Jeremias Tiller und die Fesseln der Zeit von BlueScullyZ

Jeremias Tiller und die Fesseln der Zeit von BlueScullyZ

[Reviews - 6]   Drucker Kapitel oder Geschichte Inhaltsverzeichnis

- Schriftgröße +
»Anthonyson, Portia«, schallte der erste Name ihnen entgegen.

Aus der Reihe von Erstklässlern löste sich das braunhaarige, stämmige Mädchen. Es ließ es sich nicht nehmen, sich vor Freude strahlend vor der Schar der Schüler von Hogwarts auf den Stuhl sinken zu lassen.

Professor McGonagall setzte ihr den Hut auf den Kopf. Darüber hinaus, dass er nunmehr aus Flicken bestand, war auch die Krempe sehr alt und ausgeleiert. Das Ding rutschte dem Mädchen über die lockigen Haare bis über die Augen. Zunächst geschah nicht viel, außer, dass die Erstklässlerin ihren Kopf zur Seite wandte. Sie verzog den Mund zu einem verlegenen Lächeln, sah zu Boden und ihre Ohren liefen feuerrot an. Augenscheinlich hatte der Sprechende Hut ihr ein Kompliment gemacht, jedoch entweder so leise, dass Jeremias es nicht hatte hören können, oder er las tatsächlich ihre Gedanken.

Jeremias Herz schlug schneller. Die Vorstellung, den alten Spitzhut in seinen Kopf zu lassen, verlor immer mehr an Reiz.

»GRYFFINDOR!«, rief dieser plötzlich.

Johlender Beifall brandete links von ihnen auf, woraufhin Portia die Kopfbedeckung absetzte und glücklich aber unschlüssig dastand. Offenbar überlegte sie, ob sie ihn zurück auf den Stuhl legen oder der Lehrerin in die Hand geben sollte. Letztlich nahm Professor McGonagall ihn ihr ab und die frisch ernannte Gryffindor lief zügigen Schrittes mit vor Stolz rotglühenden Ohren zu ihren neuen Kameraden.

»Belby, Marcus«, rief die Professorin den nächsten Schüler auf. Schlagartig legte sich das Gemurmel im Saal.

Ein hagerer Junge mit dunkelblonden Locken, der bestimmt einen halben Kopf größer als Jeremias war, trat zögerlich aus der Reihe hervor. Seine Hände hatte er nervös ineinandergeschlungen und biss sich auf die Oberlippe. Auch ihm setzte die Lehrerin den Sprechenden Hut auf und auch ihm rutschte er fast bis über die Augen.

Kaum, dass seine Mundwinkel verlegen zuckten, verkündete der Hut laut: »RAVENCLAW!«

Rechts neben dem Tisch der Gryffindors erhob sich tosender Beifall. Einige der älteren Schüler standen auf, andere nickten ihrem neuen Mitglied respektvoll zu. Was auch immer der Hut zu Marcus Belby gesagt hatte, es hatte bewirkt, dass der hochgewachsene Junge es tatsächlich fertigbrachte, der strengen Professor McGonagall in die Augen zu sehen, ehe er mit erhobenem Haupt zu seinen Tisch ging.

»Bell, Katie«, ertönte die autoritäre Stimme der stellvertretenden Schulleiterin.

Das vorlaute Mädchen, mit dem Jeremias im Boot gesessen hatte, trat vor. Sie schien nicht so voller Vorfreude wie Portia zu sein, jedoch sehr viel gefasster als Marcus Belby. Ihr brauner Pferdeschwanz wippte bei jedem Schritt. Sie schaffte es, würdevoll, aber nicht arrogant zu erscheinen, als sie ihren Platz vor den Erstklässlern einnahm und den Hut aufsetzte, der wegen des Zopfes hinten sicher auflag, dafür vorn umso tiefer ins Gesicht rutschte.

Es dauerte bloß Sekundenbruchteile, bis er ihr Haus verlauten ließ. »GRYFFINDOR!«

Das Prozedere wiederholte sich. Beifall, man empfing Katie an ihrem Tisch, ehe der nächste Name verlesen wurde.

