Die Kinder Éomunds von Nadia

Die Kinder Éomunds von Nadia

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Éomer tropfte etwas von dem flüssigen Wachs auf den Brief und drückte den Siegelring seines Vaters darauf. Dieser Ring war eines der wenigen Erbstücke, die ihm geblieben waren. Die nächtliche Stille hatte etwas Beruhigendes an sich, dennoch schlug ihm das Herz wild in der Brust. Angesichts seines Vorhabens war dies nicht weiter verwunderlich.

Er schlich sich auf leisen Sohlen in das Schlafgemach seiner Schwester, wo das Feuer im Kamin nahezu heruntergebrannt war und kaum noch Wärme abgab. Rasch legte er einige frische Scheite auf und blies in die Glut, damit das Holz Feuer fing. Sobald die ersten kleinen Flammen emporzüngelten wandte Éomer sich wieder dem eigentlichen Grund seines nächtlichen Besuches zu, nämlich seiner Schwester.

Sie lag friedlich schlafend in ihrem Bett, lediglich ihr Gesicht schaute unter der dicken Bettdecke hervor. Éomer kam nicht umhin bei dem Anblick zu lächeln. Sie sah so entspannt aus, vollkommen frei von jeglichen Sorgen, dabei wusste er nur zu gut, wie stark und fordernd sie sein konnte. Dafür liebte er sie jedoch so sehr! Ihre Emotionalität war das, was sie auszeichnete, was sie so liebenswert machte.

Allerdings wusste er auch, dass er ihr nicht in die Augen sehen und sich von ihr verabschieden konnte. Seit ihre Eltern gestorben waren, hatten sie sich stets aufeinander verlassen können, sich gegenseitig den Rücken gestärkt und sich Hoffnung geschenkt. Des Königs Entscheidung war jedoch unumstößlich, Éowyn durfte ihn nicht nach Aldburg begleiten. Éomer hatte versucht, den König unter vier Augen umzustimmen, allerdings vergebens.

Und so legte Éomer den Brief, den er seiner Schwester geschrieben hatte, auf ihr Kopfkissen. Seine Hand schwebte einen gedehnten Augenblick über ihrem Haupt, ehe er sich gestattete, ein letztes Mal zärtlich das goldene Haar zu streicheln. „Leb wohl, kleine Schwester“, hauchte er kaum hörbar und verließ daraufhin eilends ihr Schlafgemach, ehe sie seine Anwesenheit doch noch bemerken und den Abschied sehr viel schwerer machen würde.

Es kam ihm vor, als würde er sein gesamtes Leben hinter sich lassen, sobald er im königlichen Stall die Zügel seines Pferdes von einem der Stallburschen entgegennahm. Er stieg auf und führte sein Pferd im Schritttempo aus Edoras heraus, welches für so viele Jahre ein Zuhause für ihn gewesen war.

Die Sonne würde in wenigen Minuten aufgehen. Der Glanz der Sterne über ihm verblasste bereits, während sich der Horizont in einem Farbverlauf von schwarz über dunkelblau bis hin zu lilafarben erstreckte. Es würde ein so wundervoller Tag werden, der viel Sonnenschein versprach. Dennoch wog Éomer das Herz schwer, als er die Stadttore in östlicher Richtung hinter sich und damit auch seine geliebte Schwester zurückließ. Er konnte nur hoffen, dass sie ihm seinen heimlichen Aufbruch verzeihen würde.

~

Die vielen Dunländer, die seine letzte Etappe Richtung Isengard säumten, versprachen nichts Gutes. Doch obschon Gríma jederzeit mit einem Angriff dieser Wilden rechnete, die Rohans Lande in der Vergangenheit immer wieder mit Raubzügen überzogen hatten, ließen sie ihn unbeschadet passieren.

Das ungute Gefühl in seiner Magengrube verstärkte sich, als er innerhalb der Mauern Isengards auf weitere Dunländer stieß, die offenbar diversen Aufgaben nachgingen und für den Zauberer zu arbeiten schienen. Ob sie allesamt unter seinem magischen Einfluss standen?

Alles in Gríma drängte zur Umkehr, doch er selbst hatte seinem König den Vorschlag unterbreitet, Rat und Hilfe des Zauberers einzuholen. Wie könnte er unverrichteter Dinge nach Edoras zurückkehren? Nein, er musste weiter. Und so nahm er all seinen Mut zusammen und ritt weiter, bis ihm einer der wilden Menschen das Pferd abnahm und ihm versicherte, sich gut darum zu kümmern. Gríma wollte seine Bedenken äußern, da er keinem Dunländer über den Weg traute, doch dazu sollte er nicht kommen.

