Die Kinder Éomunds von Nadia

Die Kinder Éomunds von Nadia

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Éomer bremste sein Ross, als er die Tore Aldburgs erreichte. Er atmete tief durch. Es waren einigen Jahre verstrichen, seit er zuletzt durch diese Tore gegangen war. Stets hatten seine Eltern seine Rückkehr erwartet, nicht jedoch dieses Mal. Er war nicht mehr der Junge von einst, der zu harmlosen Abenteuern mit seinen Freunden aufbrach und allerhand Unfug anstellte. Inzwischen war er ein Marschall der Ostfold und als solcher ein respektierter Mann. Er kehrte als Herr in sein altes Zuhause zurück, das fortan, mit all seinen Bewohnern, ihm anvertraut war.

„Willkommen, Herr Éomer“, wurde er sogleich von den beiden Wachmännern an den Toren empfangen.

Er war bemüht sich die Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, die in ihm schlummerte. Der König traute ihm die Verantwortung zu, die mit diesem Posten einherging und der ungestüme, selbstsichere Teil von ihm war überzeugt, dass er der Aufgabe gewachsen war. Doch in ihm war auch immer noch der Junge, der sich seines Platzes in dieser Welt nicht ganz sicher war und der nur wieder zurück in die schützenden Arme seines Onkels wollte.

Aller Unsicherheit zum Trotz lächelte Éomer und nickte den Wachmännern zu, deren Namen er nicht kannte. Er setzte seinen Weg fort und führte sein Pferd linkerhand zu den Stallungen, die ihm noch vertraut waren. Hinter sich hörte er Stimmengewirr, das zunehmend anschwoll und als er sein Ross dem Stallmeister überließ und wieder hinaus auf die Straße trat, hatten sich scheinbar sämtliche Bewohner der Stadt versammelt. Er blickte in so viele erwartungsvolle, frohe, aber auch teils unsichere Gesichter, dass er zunächst nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Er suchte nach Vertrautheit, aber da waren nur Fremde ihm gegenüber.

„Ich bin Éomer, Éomunds Sohn“, stellte er sich den Bewohnern gegenüber vor, nachdem er einen flüchtigen Moment überlegt hatte, womit er das Eis brechen konnte. Er war sich nicht sicher, ob der Bote den Brief des Königs rechtzeitig hierher gebracht hatte, in dem stand, dass er kommen und den alten Than ablösen würde.

Die Leute verneigten sich, machten Knickse und grüßten ihn, die erwartungsvollen Blicke immer noch in den Gesichtern.

„Ich muss gestehen, dass ich keine Rede für meine Ankunft vorbereitet habe. Ich war nie ein Mann vieler Worte. Aber ich hoffe, dass mir die Stadt bald wieder so vertraut sein wird, wie sie es mir als Junge war. Und ich bin sehr glücklich darüber wieder hier zu sein.“

„Hört, hört!“, rief da eine Männerstimme aus einer der hinteren Reihen. Die Bewohner der Stadt machten der Stimme Platz und zum Vorschein kam ein junger Mann, der etwa in Éomers Alter war. „Wurde auch verdammt nochmal Zeit, dass du dich mal wieder blicken lässt. Ich dachte schon, dir liegt nichts mehr an uns.“ Der junge Mann stemmte die Hände in die Hüfte und grinste Éomer mit schalkhaftem Lächeln an.

„Folcwine?“, kam es unsicher über Éomers Lippen. Das Lächeln im Gesicht seines Gegenübers wuchs in die Breite. Und da wusste Éomer, dass er tatsächlich wieder Zuhause war. „Du hast dich ganz schön verändert!“

„Das sagst gerade du, mein Freund.“ Mit diesen Worten kamen sich die beiden jungen Männer entgegen und nahmen sich herzlich in die Arme. „Ich konnte es kaum glauben, als die Kunde uns erreichte, dass der König dich hierher zurückschickt. Wir wussten ja nicht, ob du noch lebst oder auf der Reise nach Edoras umgekommen bist.“

„Wir haben die Reise überlebt. Éowyn ebenso“, erklärte Éomer seinem alten Freund aus Kindertagen.

Folcwine legte Éomer einen Arm um die Schultern und blickte gemeinsam mit ihm zu den Bewohnern Aldburgs. „Und jetzt zeigt mal, wie sehr ihr euch auf Éomers Rückkehr gefreut habt!“

Mit einem Mal brach ein solch lauter Jubel aus, dass Éomer ganz verlegen wurde. Scheinbar war das Gerücht umgegangen, dass die Kinder Éomunds nie lebend in Edoras angekommen waren und sich womöglich ein Betrüger als neuer Herr herausstellen würde. Folcwine hatte den Leuten versichert, dass er seinen alten Freund wiedererkennen würde und er sollte Recht behalten.



Abends saßen die Freunde in der Methalle am Kamin, beide satt vom Festmahl, das zur Feier von Èomers Rückkehr aufgetischt worden war und einen Krug Met in der Hand. „Du musst morgen unbedingt meine Frau und meine Tochter kennen lernen“, sagte Folcwine.