»Carmichael, Eddie.«

Den Namen trug ein großer, schlaksiger Junge, der sogar Marcus Belby überragte. Jeremias glaubte kaum, dass er erst elf war. Vermutlich hatte er vor ihm Geburtstag und war bereits zwölf. Mit seinen kurzen blonden Haaren, die er brav zur Seite gescheitelt hatte, sowie seinem ernsten Gesichtsausdruck, mochte er vielleicht auch bloß älter aussehen. Als der Hut über seine Augen sank, verzog der Erstklässler keine Miene, soweit er das erkennen konnte. Auch ihre historische Kopfbedeckung verharrte eine ganze Weile regungslos.

Jeremias' Nebenmann stöhnte genervt auf, was der Blondschopf schweigend zur Kenntnis nahm. Stattdessen beobachtete er weiter die Auswahl. Immer noch war keine Entscheidung gefallen. Während sie gespannt warteten, blieb ihm schrecklich viel Zeit, nachzudenken. Wie wäre es wohl, wenn dieser magische Hut in seinen Kopf eindrang? Es tat scheinbar nicht weh, aber konnte man sich irgendwie dagegen wehren? Dieser vermaledeite Zylinder musste ein einziges blödes Wort sagen. Mit etwas Glück ließ er sich zu einer schnellen Entscheidung bewegen.

»RAVENCLAW!«, rief der Hut urplötzlich aus und ließ Jeremias erschrocken zusammenzucken.

Ob die anderen Häuser auch noch Schüler zugeteilt bekämen? Ganz rechts sahen die Schüler am Tisch der Slytherins so aus, als stellten sie sich missmutig dieselbe Frage.

»Chang, Cho«, rief Professor McGonagall das Mädchen zu Jeremias Linken auf.

Flüchtig sah er aus den Augenwinkeln, dass sie asiatische Gesichtszüge hatte. Er war hinter ihr in die Halle eingelaufen, hatte jedoch außer ihren schwarzen Haaren nichts sehen können. Allerdings hätte er auch nicht darauf geachtet, wäre sie rückwärts vor ihm gelaufen, gestand er sich ein.

»RAVENCLAW!«

Als sich erneut einige Ravenclaws erhoben, konnte Jeremias in manchen Gesichtern so etwas wie Belustigung erkennen. Die hämischen Blicke galten allerdings nicht ihrer neuen Mitstreiterin, sondern den anderen Häusern, die bisher teilweise gänzlich leer ausgegangen waren.

Professor McGonagall fuhr unbeirrt fort. »Clay, Upton.«

Ein freundlich dreinblickender Junge mit blonden Locken ging zu dem Stuhl und setzte den Hut auf, den Cho Chang dort zurückgelassen hatte. Er rutschte ihm bis zur Nasenspitze, ehe er wenig später verkündete: »SLYTHERIN!«

Der Beifall von Rechts war mindestens so überschwänglich wie bei der Ernennung von Katie Bell oder Portia. Die zuvor so lauten Gryffindors sahen Upton Clay grimmig hinterher, während die Slytherins den Erstklässler triumphierend in ihren Reihen begrüßten.

»Dean, Pierre.«

Den kräftigen Jungen erkannte Jeremias wieder, trotz dass er ihn nur von der Seite sah. Seine kurzgeschorenen Haare verrieten ihn. Dafür, dass er zuvor im Wartebereich so große Töne gespuckt hatte, sah er die Lehrerin nun besonders demütig an, als befürchtete er, sie würde ihm eins mit einem unsichtbaren Rohrstock überziehen, wenn er sie aus den Augen ließe. Ihm blieb nichts anderes übrig, denn die Hutkrempe verdeckte ihm wenig später die Sicht.

»GRYFFINDOR!«, rief der Spitzhut aus, woraufhin dem Jungen die Ohren so rot anliefen wie zuvor Portia - ob vor Stolz bezweifelte Jeremias. Schuldbewusst sah Dean noch einmal zu der Lehrerin, ehe er zu seinem Tisch ging. Auch wenn er meinte, sie hätte Haare auf den Zähnen, würde er nun wohl oder übel lernen müssen, mit Professor McGonagall klarzukommen.

»Duke, Huguette«, rief eben jene die nächste Schülerin auf.

Die Genannte schritt mit erhobenem Haupt nach vorn. Sie war offensichtlich gewillt, ihr Schicksal hinzunehmen. Als der Hut »SLYTHERIN!« rief, bereitete ihr das Akzeptieren dieser Wahl keinerlei Probleme. Zufrieden schritt sie zur rechten Seite.