„Ich habe dich bereits erwartet“, hallte die tiefe Stimme Sarumans von einem Balkon des Ortanc herab.

Gríma zuckte unweigerlich zusammen. Das Herz schlug ihm vor Furcht bis zum Halse. „Ich komme auf Geheiß des Königs“, erwiderte der Berater Théodens und suchte die schwarzen Mauern des riesigen Turmes nach dem Zauberer ab. Und dort, mehr als dreißig Fuß über dem Erdboden, stand Saruman auf einem Balkon und blickte auf ihn hinab. Gríma vermochte nicht auszumachen, welcher Ausdruck auf dem Gesicht des Zauberers lag, so groß war die Entfernung.

Dass der Zauberer offenbar mit ihm gerechnet hatte, war ein Umstand, den Gríma nicht hinterfragen wollte. Saruman hatte viele Kundschafter and allen erdenklichen Orten. Womöglich hatte einer von ihnen die Gemeinschaft des Prinzen von Rohan von Edoras fortreiten und in Richtung Helms Klamm ziehen gesehen.

„Tritt ein und fühle dich wie Zuhause. Ich werde in Kürze bei dir“, ließ sich Saruman vernehmen und verschwand damit im Innern des Orthanc, ohne eine Antwort abzuwarten.

Gríma verharrte noch einen Schreckensmoment, ehe sich die riesige Flügeltür am oben Ende der Stufen öffnete und eine Dunländerin ihn hereinwinkte. Sie war ganz anders gekleidet, als man es von den Dunländern kannte – weniger wild. Etwas ging hier ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu. Zögerlich folgte er der Frau und betrat den gewaltigen Turm. Als sich die Türen wieder hinter ihm schlossen, fühlte sich Gríma für einen Moment als würde er von der Dunkelheit im Innern verschlungen. Seine Augen brauchten einige Zeit, um sich an das wenige Licht der gewaltigen Innenräume zu gewöhnen.

Die Dunländerin führte ihn in einen großen Raum, in dessen Zentrum an der hinteren Wand ein prunkvoller Kamin stand, in dem ein Feuer loderte. Vor dem Kamin befand sich eine Sitzgruppe, die zur Erholung einlud. Die lange Reise von Edoras zur Pforte von Rohan bis nach Isengard hatte Gríma doch ziemlich erschöpft.

Als ihm die fremde Frau anbot sich zu setzen, überlegte er nicht lange. Und als sie ihm dann auch noch Speis und Trank reichte, entspannte Gríma sich allmählich.

„Danke, Frayá“, erklang aus dem Nichts wieder Sarumans Stimme.

Die Dunländerin verschwand daraufhin wortlos irgendwo in einer dunklen Nische und der Zauberer trat seinerseits ins Licht. Für einen Moment schien Saruman größer als Gríma ihn in Erinnerung hatte, beinahe übermenschlich groß. Dies änderte sich jedoch als sich der alte Mann in einen Sessel gegenübersetzte. Spielte Saruman mit seinem Verstand?

„Was führt die rechte Hand des Königs nach Isengard?“, kam der Zauberer ohne weitere Umschweife zur Sache. „Es ist lange her, dass ich etwas von Théoden gehört oder gesehen habe.“

Gríma sah sich unsicher in dem Raum um, als wolle er sicher gehen, dass sie nicht belauscht wurden. „König Théoden ersucht Eure Weisheit und Euren Rat, Herr.“

Der alte Zauberer gluckste tief. Gríma begriff nicht, weshalb Saruman lachte, doch zupfte ein unsicheres Lächeln auch an seinen Zügen. „Die Angriffe der Dunländer haben letzthin etwas nachgelassen“, ließ Gríma ihn wissen, „doch dafür ziehen Orkbanden mordend und plündernd durch Rohan.“

„Gewiss tun sie das“, nickte Saruman. Er wandte seinen Blick von Théodens Berater ab und betrachtete stattdessen die Spitze seines Zauberstabes genauer, als wäre sie ein Ding von außergewöhnlicher Schönheit. „Warum denkst du, ist das so?“

Grímas Blick huschte nervös durch den Raum, als würde er dort irgendwo die Antwort geschrieben sehen. „Ich hatte gehofft, Ihr wüsstet eine Antwort darauf“, gestand er schließlich kleinlaut.