„Du hast Frau und Kind?“ Éomer konnte sein Erstaunen darüber kaum verbergen. Folcwine war nur anderthalb Jahre älter als er selbst.

„Warum warten, wenn man die Liebe findet?“ Darauf wusste Éomer nichts zu erwidern. „Was ist mit dir? Hast du ein Mädchen in Edoras zurückgelassen?“

Das einzig bedeutende Mädchen, das es bisher in Éomers Leben gab, war seine Schwester. Hier und da eine flüchtige Begegnung war nichts im Vergleich. Die körperliche Anziehung war selten von langer Dauer gewesen. Was er für Éowyn empfand, hatte er bisher bei keiner anderen gefunden. Er wusste natürlich, wie falsch diese Gefühle waren, aber er kam nicht gegen sie an. „Nein“, erwiderte er daher. „Neben der Ausbildung war kaum Zeit für Mädchen“, log er daher.

„Und nun bist du Dritter Marschall des Königs.“ Folcwine stieß seinen Krug gegen Éomers. „Dein Vater wäre sehr stolz auf dich.“

Éomer nickte langsam und trank nachdenklich einen Schluck Met. „Was ist mit dir? Wie geht es deinen Eltern?“

„Ich habe Vaters Schmiede übernommen, nachdem er krank wurde und vor zwei Jahren starb. Mutter kümmert sich viel um Héowyn, während Maerhild ihrer täglichen Arbeit nachgeht. Sie ist eine der Näherinnen der Stadt.“

„Es tut mir leid, dass du deinen Vater verloren hast.“ Éomer legte seinem Freund eine mitfühlende Hand auf den Unterarm.

Sie schwiegen für einige Zeit, ehe Folcwine wieder das Wort ergriff. „Wie wäre es, wenn du morgen zu uns zum Essen kommst. Mutter würde dich sicher gerne wiedersehen und Maerhild will dich bestimmt kennenlernen.“

Éomer nickte lächelnd und nahm die Einladung dankend an. Seinen alten Freund wieder zu sehen erleichterte ihm die Rückkehr sehr.

~



Folcwines Familie kennenzulernen war eine Freude für Éomer. Insbesondere seinen alten Freund in der Rolle des Vaters zu erleben, ließ ihn sich der Tatsache bewusst werden, dass er selbst bisher nie einen Gedanken an eigene Kinder verschwendet hatte. Es war als würden zwei Welten aufeinandertreffen, die er sich nie zuvor in Kombination hatte vorstellen können. Da war dieser Freund, mit dem er in Kindertagen auf die Jagd nach Hasen und Füchsen gegangen war und der so viele vertraute Gefühle und Erinnerungen in ihm weckte. Und gleichzeitig war dieser Freund ein junger Mann geworden, der inzwischen selbst die Verantwortung für eine Familie trug. Éomer kam sich im Vergleich noch so unreif vor und stellte einmal mehr in Frage, ob er der Aufgabe gewachsen war, die ihm bevorstand.

Die nächsten Wochen vergingen wie auf Adlers Schwingen. Der alte Than hatte sich redliche Mühe gegeben, doch längst nicht mehr alles im Überblick gehabt. Einige der Beobachtungsposten an den Grenzgebieten mussten dringend instandgesetzt oder ausgebaut werden. Die Wachtposten brauchten Ablösungen, einige der Gehöfte waren überfallen worden, so dass die Bauern Hilfe beim Wiederaufbau benötigten.

Éomer bemerkte bei all der Arbeit und den Reisen im Umland nicht, wie die Wochen an ihm vorbeizogen. Er schrieb immer wieder in den späten Abendstunden Berichte an den König und hin und wieder auch Briefe an Éowyn, darüber hinaus blieb ihm kaum genug Zeit über anderes als seine Pflichten nachzudenken.

Wenn er sich einmal ein paar Stunden Ablenkung gönnte, dann ging er mit seinem Freund gemeinsam auf die Jagd. Allerdings schossen sie inzwischen eher Wildschweine oder Rehe, deren Felle und Fleisch der gesamten Stadt zugutekamen.

Der erste Winter in der Ostfold war recht mild, die Schneefälle nur mäßig stark. Zum Julfest vermisste Éomer seine Familie wie nie zuvor. Folcwine tat jedoch sein Bestes, um für Ablenkung zu sorgen und er ließ nichts unversucht, Éomer mit einem Mädchen nach dem anderen zu verkuppeln.

Aus Wochen wurden Monate und aus Monaten schließlich Jahre. Beinahe vier Jahre waren ins Land gestrichen, seit Éomer nach Aldburg zurückgekehrt war.

Im vergangenen Winter, der ein sehr rauer und vor allem langer gewesen war, hatte Folcwine seine Mutter verloren. Die kleine Héowyn war ebenfalls schwer erkrankt und überlebte nur knapp das hohe Fieber, das viele Menschen in Aldburg das Leben gekostet hatte. Die Briefe, die Éomer in großer Sorge nach Edoras sandte, blieben unbeantwortet. Dadurch war er hin und her gerissen zwischen seinen Verantwortung Aldburg und seiner Familie gegenüber.