Jeremias fiel auf, dass bisher noch niemand nach Hufflepuff gekommen war. Am Tisch zwischen Slytherin und Ravenclaw konnte er dennoch keine Enttäuschung auf den Mienen der Schüler erkennen, außer in der des Geistes, der sie in dem Warteraum besucht hatte und gemeint hatte, er würde sie dort wiedertreffen. Dieser hielt zwar weiterhin seine Daumen gedrückt, doch es ließ sich nicht leugnen, dass er nicht mehr so fröhlich aussah wie noch zum Beginn der Auswahl.

»Edgecombe, Marietta«, rief McGonagall die nächste Schülerin auf.

Ein zierliches Mädchen mit blondem Pferdeschwanz und schüchternem Lächeln kam zu ihr nach vorne. Sie wurde eine Ravenclaw.

Während Patricia Fawcett ihr wenig später folgte und Otho Ferreiro nach Slytherin kam, spiegelte sich im Gesicht des Geistes über Hufflepuff mehr und mehr die Verzweiflung wieder. Allerdings sahen die Gryffindors unzufriedener aus. Scheinbar warteten auch sie darauf, dass ihnen langsam wieder ein Schüler zugeteilt würde. Alphaeus Gristle jedenfalls nicht, denn diesen schickte der Hut nach Ravenclaw, was bei Jeremias die Frage aufwarf, ob ein Haus irgendwann voll sein konnte.

Nachdem auch Alphaeus Gristle sich an seinen Tisch begeben hatte, fuhr die stellvertretende Schulleiterin mit »Harmon, Laetitia« fort.

Ein blonder Junge trat aus der Reihe. Er grinste fröhlich in die Runde, ehe er nach vorne ging. Im Nacken waren seine Haare zu einem dünnen Rattenschwanz geflochten.

Moment, dachte Jeremias und rief sich den Namen noch einmal in Erinnerung. Laetitia war gar kein Jungenname, doch augenscheinlich war es kein Versehen, denn Professor McGonagall machte anstandslos weiter.

Unter der Krempe des Hutes wurde das Grinsen des Kindes breiter. Ein helles Lachen, das ganz bestimmt das eines Mädchens war, erklang, bevor der Hut zum ersten Mal rief: »HUFFLEPUFF!«

Schnell sah Jeremias zu dem Geist der Hufflepuffs, der erleichtert aufatmete und überschwänglich eine Runde über den Tisch schwebte, während unter ihm die Schüler des Hauses Laetitia fröhlich in ihre Mitte nahmen.

Gleich darauf folgte Audie Hartell, ebenfalls ins selbe Haus. Das schüchterne Mädchen mit den kinnlangen, braunen Haaren, war, wie Katie Bell, zusammen mit Jeremias im Boot nach Hogwarts gekommen. Sie freute sich sichtlich über den herzlichen Empfang. Ganz im Gegensatz zu ihrer gemeinsamen Überfahrt, wo sie nur still dagesessen hatte, schien sie sich wohlzufühlen. Jetzt strahlte sie, wenn auch etwas verlegen.

»McBride, Edwana.«

Entgegen seines Vorhabens, möglichst wenig Interesse auf das ganze Tamtam zu legen, sah er sich zu McBride um, die mit erhobenem Haupt aus der Reihe trat und siegessicher in Richtung Stuhl schritt.

Der Hut neigte sich langsam nach rechts, blieb jedoch stumm.

»Oh ne, eine Hutklemme!«, stöhnte der Junge neben Jeremias leise, der augenscheinlich darauf brannte, dass ausgediente Kopfbedeckungen in seinem Oberstübchen herumgeisterten.

Jeremias hatte dafür wenig Verständnis. »Sie sitzt doch gerade mal ein paar Sekunden da.« Verstohlen sah er aus den Augenwinkeln zu dem größeren Schüler, der kräftiger als er war; und ganz offensichtlich ungeduldiger.

Für seinen Nebenmann war das Thema damit noch nicht beendet. Gereizt zischte er zu ihm herüber: »Und der Hut regt sich null! Ich sag dir, das ist eine Hutklemme. Unter fünf Minuten kommt die da nicht weg.«

»Aha«, entgegnete Jeremias aus Höflichkeit. Da auch der andere Junge an seiner ersten Häuserverteilung teilnahm, bezweifelte er stark, dass er irgendeine Art von Expertenwissen besaß.

