schlimmsten seines Lebens geworden.

Unbewusst war Jack stehen geblieben, als er auf dem Hügel stand, von wo aus er bereits auf Jens Grab hinabschauen konnte. Dougs Hand legte sich auf den unteren Teil seines Rückens und er sah ihn aus mitfühlenden, jedoch nicht bemitleidenden, stahlblauen Augen an.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Doug nach einem langen Blick in Jacks Augen.

Jack sah hinab auf das Grab. »Es wird nicht leichter, Doug. Es fällt mir immer noch so schwer da einfach runter zu gehen, ihr die Blumen aufs Grab zu stellen und mit ihr zu reden.« Er machte eine kurze Pause und zwang nur mühsam die aufkommenden Tränen zurück. »Ich kann nicht fassen, dass sie in diesem kleinen Loch liegt. Dass diese wunderschöne Frau gerade ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hätte. Dass sie ihre Tochter zurücklassen musste und nicht miterleben durfte, wie sie zu einer jungen Frau heranwachsen und eines Tages selbst eine Familie gründen wird.«

Doug legte die freie Hand auf Jacks, die beide den Griff des Kinderwagens so sehr umklammerten, dass das Weiß seiner Knöchel hervortrat. »Es ist so unfair, Doug! Sie hat es nicht verdient so jung zu sterben. Sie hatte es verdient glücklich zu sein, mehr als einer von uns es verdient hat.«

Doug nickte nur, nahm Jack in den Arm und hielt ihn in einer sanften Umarmung.

»Gott«, schluchzte Jack gegen Dougs Schulter, »ich vermisse sie so sehr.«

»Ich weiß, Liebling. Ich weiß ...«

Tief einatmend richtete Jack sich wieder auf, straffte die Schultern und machte sich daran, den Hügel hinabzugehen. Auch wenn Doug ihm oft gesagt hatte, dass er nicht wisse, wie er ihm helfen könne über diesen Verlust hinweg zu kommen, so konnte Jack sich niemand Besseren vorstellen, als ihn. Manchmal hatte er genau die richtigen Worte parat oder er schwieg. Jack hatte immer das Gefühl, dass Doug zur richtigen Zeit das Richtige zu tun wusste. Und er war ihm dankbar für all die Zeit, die er mit Mitgefühl und Verständnis für ihn dagewesen war. Dass er es noch immer war. Dass Doug verstand, warum es ihm so schwerfiel, loszulassen.

~*~

Noch immer spazierten Joey und Pacey im Central Park umher und Paceys Gesicht wurde zusehends miesepetriger. Schon seit einer halben Stunde gingen sie die Wege im Park hinauf und hinunter und waren noch immer zu keinem Ergebnis gekommen.

Obwohl er Joey nicht drängen wollte, denn er verstand sie ja auch, wollte er sie lieber bei sich in Capeside haben. Schließlich konnte man seine Bücher überall auf der Welt lesen, doch ein Restaurant konnte man nur von seinem Standort aus führen.

»Aber Joey, ich kann doch mein Restaurant nicht aus New York führen. Schließlich gibt es nach dem Wochenende, das ich in New York verbringe, schon Schwierigkeiten genug«, warf er nun ein und schaute auf die Frau an seiner Seite.

»Pacey«, seufzte sie, »ich verstehe dich ja, aber versuch' dich doch auch in mich hineinzuversetzen. Natürlich könnte ich überall anders auf der Welt arbeiten, auch in Capeside, aber ich bin nicht bereit alles aufzugeben, was ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe. Es war mein Traum aus Capeside herauszukommen und er ist wahr geworden.«

Bittend sah sie ihn mit ihren großen braunen Augen an, denen Pacey sonst immer nachgab, doch jetzt konnte er sie nicht verstehen. Auch für ihn war ein Traum wahr geworden, indem er das Restaurant eröffnet hatte. Nun hatte er sich endlich ganz allein etwas aufgebaut und konnte stolz auf sich sein. Daher brachte Pacey seine Gegenargumente vor. »Aber ich habe doch auch meinen Traum verwirklicht. Denkst du, dass ich ihn einfach aufgeben kann? Ich meine, du bist aufs College gegangen und hast dir damit schon einen Traum verwirklicht! Wann kann ich endlich mit meinen Träumen leben ohne immer auf andere Leute Rücksicht nehmen zu müssen?«

Entsetzt sah Joey Pacey an. Hatte er es wirklich so gemeint, wie sie es verstanden hatte? Machte er sie dafür verantwortlich, dass er seine Träume erst jetzt verwirklicht hatte? »Pacey, was meinst du damit? Ich kann doch nichts dafür, dass meine Träume schneller Wirklichkeit wurden als deine. Schließlich habe ich hart dafür gearbeitet!«

»Meinst du etwa, ich hätte nicht für das gearbeitet, was ich haben wollte? Aber bei mir hat es nun mal nicht gereicht. Ich bin eben nicht so hochbegabt und kann mir das alles leisten«, erwiderte Pacey aufgebracht und blieb stehen.