Im kommenden Sommer würde Éowyn achtzehn Jahre alt werden. Éomer hoffte, dass er sie würde besuchen können. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie sie sich verändert haben mochte. Sie schrieb ihm schon seit einiger Zeit nicht mehr, was ihm großen Kummer bereitete. Doch er konnte Aldburg nicht einfach so verlassen und nach Edoras reisen, um nach dem Rechten zu sehen, so sehr er es sich auch wünschte. Und solange er nichts Gegenteiliges hörte, musste er davon ausgehen, dass er ihr gut ginge und dass sie schlichtweg genauso vielen Pflichten nachkam wie er selbst.

Eines Tages im Frühjahr ritt er zusammen mit Folcwine und Héowyn aus, die bei ihrem Vater auf dem Schoß saß und vor Freude johlte. Éomer sah zu den beiden hinüber. Der Anblick wärmte sein Herz. Nicht auszudenken, was es für Folcwine bedeutet hätte, wenn er Héowyn im Winter verloren hätte. Das kleine Mädchen war der ganze Stolz seines besten Freundes und zurecht. Mit ihren knapp vier Jahren und dem strohblonden Haar, war Héowyn eines der süßesten kleinen Mädchen, das Éomer je gesehen hatte. Er fühlte sich fast wie ein Onkel und hatte nicht weniger um ihr Leben gebangt als Folcwine und Maerhild.

Die Sonne schien warm und klar auf die herab, überall trieben Blumen aus, deren Duft vom Wind zu ihnen getragen wurde. Doch unter den angenehm süßlichen Duft mischte sich auch ein anderer, strenger Geruch und ließ Éomer alarmiert den Blick seines Freundes suchen. „Riechst du das auch?“

Folcwine nickte. „Riecht nach verbranntem Fleisch.“

„Bleibt hier, ich sehe lieber allein nach“, erwiderte Éomer darauf grimmig. Er wollte Héowyn keinesfalls in Gefahr bringen.

Folcwine gehorchte und brachte sein eigenes Ross zum Stehen, während Éomer in die Richtung davon galoppierte aus welcher der schreckliche Gestank zu ihnen drang.

Èomer ritt eilig voraus, einen von Felsen zerklüfteten Hügel hinauf, vorbei an einem dünnen Bachquell. Und dann konnte er den Ursprung des Gestanks ausmachen. Es war ein kleines Gehöft, das bis auf seine Grundmauern niedergebrannt war. Je näher er kam, desto stärker wurde der Geruch. Das Feuer war längst erloschen, nur hier und da glomm noch ein Rest Holz und kleine Rauchsäulen stiegen auf.

Nicht wissend wer hier einst gelebt und den Hof bewirtschaftet hatte, verharrte Éomer dennoch für eine Minute in Stillschweigen und gedachte der Menschen, die hier aller Wahrscheinlichkeit nach ihr Leben gelassen hatten. Das klägliche Wiehern eines fremden Pferdes drang schließlich an seine Ohren. Éomer sah sich danach um, ritt um die Ruinen des Bauernhauses herum und fand dahinter ein Grauschimmelfohlen, neben dem Kadaver einer Stute. Das Fohlen stupste vergebens den Kadaver des Muttertiers mit der Schnauze an.

„Armes Ding“, kam es Éomer über die Lippen. Das Fohlen schien noch recht jung zu sein. Ohne seine Mutter würde es wohl nicht lange überleben. Im Grunde würde es ein Akt der Gnade sein, wenn er das Fohlen gleich hier und jetzt von seinem Leid erlöste. Ein gezielter Schuss mit dem Bogen ins Herz und die Sache wäre erledigt. Éomer hatte seinen Entschluss gefasst. Er nahm einen Pfeil aus dem Köcher seines Sattels und spannte ihn auf seinen Bogen, dann setzte er zum Schuss an. Im selben Moment hob das Fohlen den Blick und schien ihm direkt in die Augen zu sehen. Éomer hielt den Blick des Tieres fest und glaubte etwas in den Augen des Fohlens zu entdecken, das seine Meinung änderte.

Als er zu Folcwine und Héowyn zurückkehrte, führte er das verwaiste Fohlen mit sich. Die beiden Männer tauschten einen vielsagenden Blick, während die kleine Héowyn etwas in ihrer kindlichen Sprache sagte und die Hand sofort begeistert nach dem abgemagerten Fohlen ausstreckte.

„Ohne seine Mutter kann es nicht überleben“, meine Folcwine. „Sieh es dir doch mal genau an.“

Éomer schüttelte nachdenklich den Kopf, betrachtete das junge Tier jedoch eingehend. „Da war etwas in seinem Blick. Ich konnte es nicht töten. Es hat noch eine Chance verdient. Immerhin hat es als einziges den Angriff auf den Hof hinter diesem Hügel dort überlebt“, erklärte Éomer und deutete mit einem Nicken hinter sich. „Es ist zäher als es den Anschein macht.“

Damit war für Éomer alles gesagt und sie machten sich auf den Rückweg nach Aldburg. Er wusste noch nicht, wie und ob es ihm gelingen würde das Fohlen zu retten, doch er war wild entschlossen es nicht aufzugeben.


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