»Was denn? Ich will endlich wissen, in welches Haus ich komme!«, legte sein Nachbar ihm mit gesenkter Stimme sein Dilemma dar.

Vor ihnen neigte sich der Hut langsam schweigend nach links.

»Das ist doch sowieso egal. Abgesehen vom Wappen oder dem Hauslehrer gibt es da eh keinen Unterschied«, befand Jeremias ebenso mit gedämpfter Stimme schulterzuckend.

»Vergiss die Hausgeister nicht«, ergänzte das Mädchen zu seiner Linken im Flüsterton, ohne sich zu ihm zu drehen. Stattdessen stierte sie gebannt nach vorn.

Der Junge zu seiner Rechten dagegen hatte ein ganz anderes Problem. »Du willst mir nicht sagen, dir wäre es völlig egal, in welches Haus du kommst, oder?«

Diesmal sah Jeremias nicht einmal kurz zu ihm herüber, sondern antwortete stoisch: »Völlig egal.«

»Na, nach Gryffindor kommst du mit der Einstellung schon einmal nicht«, schnaubte der andere.

»Und warum nicht?« Im Nachhinein verfluchte sich Jeremias für diese Frage. Warum hatte er es nicht stumm hingenommen? Dann wäre Ruhe gewesen. Hoffnungsvoll sah er zu Edwanas Kopf und dem, was darauf trohnte. Offenbar hatte es dem die Sprache verschlagen.

Neben ihm erging sich der Junge in einer geflüsterten Begründung: »Guck doch mal auf das Wappen, Mann! Da ist ein Löwe. Ein mutiger, mächtiger Löwe! Und, sorry, aber du bist eher vom Typ Hauskatze kurz nach dem dem Mittagsschlaf.«

Wie schmeichelhaft, dachte Jeremias zynisch. Er beschloss, den Erstklässler fortan zu ignorieren.

»Guck, immer noch keine Entscheidung. Immerhin hat er mal die Krempe verzogen«, empörte sich der Schüler ungeachtet der Nichtbeachtung mit leiser, aber aufgebrachter Stimme.

»Müsste für Gryffindor nicht eigentlich ein Greif stehen?«, fragte Jeremias geistesabwesend. Sich mit dem Blödmann zu unterhalten, war um Welten besser, als darüber nachzugrübeln, was der Sprechende Hut so lange im Kopf eines Schülers zu suchen hatte. Wenn er daran dachte, dass es bei ihm ebenso lange dauern könnte, wurde ihm ganz anders.

»Na, das geht ja schlecht, oder?«

Lautlos seufzte der junge Tiller. Er musste das irgendwie beenden. »Wenn du meinst«, winkte er verdrießlich ab.

Der Ungeduldige aber fuhr unbeirrt fort. »Dann müsste man ja ein Adlergesicht draufsticken und würd' den Löwenkörper gar nicht sehen.«

»Welch ein Verlust ...«, brummte Jeremias bitter. Erst die Farben der Häuser, jetzt die Gestaltung der Wappen. Die anderen Kinder hatten wirklich beneidenswert simple Probleme.

»Dann würd man Gryffindor und Ravenclaw doch ständig miteinander verwechseln!«, redete der Junge weiter auf Jeremias ein.

»Eigentlich ja nur wenn man blind ist.«

»Na ja, gut, klar, die Farben unterscheiden sich noch ...«, gab sein Nebenmann kleinlaut zu.

»... und die Tiere«, schob Jeremias trocken hinterher, was seinen Nachbarn völlig aus dem Konzept brachte.

»Hä? Ravenclaw hat doch den Adler, Mann.«

»Aber eigentlich müsste es ein Rabe sein.« Jeremias war erstaunt, dass McBride immer noch auf ihre Entscheidung wartete. Wie lange saß sie nun schon da?

»Was?«, fragte der Junge neben ihm verwirrt.