Auch Joey blieb stehen und so standen sie sich beide gegenüber und in ihren Augen konnte man die Wut glitzern sehen. »Ach so, jetzt bin ich schuld, dass du in der Schule nicht so gut warst. Pacey Witter, werde erwachsen. Versteck dich bitte nicht hinter deiner Schulbildung! Ich dachte aus dem Alter wären wir raus«, zischte Joey und drehte sich dann wutentbrannt um und lief in Richtung Parkausgang.

Fassungslos schaute Pacey ihr hinterher, doch gleichzeitig wusste er auch, dass er Mist gebaut hatte. Schließlich hatte sich ihre Diskussion um etwas ganz Anderes gedreht, als sie ursprünglich sollte. Eigentlich hätte es sich um ihre Wohnungssituation drehen sollen und nicht um seine Unsicherheiten.

Missmutig trat er mit seinem Fuß gegen einen Stein und sah zu, wie Joey gerade aus dem Tor ging. Noch immer waren ihre Schritte schnell und klein, was ihm zeigte, dass sie sich weiterhin aufregte. Seufzend sprach er mit sich selbst: »Tja, dass hast du nun davon. Die Frau, die du liebst, ist wütend auf dich.«

Doch sogleich beschloss er, ihr nachzugehen und es zu klären. Schließlich wollte er ihre Beziehung nicht aufs Spiel setzen, nur weil es wieder Geister der Vergangenheit gab, die nicht geklärt wurden.

~*~

Mit langsamen Schritten ging Jack die Reihen der Gräber ab und hielt seine Augen geradeaus. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, zwischen all den Gräbern zu gehen. Schließlich lagen dort überall Menschen, genauso wie Jen. Und irgendwo in Capeside oder in anderen Städten ging es Menschen genauso schlecht wie ihm, und sie konnten es wahrscheinlich auch nicht haben, zwischen den Gräbern zu gehen, da sie dann auch an ihren eigenen Schmerz erinnert wurden.

Nochmals ging er rechts und schon erreichte er das Grab von Jen.

Der Grabstein auf dem ihre Initialen, Geburtsdatum, Todesdatum und 'Geliebte Mutter und Freundin' stand, wurde von der frühen Mittagssonne angestrahlt. Die Blumen auf dem Grab sahen noch immer frisch aus, doch trotzdem brachte Jack ihr fast jeden Tag neue mit.

Genauso wie jedes Mal kniete er auch jetzt nieder und stellte die Blumen in die Vase, entfernte die etwas verwelkten Lilien und goss noch ein bisschen Wasser nach.

Schließlich sah er auf und atmete noch einmal tief durch, bevor er langsam anfing zu sprechen.

»Hallo, Jen. Da bin ich also wieder«, versuchte er wenigstens ein bisschen fröhlich zu klingen, »wie du siehst bin ich heute alleine da. Amy und Doug warten vor dem Friedhof. Die Kleine hat sich wirklich prächtig entwickelt. Mit ihren blonden Haaren wird sie dir immer ähnlicher.«

Schon wieder merkte er, wie Tränen in seine Augen stiegen und er versuchte sie wegzublinzeln. Tapfer, aber mit belegter Stimme erzählte er weiter: »Jeden Tag wächst sie ein Stück und es sieht so aus, als ob sie bald ihre ersten Zähne bekommt ... Doug hilft mir viel mit ihr und auch er scheint sie in sein Herz geschlossen zu haben, was ich sehr an ihm schätze.«

Bei dem Gedanken musste er einmal kurz lächeln, denn es stimmte was er da erzählte. Noch immer standen die Tränen in seinen Augen und er schaute zu den Bäumen hinüber, damit er nicht ihren Namen sehen musste. Schließlich, als er das Gefühl hatte, dass es wieder ging mit seinen Nerven, wandte er sich wieder dem Grabstein zu und fuhr mit seinen Fingern über ihren Namen, das Geburtsdatum und den Todestag. Erst jetzt wurde ihm wieder bewusst, wie jung sie doch gewesen war. Gerade mal fünfundzwanzig Jahre. Es war einfach zu jung um zu sterben.