„Was denkst du, weshalb die Dunländer mir ihre Treue geschworen haben, Gríma?“ Seine Stimme war ruhig, vollkommen gelassen.

Gríma wusste nicht, was er von dem Zauberer halten sollte oder von den Fragen, die er ihm stellte. Jedoch wuchs das unbestimmte Gefühl in ihm heran, dass er geradewegs in eine Falle getappt war, als er Isengard betreten hatte. Hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu, aber was konnte er schon anderes tun als sich in sein Schicksal zu fügen? „Habt Ihr ihnen Schutz angeboten? Sind Orks auch über ihre Dörfer hergefallen?“

Erneut lachte Saruman dieses tiefe, düstere Lachen, das alles andere als heiter klang.

Gríma zuckte bei dem Geräusch unweigerlich zusammen.

„Die Angriffe der Orks sind nur der Anfang“, sagte er und schien in Gedanken versunken, viele Kilometer entfernt. Er machte eine bedeutungsschwere Pause, bis er den Blick schließlich von seinem Stab löste, um Gríma in die Augen zu sehen. „Alles auf dieser Welt hat seinen Preis, Gríma.“ Der Ausdruck des Zauberers wirkte todernst. Ein eisiger Schauer lief dem Berater des Königs daraufhin über den Rücken. „Nenn mir deinen Preis.“

Er konnte nichts weiter als Saruman anzustarren. „Meinen Preis wofür, mein Herr?“, wollte Gríma verwirrt wissen. Und was meinte er damit, dass die Angriffe der Orks nur der Anfang seien? Der Anfang wovon?

„Was denkst du, was die Dunländer von mir für ihre Treue bekommen?“ Gríma schüttelte langsam den Kopf, ohne zu antworten. Saruman erhob sich schließlich und ging gemächlich vor dem großen Kamin auf und ab. Es vergingen einige lange Augenblicke, ehe der Zauberer wieder sprach. „Sie fordern die Lande zurück, die man ihnen vor Generationen geraubt und verschenkt hat.“

Gríma schluckte schwer. Bildete er es sich nur ein, oder wurde die Luft seltsam heiß und stickig in diesem Raum?

„Cirion hat die Lande dereinst an Eorl verschenkt, die ihr heute Rohan nennt“, sagte Saruman sachlich, als spräche er über das Wetter. Er sah das schwache Nicken Grímas im Augenwinkel und fuhr fort: „Jedoch war der Besitz dieser Lande damals noch umstritten. Nicht nur Cirion erhob Anspruch darauf, sondern auch die Dunländer, die zu dieser Zeit in Calenardhon lebten und von euren Vorfahren rücksichtslos bekämpft und vertrieben wurden.“

Geschichte war nie eine von Grímas Stärken gewesen. Was erwartete Saruman nun von ihm? Was sollte er daraufhin erwidern? Und dann dämmerte ihm plötzlich, was der Preis der Dunländer war. „Ihr habt ihnen Rohan versprochen“, flüsterte Gríma die Worte, die ihm das Herz erschwerten.

„Die Welt ist im Wandel“, nickte Saruman. „Die Frage ist, auf welcher Seite du am Ende zu stehen gedenkst? Im Osten erhebt sich eine neue Macht, Gríma, die größer ist als du dir in deiner schlimmsten Vorstellung ausmalen kannst.“

Eine einzelne Träne schlängelte sich über Grímas blasse Züge. Es war nicht so sehr, was Saruman sagte, sondern wie er es sagte, was ihn jeder Hoffnung beraubte, heil hier heraus zu kommen. Er musste seinem König unbedingt Bericht erstatten und ihn von Sarumans Verschwörung gegen Rohan in Kenntnis setzen. Wann hatten sie Saruman als ihren Verbündeten verloren? Weshalb verriet er die Rohirrim an die Dunländer? Was versprach er sich nur davon?

„Jeder hat seinen Preis“, wiederholte sich Saruman, ohne einen Funken Gefühl im Blick. „Ich kenne meinen Preis und den der Dunländer, doch was ist deiner? Ich kann einen Mann wie dich am Hofe Théodens gebrauchen. Du könntest mir helfen, die Dinge erheblich zu beschleunigen. Du musst mir nur sagen, was du am meisten begehrst auf dieser Welt und ich sorge dafür, dass du es erhältst.“

Sofort tauchte das Gesicht des schönsten Mädchens vor seinen Augen auf, dass er je in seinem Leben gesehen hatte. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihr jemals ein Leid zugefügt werden würde. Er würde sterben für sie, würden töten für sie … würde … Und genau in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er alles für sie und ihre Sicherheit tun würde. „Éowyn“, sprach er zärtlich ihren Namen aus.