Immer stärker trat in Jeremias der Wunsch zutage, dass es schnell zu einer Entscheidung kommen möge, nur, um dieses sinnlose Gespräch hinter sich zu lassen. »Ein Rabe. Ravenclaw, Rabenkralle, Rabe als Wappentier.«

»Nur, weil die so heißen, muss das Wappentier ja nicht automatisch auch ein Rabe sein! Gryffindor hat ja auch keinen Greifen.«

Er hatte es erfasst. Irgendwie. Genervt seufzte Jeremias. »Sag mal, kannst du nicht jemand anderen ...«

»SLYTHERIN!«

»... nerven?«, vollendete er seinen Satz gereizt, wobei er zuletzt, wie er jetzt bemerkte, zu laut geworden war. Dabei ging nun glücklicherweise jedes Wort, das er sagte, im tosenden Beifall der Slytherins unter, zu denen Edwana sich gesellte.

Neben ihm empörte sich der Ungeduldige. »Was? Und für die Entscheidung haben wir uns hier Minuten die Beine in den Bauch gestanden?«

»Mir kam es vor wie Stunden ...«, entfuhr es Jeremias trocken. Davon abgesehen: Was hatte sein Nachbar erwartet? Trompeten? Fanfaren? Die Gründung eines fünften Hauses?

»Na, bei dir geht es hoffentlich schneller. So arrogant wie du bist, kannst du dir gleich bei dem Mädel den Weg zu deinem Tisch abgucken!«, fuhr ihn sein Nebenmann von der Seite an, während der Applaus langsam verhallte.

»Wenn ich da meine Ruhe habe, soll mir das Recht sein«, gab Jeremias trotzig zurück.

»McLaggen, Cormac!«, rief Professor McGonagall den nächsten Schüler in besonders strengem Ton auf. Dabei bedachte sie ausgerechnet Jeremias und seinen Nachbarn mit einem strafenden Blick.

Der Junge neben ihm verstummte nicht bloß, sondern tat einen Schritt vor. Er war also der Gerufene und wie er es sich gewünscht hatte, schickte der Hut ihn postwendend nach Gryffindor. Die Krempe hatte seinen Kopf gerade eben berührt gehabt. Sollte er doch glücklich werden, mit seinen Löwen.

Die Ernennung der nächsten Schüler floss an ihm vorbei. Justy Merill und Graham Montague kamen nach Slytherin, während Regin Jesse Nightmoon bei dem Geist über Hufflepuff für Begeisterungssprünge sorgte. Nancy Spear wurde eine Slytherin und Eldary Summers war der nächste Hufflepuff, der langsam aber sicher für Ausgleich zwischen den Häusern sorgte. Farran Sutton bescherte den Gryffindors einen Grund zum Jubeln, gefolgt von Adelais Tacita, die nach langer Pause zu einer Ravenclaw ernannt wurde. Mit Sally Thornton bekam das Haus gleich die nächste Schülerin, nachdem Oscar Thibault nach Hufflepuff geschickt worden war.

»Tiller, Jeremias.«

Sein Herz rutschte eine Etage tiefer, ehe es besonders kräftig und schnell zu schlagen begann. Plötzlich schien es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Er spürte, wie jedes einzelne Augenpaar auf ihn gerichtet war, als könne jeder dieser Schüler und nicht bloß der sprechende, magische Hut gleich in seinen Kopf gucken. Sein Magen fühlte sich an, als hätte er hundert Schokoschwimmer-Kappas verschlungen und als er nach vorne trat, war es, als würde er über den Boden schweben. Vor Anspannung zitternd nahm er auf dem Stuhl Platz und hielt die Luft an, als Professor McGonagall den Hut auf seinen Kopf setzte. Er wog schwer, drückte seine Nasenspitze mit seinem Gewicht ein wenig herunter und seine Krempe war so glatt und abgegriffen wie er ausgesehen hatte. Immerhin musste er so die Gesichter der anderen Schüler nicht sehen. Vielleicht war es ja Absicht, dass der Hut allen Erstklässlern viel zu groß war.

»Dann wollen wir mal sehen ...«, erklang unversehens eine Stimme - mitten in Jeremias' Kopf.

Seine schlimmsten Befürchtungen wurden damit wahr. Seine Hände begannen zu kribbeln, er kniff die Augen zusammen und dachte ganz fest: »Steck mich einfach irgendwo hin!«

»Na na, nicht so voreilig!«, bremste ihn die fremde Stimme in seinem Kopf. »Als wäre es dir wirklich gänzlich egal.«

»Ist es!«, versicherte ihm Jeremias. Und das war es! »Der Unterricht ist doch sowieso überall der gleiche.« Das hatte er zuvor schon McLaggen klargemacht. Das musste er doch einsehen. Er musste nur irgendein Haus ausrufen und aus seinem Kopf verschwinden und alles wäre gut.