Langsam liefen die Tränen seine Wangen hinunter und mit zerrissener Stimme sagte er: »Jen, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich vermisse. Vor all den anderen Leuten bin ich scheinbar stark, doch in mir sieht es ganz anders aus. Jeden Tag vermisse ich dich von neuem. Deine Freundschaft, deine Liebe und vor allem auch dein Lächeln.«

Er schluchzte auf und für einen Moment musste er sich die Hand vor den Mund halten, damit die anderen Friedhofsbesucher nicht alles mitbekamen.

»Du weißt gar nicht wie furchtbar es mit anzusehen ist, wie die anderen langsam wieder zum Alltag übergehen. Vermissen sie dich denn gar nicht? Aber zum Glück ist ja auch noch Amy da. Einerseits erinnert sie mich natürlich positiv an dich, doch andererseits schmerzt ihr Anblick mich. Ich sehe dich in ihr.«

Langsam wischte sich Jack die Tränen von den Wangen, und schaute sich nachdenklich um. Nach einiger Zeit sah er auf seine Uhr und merkte, dass er schon ungefähr eine halbe Stunde hier war und Doug und Amy immer noch vorm Friedhofseingang warteten.

Langsam erhob er sich und sagte dann zum Abschied: »Ich muss jetzt, Jen. Amy und Doug warten auf mich. Ich komme Morgen bestimmt wieder. Ich liebe dich!«

Mit diesen Worten drehte sich Jack um und verließ den Friedhof auf dem gleichen Weg, wie er ihn betreten hatte. Noch immer schwirrten ihm Gedanken im Kopf herum. Doch er musste sie jetzt erstmal vergessen und sich wieder auf Amy und Doug konzentrieren.

~*~

»Okay, dann schreibt bitte bis Morgen einen Aufsatz über die Entwicklung der Regierung«, gab Jack den Schülern noch auf, doch seine Stimme wurde durch das schellen der Glocke und das Einpacken übertönt. Völlig entnervt nahm er seine Brille ab, seufzte und packte dann seine Tasche.

Noch immer hatten sich die Schüler an der Capeside High nicht geändert und würden es wohl auch nie tun. Obwohl, er war ja genauso gewesen. Auch er hatte den zweiwöchigen Samstagsunterricht absolut nicht gemocht.

Noch immer war es für ihn schwer, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch zum Glück hatte er jetzt nur noch eine Stunde Englisch Unterricht und dazwischen noch eine Pause.

Als er nun die Gänge zum Lehrerzimmer entlangging, waren die Flure wie leergefegt.

Als er an ein paar Spinden vorbeikam, die gelb gestrichen waren, kamen die Erinnerungen wieder zurück. So ein gelber Schrank war es auch gewesen, an dem ihm Jen erzählt hatte, dass sie zur Cheerleader-Führerin gewählt worden war. Damals hatte er sich über sie lustig gemacht und schlussendlich hatte auch sie angefangen zu lachen.

Wie in Zeitlupe spielte sich die Szene nochmals vor seinen Augen ab und als er weiterging, wäre er beinahe an der Tür zum Lehrerzimmer mit Mr. Pickering zusammengestoßen. Der alte Lehrer, der auch schon zu seiner Schulzeit alt gewesen war, sah ihn an und meinte dann entschuldigend: »Oh, Verzeihung, Jack.«

Danach hielt er die Tür für Jack offen und der bedankte sich mit einem Nicken bei ihm. Als Jack sich im Zimmer umsah, merkte er, dass nur noch Mrs. Tringle, die Bibliothekarin im Raum war.

»Hallo«, grüßte er freundlich und hoffte innerlich nur, dass sie ihn in Ruhe lassen würde. Schließlich brauchte er es nicht, noch von ihr angesprochen zu werden.

Doch leider wollte ihm das Glück nicht hold sein. »Jack, Sie haben eine Menge Post vom Sekretariat bekommen. Ich sollte es Ihnen nur bestellen.«

»Danke, ich werde gleich mal nachsehen«, erwiderte Jack und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Tatsächlich lagen in seinem Fach vier Briefe. Seitdem er hier arbeitete, ließ er seine Post nun hierhin bestellen, damit er die Post in den Mittagspausen erledigen konnte und das nicht auch noch zu Hause machen musste.

»Was haben wir denn da«, sprach er mit sich selbst und öffnete einen Brief. Es war nur Werbung für ein paar Kindersachen. Auch in dem zweiten war nur Werbung für eine Bank, die einer Familie mit Kindern günstige Angebote machte. »Tja, kann ich leider nicht mit dienen«, murmelte Jack vor sich hin und öffnete nun den dritten Brief.