„Éowyn? Die Nichte des Königs. So soll es sein. Éowyn soll dein sein“, versprach Saruman feierlich und trat vor Gríma, der schaudernd zu dem Zauberer aufblickte und dabei kaum Augenkontakt halten konnte. Der Zauberer lächelte, wodurch er seine verfärbten Zähne entblößte.

„Ihr darf kein Leid geschehen. Wenn Ihr mir das garantiert, bin ich bereit alles für Euch zu tun, Herr“, sagte Gríma und ging den Pakt mit dem Teufel ein.

~

Als Éowyn an diesem Morgen erwachte und den Brief ihres Bruders las, brach eine Welt für sie zusammen. Schlimm genug, dass er nicht versucht hatte den König zu überzeugen, dass sie mit nach Aldburg reisen durfte. Er hatte sich nicht einmal richtig von ihr verabschiedet und war einfach gegangen.

Sie war so enttäuscht und wütend, dass sie nicht mal weinen konnte. Außer sich vor Zorn eilte sie in die große Halle, wo der König am Tisch saß und scheinbar selenruhig sein Frühstück einnahm. „Habt Ihr davon gewusst?“, verlangte sie zu erfahren und warf Éomers Brief vor den König auf den Tisch.

Jede andere Person wäre für diesen Frevel aus der Halle geworfen worden, aber seiner Nichte ließ er ein derartiges Benehmen zähneknirschend durchgehen. Théoden wischte sich scheinbar gelassen den Traubensaft mit einer Serviette von den Lippen und sah Éowyn an, ohne den Brief eines Blickes zu würdigen. „Er wollte dir den Abschied nicht noch schwerer machen.“ Er jetzt nahm er den Brief, faltete ihn wieder sorgfältig zusammen und hielt ihn seiner Nichte hin.

„Aber …“ Éowyns Wangen waren vor Zorn gerötet, als sie den Brief wieder an sich nahm. Sie wollte sich darüber beklagen, wie unfair sie sich von den Männern in ihrem Leben behandelt fühlte, aber dazu kam sie nicht.

Der König nahm sie beim Handgelenk und sah ihr fest in die Augen. „Lasst uns allein“, sagte er zu den Bediensteten, die sich mit ihnen in der Halle befanden, ohne jedoch den Blick von Éowyn zu lösen. Sobald sie allein waren, sprach er wieder das Mädchen an. „Ich liebe dich, das weißt du. Aber ich werde nicht länger hinnehmen, dass du dir mir gegenüber derart respektlos verhältst. Insbesondere nicht vor anderen Personen. Auch dann nicht, wenn sie zur Familie gehören. Ich habe dich hier bei mir aufgenommen, damit es dir an nichts mangelt. Und dafür erwarte ich, dass du meine Entscheidungen respektierst und mir gehorchst. Éomer ist ein sehr junger Marschall, aber er ist sehr gut ausgebildet. Ich traue ihm durchaus zu, dass er die Ostfold regiert. Was er jedoch nicht gebrauchen kann, ist irgendeine Form von Ablenkung. Er braucht die absolute Gewissheit, dass du in Sicherheit bist. Du bist seine Achillesverse, seine einzige Schwachstelle. Begreifst du das?“

Tränen stiegen Éowyn in die Augen. Sie vermochte nichts darauf zu erwidern. Und so nickte sie schließlich.

Der König zog das Mädchen auf seinen Schoß. Éowyn schlang die Arme um seine kräftigen Schultern und weinte bittere Tränen in seine Halsbeuge. Er streichelte ihr in Kreisen den Rücken und begann sie zu wiegen.

„Er wird mir so sehr fehlen“, schluchzte sie.

„Ich weiß, meine Liebe. Glaube mir, das weiß ich.“ Seinen einzigen Sohn und auch seinen Ziehsohn hinaus in die Welt zu schicken, in Zeiten wie diesen, war die schwerste Entscheidung, die er je hätte fällen müssen. „Wir beide müssen jetzt zusammenhalten. Einverstanden?“

Sie nickte ihr Einverständnis und schniefte gleichzeitig an seinem Hals. „Ich werde mich von jetzt an besser benehmen.“ Als sie sich vom König löste und ihm in die Augen sah, schenkte er ihr ein Lächeln und drückte anschließend einen väterlichen Kuss auf ihre Stirn.


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