»Das stimmt«, befand der Hut nachdenklich.

Erleichterung machte sich in Jeremias breit.

»Aber«, fuhr er fort und versetzte ihn wieder in Alarmbereitschaft; bereit, seine Gedanken wenn nötig - wie auch immer - zu verteidigen, »trotz deines Eifers, scheint Ravenclaw für dich die falsche Wahl zu sein.«

Die Worte brachten Jeremias aus dem Konzept. Für einen Augenblick vergaß er, dass er den Hut gar nicht in oder auf seinem Kopf haben wollte.

»Oh, ist das etwa Bedauern?«, fragte die Stimme, mit unüberhörbar spottendem Unterton.

»Es ist mir egal!«, dachte Jeremias trotzig zurück. Es war merkwürdig sich mit jemandem zu unterhalten, ohne ein Wort zu sagen.

»So mit mir zu reden, erfordert Mut«, entgegnete die alte Stimme in seinem Kopf, ehe er wenig begeistert ergänzte: »Oder Ignoranz.«

Da kam Jeremias die Frage in den Sinn, ob es so eine gute Idee gewesen war, den Hut womöglich zu verärgern. War es ihm wirklich egal, in welches Haus er kam? So oder so, nun wäre es sicher zu spät. Wenn, dann hatte er es jetzt vergeigt.

»Zurück zum Wesentlichen: Ich sehe bei dir nur einen Wunsch, der mir die Wahl sehr leicht macht. Dein Herz bestimmt bloß die eine Gabe; das, was es ehrlich leiden lässt«, erklärte ihm der Sprechende Hut geduldig. »Zugegeben, neben deiner Sturheit«, fügte er brummig an. »Du kommst nach - HUFFLEPUFF!«

Das letzte Wort dröhnte so laut in Jeremias' Ohren, dass er im ersten Augenblick gar nicht bemerkte, dass am Tisch der Hufflepuffs Beifall ausgebrochen war.

Jeremias nahm den Hut vom Kopf, legte ihn auf den Stuhl und ging zu den Tischen. Zwischen den Ravenclaws entdeckte er Leon Parks' freundliches Gesicht.

Der Vertrauensschüler lächelte ihm aufmunternd zu und hob grüßend die Hand.

Jeremias winkte knapp zurück, ehe er zu den Hufflepuffs hinüberging. Dabei kam es ihm alles unwirklich vor, denn eine Frage hallte immer wieder in seinem Kopf wider: War es ihm wirklich egal? Oder wäre er doch lieber in das Haus seines Bruders gekommen? Die Begründung des Sprechenden Hutes beschäftigte ihn ebenso. Sie formte einen dicken Kloß in seinem Hals, den er herunterzuschlucken versuchte.

Am Tisch der Hufflepuffs angekommen, klopften ihm die Schüler mutmachend auf die Schulter und schüttelten seine Hand. Sie schienen allesamt froh, ihn bei sich begrüßen zu dürfen. In der Mitte der Tafel hatten sie etwas Platz gelassen. Die anderen vier Erstklässler, die vor ihm angekommen waren, warteten schon auf ihn. Von ihnen kannte er niemanden außer die zierliche Audie, die ihn verlegen anlächelte, aber nach wie vor kein Wort sagte.

Vorn war der nächste Schüler aufgerufen worden. Merrit Spike Treacy wurde in dem Moment zum Gryffindor bestimmt, als Jeremias sich setzte. Er achtete nicht weiter auf die anderen Hufflepuffs. Stattdessen flüchtete er sich in das Geschehen vorne, obwohl er das Gefühl hatte, immer noch dort zu stehen und darauf zu warten, einem Haus zugewiesen zu werden.

Cleena Triggs, ein Mädchen mit kinnlangen schwarzen Haaren, die hinten merkwürdig kurz waren, verschlug es ebenfalls nach Gryffindor. Neva Todd kam wenige Minuten später zu ihnen an den Tisch, bevor Felia Usarus Ravenclaw zugeteilt wurde.