Als er den gelesen hatte setzte er sich erstmal aufrecht hin und schluckte hart. Die Mietrechnung für den letzten Monat. Er hatte wohl vergessen sie zu bezahlen. Genau die 1000 Dollar wie jeden Monat. Einen Moment dachte er nach, doch dann nahm er seinen letzten Kontoausdruck und tatsächlich: Es waren nur noch knapp 500 Dollar darauf. Um ganz genau zu sein 496,77 Dollar. Mit einem Seufzen ließ sich Jack in seinen Stuhl fallen und schlug seine Hand über den Mund.

Wie konnte das passiert sein? Sein Gehalt würde erst in einer Woche kommen und dann würde schon wieder eine neue Miete fällig sein.

Nun ja, dann blieb ihm und Amy wohl nicht viel mehr übrig, als umzuziehen, denn das Haus konnte er sich nicht mehr lange leisten. Schließlich würde Amy immer neue Sachen brauchen und die Kosten von Jens Verlegung nach Capeside hatte ja schließlich auch seine Ersparnisse verschlungen.
Völlig ausgelaugt schloss er kurz die Augen und versuchte sich dann daran zu erinnern, wo Doug und Amy heute hingehen wollten.

Natürlich, sie wollten zu Gale gehen, fiel es ihm dann wieder ein. Also musste er wohl noch eine Stunde mit seinen Schülern aushalten und konnte erst dann mit Doug reden. Vielleicht konnte dieser ihm helfen.

Das Klingelzeichen ertönte und Jack seufzte erneut um sich dann zu erheben.

Auf in den Kampf, dachte er sich, straffte die Schultern und ging dann zu seiner Klasse.

~*~

Völlig übermüdet nahm Andie McPhee ihre Tasche auf und steuerte auf den Ausgang des Axtor 7 zu. Gerade eben war ihre Maschine aus Amerika gelandet und nun freute sie sich schon wieder auf ihre Wohnung.

Um sie herum war Stimmengewirr zu hören und als sie den Warteraum der Flughalle erreichte, fielen sich die ersten Wartenden und Ankommenden um den Hals. Sie selbst blickte sich suchend um, denn eigentlich hatte ihr Freund Sasha sie abholen wollen. Doch von ihm war weit und breit nichts zu sehen.

Erschöpft ließ sie sich auf einen der vielen Sitze fallen und schloss die Augen. Es war wirklich ziemlich anstrengend gewesen. Nach ihrem Besuch in Capeside war sie noch nach New York geflogen, um sich mit einem ihrer Abnehmer zu treffen. Seitdem sie in Deutschland lebte und Modedesignerin war, musste sie viel herumreisen.

Eigentlich mochte sie es hier in Deutschland und die Menschen waren gar nicht so, wie es immer von den Deutschen hieß. Sie waren nicht schlechter als die Menschen in Tokyo, Rom oder New York. Nun wohnte sie in Hamburg, in einem Apartment mit einem eigenen Studio.

Es war schwer gewesen all den Leuten in Capeside wieder gegenüber zu stehen, da sie mit den meisten keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Selbst von Dawsons Fernsehserie hatte sie erst durch ein Magazin erfahren. Die Serie sollte nun auch in Deutschland ausgestrahlt werden und es war eine heftige Diskussion ausgebrochen, ob Teenager wirklich so sprachen, wie sie es in seiner Serie taten.

Dies ließ Andie einmal kurz auflachen und ein 'typisch Dawson', denken.

Auch Pacey und Joey hatte sie einmal kurz getroffen. Die beiden schienen sehr glücklich zu sein, doch irgendwie konnte der Schein ja auch trügen. Jedenfalls hoffte sie für beide das Beste.

Jack hatte sich scheinbar wieder vom Tod der Freundin erholt. Doug und er kümmerten sich ja jetzt um die kleine Amy und es schien ihnen beiden gut zu gehen, jedenfalls so gut wie es jemandem nach dem Tod eines geliebten Menschen gehen konnte.

Plötzlich schreckte Andie auf, denn jemand hatte ihr auf die Schultern geklopft. Als sie sich umdrehte blickte sie in die Augen ihre Freundes Sasha. »Hey, meine Schöne. Da bist du ja«, begrüßte er sie und beide umarmten sich.

»Schön, dass du es geschafft hast, mich doch noch abzuholen«, erwiderte Andie, denn sie wusste wie anstrengend und zeitraubend sein Beruf war.

Sasha arbeitete in einer Modellagentur, für die Andie auch schon mal ein paar Sachen entworfen hatte, aber in letzter Zeit kam es nicht mehr so oft vor.

»Tut mir leid, dass ich dich warten habe lassen«, entschuldigte er sich auch sofort, doch Andie war ihm nicht böse gewesen und so hakte sie sich bei ihm ein und beide steuerten auf den Ausgang des Flughafens zu.

»Wie war es denn in Capeside?«, erkundigte sich Sasha und nahm die Tasche von Andie.

»Ach, eigentlich war es ganz schön alle mal wieder zu sehen. Dawson war zwar nicht da, aber dafür alle anderen.«

»Und, wie geht’s dir jetzt«, erkundigte er sich, denn natürlich wusste er von Andies Vergangenheit und somit auch von ihrer Krankheit.

Mit einem Lächeln erwiderte sie: »Es ging besser als ich erwartet hatte. Natürlich war und ist es immer noch schockierend, aber nicht so wie ich zuerst gedacht habe. Außerdem war ja auch Jack da und er hätte mir auch sicher geholfen, wenn es nötig geworden wäre.«

Schnell gab Sasha ihr einen Kuss und meinte: »Trotzdem bin ich froh, dass du wieder da bist.«

~*~


»So, meine süße Maus, da sind wir«, sagte Doug und hob das lächelnde Mädchen aus dem Kinderwagen, in dem es saß. »Jetzt wollen wir mal sehen, was Tante Gale für dich hat.« Amy bei den Händen halten, damit sie selbst laufen konnte, die Wickeltasche über der Schulter, ging er langsam die Stufen hinauf, öffnete die Tür zur Veranda und steuerte auf die Haustür zu, vor der sie dann stehen blieben. Er klopfte zwei Mal und nur wenige Sekunden später wurde ihnen geöffnet.

Lilly stand strahlend in der Tür und rief über ihre Schulter: »Mom, Doug und Amy sind hier!«

»Hey Lillian«, wurde sie von Doug begrüßt. »Bist du schon wieder gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe?« Er schmunzelte und streichelte dem fast acht Jahre jungen Mädchen über das in der Sonne golden schimmernde Haar.

»Ich wachse bis ich einundzwanzig bin, Sheriff«, erwiderte das Kind und grinste naseweis, wobei ihre schönen weißen Zähne zum Vorschein kamen, die derzeit noch ein wenig zu groß in dem zierlichen Kindergesicht wirkten.

»Ist das so?« Doug zog die Brauen zusammen, doch Lilly nickte eifrig.

Im selben Augenblick kam Gale aus dem hinteren Bereich des Hauses, wo die Küche lag. Sie lächelte freundlich und nahm Doug in die Arme, während Lilly ihm Amy abnahm. »Schön, dass du mal wieder hier bist«, sagte Gale und drückte den Sheriff kurz aber fest an sich. »Wo ist Jack?«

»Er hat heute Nachmittagsunterricht.« Gale nickte und bat Doug mittels einer kleinen Handbewegung ins Haus.

»Amy und ich gehen nach oben«, sagte Lilly und nahm das kleinere Mädchen ein wenig keuchend auf den Arm, um sie die vielen Stufen ins Kinderzimmer hinauf zu tragen.

»In Ordnung, Liebes«, erwiderte Gale. »Pass aber auf, dass keine kleinen Teile herumliegen. Du weißt, dass Kleinkinder gerne alles in den Mund nehmen.«

»Ja, Mommy, das weiß ich«, sagte Lilly in einem leicht genervten Ton.

»Das sagst du ihr jedes Mal.« Doug legte Gale für eine Sekunde die rechte Hand auf sie Schulter. »Sie ist ein cleveres Kind. Du solltest mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben.«

»Oh, ich habe Vertrauen in meine Tochter, Doug«, sagte Gale während sie ins Wohnzimmer gingen. »Allerdings ist sie erst knapp acht Jahre alt und sie ist ebenso verträumt, wie Dawson es war. Das haben sie beide von Mitch.«

Bei der Erwähnung von Mitchs Namen wurde Gale wie immer etwas traurig und nachdenklich. Auch jetzt, obwohl sie wieder glücklich verheiratet war, vermisste sie die Liebe ihres Lebens. Denn genau das war Mitch gewesen. Und niemand vermochte es, diesen Platz in ihrem Herzen je wieder einzunehmen. Er war für Mitch reserviert und würde es auch bleiben.

»Wie geht es Jack?«, erkundigte sie sich und setzte sich auf die Couch neben Doug.

»Er versucht stark zu sein, doch ich glaube, dass er Jens Tod nie wirklich überwinden wird.«

»Ich kenne das nur allzu gut«, raunte Gale und zwang sich zu einem Lächeln. »Es wird ihm besser gehen, wenn etwas mehr Zeit vergangen ist.«

»Ich gebe ihm die Zeit.« Doug machte eine kurze Pause. »Nach dem Tod meines Vaters ging es mir auch nicht besonders, allerdings hatte ich meine Mom, meine Schwestern und Pacey. Dadurch kam ich, denke ich, damit relativ gut klar. Jacks einzige Familie wohnt weit weg. Andie lebt in Deutschland, ihre Eltern in Providence und Grams in New York bei ihrer Tochter. Ich meine, da hat er einfach kaum Unterstützung.«

Gale nickte. »Ja. Aber du darfst nicht vergessen, dass er dich hat. Und Amy und seine Freunde.«

»Pacey und Joey sind im Augenblick zu sehr mit sich selbst beschäftigt und Dawson ... na ja, das weißt du ja selbst.«

Erneut nickte Gale zustimmend. »Apropos Dawson. Nächstes Wochenende wird er für zwei Tage herkommen. Die zweite Staffel seiner Serie hat bald Premiere.«

Doug registrierte ein stolzes Aufleuchten in Gales Augen und große Vorfreude. Zweifellos vermisste sie ihren Sohn sehr, der auf der anderen Seite des Kontinents sein Leben führte.

»Dann scheint er ja sehr erfolgreich zu sein«, dachte Doug laut und Gale nickte neuerlich. »Jack wird sich freuen, ihn wieder zu sehen.«

Sie redeten noch eine ganze Weile über dieses und jenes bis Gale schließlich auf die Uhr sah und feststellte, dass über eine Stunde vergangen war. »Oh je, Doug. Wir sollten allmählich mal die Sachen sichten. Ich muss mich noch duschen und etwas zurechtmachen.«

»Warum hast du nicht gesagt, dass ihr ausgeht?«

»Ich hätte nicht gedacht, dass wir so lange plaudern würden«, gestand sie und legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. »Das war wirklich schön und hat mir mal wieder gut getan.«

»Mir ebenfalls«, lächelte Doug und erhob sich. »Dann lass mal sehen, was du aufgehoben hast.«

~*~

Pacey stand mit dem Rücken zur Tür und starrte aus dem Fenster als Joey die Haustür ihres Apartments leise ins Schloss fallen ließ. Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern ließ seinen Blick wissend, dass sie hinter ihm stand, weiter über die in Dunkelheit getauchte Stadt schweifen.

Joey kämpfte mit dem Gedanken, dass sie einfach zu ihm hingehen und ihn umarmen sollte, denn das war genau das, was sie jetzt brauchte. Nachdem sie stundenlang durch die Stadt geirrt war und sich darüber Gedanken gemacht hatte was am Vormittag zwischen ihr und Pacey passiert war, wurde ihr immer mehr bewusst, dass sie ihn nie verlieren wollte. Der Streit kam ihr nicht mehr so bedeutungsvoll vor, wie zu der Minute als er geschehen war. Die Wut baute sich ab und nun verstand sie auch seine Sicht. Pacey wollte sie um sich haben und das am liebsten jede Minute in seinem Leben und genau so ging es ihr auch. Aber sie wollte nicht all ihre Träume aufgeben, dass brachte sie einfach nach der ganzen harten Arbeit nicht über sich.

Sie hörte wie er Luft holte und wartete darauf, was er nun sagen würde.

»Weißt du Joey, jedes mal, wenn ich aus dem Fenster blicke, dann sehe ich die Lichter der Stadt, die in der Dunkelheit aufblitzen und dabei stelle ich mir vor, dass jemand sie extra für mich angezündet hat, für mich und für dich. Jedes Mal träumte ich davon, dass du dann zu mir kommst, dich nah neben mich stellst. Dein Haar liegt dir in der Stirn, dein Gesicht glüht. Die dunklen Augen leuchten. Ich strecke meinen Arm aus und umfasse deine Taille. Ich drücke dich enger an mich, ich halte dich fest, unsere Oberschenkel berühren sich. Eine Strähne von deinem Haar kitzelt mich am Ohr. Ich bin aufgeregt, aufgedreht und das Einzige, was ich in diesem Moment fühle, ist Glück. Ich bin so froh, dass ich diese Momente habe, dass ich sie mir nicht nur vorstellen muss.« Er machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr. »Verstehst du, ich würde am liebsten nur bei dir sein und dich nie wieder loslassen. Aber mir ist klar, dass es nicht geht. Dass uns doch Welten trennen, du hier in New York und ich in Capeside. Und manchmal sehe ich einfach nur mich und bin egoistisch. Ich will nicht einsehen, warum du nicht dein Leben meinem unterordnen kannst. Und ich weiß, dass das falsch ist ...«

Joey lächelte sanft und in diesem Moment wurde ihr wieder klar, wie sehr sie ihn liebte. Langsam ging sie auf ihn zu und doch drehte er sich immer noch nicht zu ihr um. Vorsichtig schloss sie von hinten ihre Arme um ihn und atmete den wunderbaren Geruch ein, den er ausstrahlte.

»Es tut mir leid, Pace«, meinte sie leise.

Jetzt drehte er sich in ihren Armen um und blickte zu ihr runter, in ihre Augen die er so sehr liebte. »Es braucht dir nicht leid zu tun, Jo. Wir haben beide überreagiert ... ich habe ...«

»Nein gib nicht allein dir die Schuld. Es war gemein von mir zu behaupten, dass mein Leben wichtiger ist als deins. Aber verstehst du, so sehr ich dich liebe und so gern ich dich immer um mich haben will, und das will ich wirklich, bin ich nicht bereit all das hier aufzugeben ...« Sie deutete leicht auf die Wohnung und Pacey wusste, dass sie alles hier in New York meinte. »Ich liebe dich, Pacey, wirklich von ganzen Herzen.« Sie schloss die Augen und streckte sich zu ihm auf. Langsam und ganz sanft küsste sie ihn.

»Ich liebe dich auch ...«, sagte er als sie sich wieder voneinander trennen.

»Pace, es ist nicht so, dass ich nicht irgendwann mit dir nach Capeside komme oder vielleicht kommst du zu mir nach New York, aber im Moment sollten wir es einfach so lassen wie es ist, weil keiner seine Träume aufgeben sollte. Ich will nicht, dass du unglücklich bist und ich bin mir sicher, dass willst du von mir auch nicht ... Wir sollten uns damit einfach noch etwas Zeit lassen.«

Er nickte und schloss sie enger in seine Arme.

»Okay ...«

Einen Moment standen sie noch so fest umschlossen bis Pacey sich von ihr löste, ihre Hände in seine nahm und sie sanft anlächelte. »Hat die Dame vielleicht Hunger? Ich hab was Leckeres gekocht.«

Joey lächelte. »Oh ja ... du weißt ja gar nicht, wie hungrig ich bin.«

Er zog sie hinter sich in die Küche und ließ sie sich auf einen Stuhl setzen.

»Das ist gut, denn ich hab ne Menge gekocht und fast den gesamten Inhalt deines Kühlschranks aufgebraucht.«

»Wieso das denn?«

»Stressbewältigung ... Ich koche immer, wenn es mir schlecht geht, oder wenn ich an dich denke und dich vermisse, weil mich das beruhigt und einfach glücklich macht.«

Joey lächelte, zog Pacey an seinem Hemdkragen zu sich runter und platzierte einen Kuss auf seinen Mund.

»Ich liebe dich, Pacey Witter ... und die Tatsache, dass du ein wunderbarer Koch bist.«

~*~

Als Doug klopfte, und ihm niemand öffnete, drehte er den Türknauf und ließ sich und Amy selbst ein. »Jack!«, rief er in die Dunkelheit des Hauses und knipste das Licht im Wohnzimmer an. Dort lag er, schlafend auf der kleinen Couch. Doug schüttelte leicht amüsiert den Kopf und nahm Amy aus dem Kinderwagen. »So, dann versorge ich erst mal dich«, sagte er zu Amy und holte auch die Wickeltasche hervor. Das Mädchen sah ihn nur aus großen blauen Augen an. Die Müdigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Kein Wunder, schließlich waren sie den gesamten Tag über unterwegs gewesen.

Schnell gab er der Kleinen das Abendessen und machte sie fertig fürs Bett.

Sobald Amy schließlich eingeschlafen war, ging Doug zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf den Rand der Couch. Liebevoll rüttelte er Jacks Armen, die er über der Brust verschränkt hatte, bis dieser langsam anfing zu blinzeln.

»Hey du«, flüsterte Jack als er Dougs lächelndes Gesicht vor sich sah, das zuerst verschwommen, schließlich aber immer klarer war.

»Die Sachen von Gale sind noch im Wagen. Hilfst du mir, sie reinzuholen?«

»Ist es so viel?«, erkundigte sich Jack und setzte sich mit einem tiefen Gähnen auf.

»Ja, es ist Einiges. Aber ich kann es auch allein reinholen.« Doug strich Jack eine verirrte Strähne aus der Stirn. »Du siehst erschöpft aus.«

»Es geht mir gut. Es ist nur ...«

»Was?« Doug konnte seine Neugierde nur schwer unterdrücken.

»Ich habe eine Mahnung bekommen. – Wegen der Miete. Sie ist zurückgegangen.«
Doug nickte lediglich.

Jack rieb sich mit beiden Händen das müde Gesicht. »Ich werde mit Amy umziehen müssen.«

»Was zahlst du für das Strandhaus?«

»Fast eintausend Dollar«, seufzte Jack.

»Das ist verdammt teuer ...«

»Ja«, unterbrach Jack sein Gegenüber, »es ist nun mal ein Strandhaus und es ist nicht gerade klein.«

Doug sah sich in den Räumen um, so als habe er bislang noch nie auf die Größe des Hauses geachtet. Dann nickte er. »Das ist wahr, es ist wirklich sehr groß. Zu groß für nur zwei Personen«, sagte er.

»Es ist ein Familienhaus.« Jack zuckte die Achseln, stand von der Couch auf und sah sich ebenfalls, wenn auch wehmütig, um.

»Ich zahle rund fünfhundert Dollar für mein Apartment in der Stadt«, sagte Doug möglichst belanglos. »Das ist die halbe Miete.« Nun stand auch Doug auf und sah Jack unverwandt an.

Etwas in seinem Blick verunsicherte und verwirrte Jack gleichermaßen. »Worauf willst du hinaus?«, fragte Jack daher und kleine Fältchen bildeten sich in seiner Stirn.

»Was, wenn nicht du, sondern ich umziehe?« Jack erwiderte nichts, sah Doug nur verblüfft an. »Was, wenn ich hierher umzöge?«

»Du hast vor zwei Monaten noch Probleme damit gehabt, mich in der Öffentlichkeit an der Hand zu nehmen, geschweige denn zu küssen, Doug. Und nun willst du so weit gehen und mit mir zusammenziehen?« Jack vermochte es nicht, gewisse Sorgen nicht anzusprechen. Wie würde das Department reagieren, erführen die ganzen Police Officers davon, dass ihr Vorgesetzter zu seinem Liebhaber zog? Es wussten ja selbst heute noch längst nicht alle von Dougs Homosexualität. Verdammt, Doug selbst hatte sie bis vor knapp einem Jahr nicht wahrhaben wollen.

»Ich liebe dich, Jack, und ich stehe inzwischen zu unserer Beziehung«, unterbrach Doug die rasenden Gedanken des jüngeren Mannes. »Ich denke, dass es für uns alle von Vorteil wäre, zögen wir zusammen. Wir würden rund fünfhundert Dollar im Monat sparen und wir könnten uns geregelter um Amy kümmern. Ich könnte sehen, dass ich mehr Tagschichten mache, anstatt zwischen drei Schichten zu wechseln und somit könnten wir auch das Geld für die Tagesstätte sparen und Amy wäre nicht fünf Tage die Woche jeden Vormittag bei Fremden untergebracht.«

»Das hört sich so an, als denkst du schon länger darüber nach und nicht erst seit wenigen Minuten.« Jack verschränkte die Arme vor der Brust.

»Das tue ich auch. Ich denke schon seit ein paar Wochen darüber nach. Auch deshalb, weil ich es hasse, immer hierher zu fahren und mitten in der Nacht wieder zurück in mein Apartment zu gehen. Ich würde auch Sprit sparen«, grinste Doug frech.

»Du fährst mit dem Dienstwagen und diesen Sprit setzt du doch sicherlich von der Steuer ab.«

»Okay, aber was ist mit meinen anderen Argumenten? Lass mich bei dir, bei euch, wohnen, Jack. Lass uns wie eine richtige Familie das Zuhause teilen.« Doug legte Jack die Hände auf dessen muskulöse Arme und streichelte ihn dort mit den Daumen. »Was sagst du?«

»Was, wenn es nicht gut geht?«

»Darüber können wir dann nachdenken, wenn es soweit ist.«

Jack zögerte noch einige lange Augenblicke, doch dann lächelte er und sagte: »Okay, Doug. Okay.«

Kaum, dass Jack ausgesprochen hatte, zog Doug ihn glücklich in seine Arme und küsste ihn zärtlich. »Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir«, flüsterte Doug ihm ins Ohr und hielt ihn noch einige Minuten lang fest im Arm, bevor sie den Abend mit einem gemeinsamen Essen und einem Film abschlossen.


Fade to black …


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