Was er davon hielt, dass Keaton ebenfalls nach Hufflepuff kam, wusste Jeremias nicht. Er nickte ihm zu und rückte auf der Bank zur Seite, damit er sich neben ihn setzen konnte, doch die unbändige Freude der anderen, die schon Neva überschwänglich begrüßt hatten, konnte er nicht teilen, auch wenn er nichts gegen seine Reisebekanntschaft hatte.

Nachdem die letzte Schülerin, Léone Wilkins, nach Gryffindor geschickt worden war, wurde es still. Auf der Suche nach dem Grund bemerkte Jeremias, dass der große, dünne Mann in seinem magentafarbenen Mantel sich an der hohen Tafel der Lehrer erhoben hatte.

Der Schulleiter stand mit einem milden Lächeln oben hinter dem hohen Tisch. Er wartete geduldig, während es im Saal immer stiller wurde.

Vor ihm hatte Professor McGonagall ihr Pergament zusammengerollt und war gerade dabei, den Schemel beiseite zu räumen.

»Willkommen«, schallten Dumbledores Worte in die entstandene Stille hinein. Wie bei Mister Ollivander war seine Stimme ruhig, erreichte aber dennoch jeden Winkel der Großen Halle. »Willkommen zu diesem neuen Jahr in den Gemäuern von Hogwarts. Bevor wir zum wichtigsten Punkt des jährlichen Auftakts kommen und wir unsere Bäuche mit Leckereien vollschlagen können, sieht das Protokoll eine Rede vor. Und wer bin ich, mich dem zu widersetzen? Also, aufgepasst: Heidelbeersorbet. Knaller. Niff. Hinkepank. Simsalabim! Vielen Dank.« Der Schulleiter ließ sich unter dem aufbrandenden Beifall wieder auf seinen Platz sinken.

Jeremias sah zweifelnd zu ihm auf. Der Typ hatte doch nicht mehr alle Nadeln an der Tanne. Die Lehrer links und rechts neben ihm, schienen seine merkwürdigen Wortmeldungen nicht zu stören. Als er sich zögerlich umsah, stellte er erleichtert fest, dass wenigstens ein Teil der anderen Erstklässler ebenso fragend wie er aus der Wäsche blickte.

Allen voran Keaton, der mit weit aufgerissenen Augen und halboffenem Mund hinauf Lehrertisch starrte. Jetzt sah der Junge wahrhaftig wie seine Eule aus.

Mit dem Blick auf den Tisch fiel Jeremias auf, dass dieser plötzlich nicht nur mit leeren Tellern bestückt war, sondern wie aus dem Nichts gefüllte Schalen, Platten und Terrinen erschienen waren, an denen sich die anderen Hufflepuffs begeistert gütlich taten. Neben gegartem, gebackenem und frittiertem Gemüse sowie Fleisch verschiedenster Herkunft, gab es Kürbissuppe oder Pasteten.

Ein älterer Schüler schaufelte der Erstklässlerin mit den kurzen, blonden Haaren und dem Rattenschwanz ein großes Stück einer Lachsquiche auf ihren Teller, als sich ihr von hinten ein großer, bulliger Junge mit breitem Grinsen näherte und sie stürmisch von hinten umarmte. »Ich wusste doch, dass es dich zu uns Versagern treibt«, flachste er und wuschelte mit seiner großen Pranke über Laetitias kurzgeschorenen Schopf.

Das kleine Mädchen grinste ebenso breit, lachte hell auf und schmiegte sich von vorn in seine Umarmung. »War doch klar, oder?«

»Willst du auch was von der Kürbispastete?«, fragte Keaton.

Jeremias, der die Szene zwischen den beiden Kindern beobachtet hatte, schaute ruckartig hinunter auf seinen leeren Teller. Beim Anblick der Speisen war ihm bewusst geworden, dass er heute den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, aber nach dem, was er gerade gesehen hatte, war sein Appetit verflogen.

Geschwister. Laetitia und der ältere Junge waren Geschwister. Ein fieses Kribbeln durchfuhr seinen Körper, gleichzeitig schoss ihm die Hitze ins Gesicht. Der Kloß im Hals, von dem er gedacht hatte, er sei ihn endlich los, beehrte ihn wieder treu mit seiner zweifelhaften Anwesenheit. Wütend rauschte das Blut durch seine Ohren und verdrängte alles, was um ihn herum geschah. Für einen Augenblick war er allein mit seinem klopfenden Herzen.

»Aber irgendwas musst du nehmen. Ich mein, guck dir das an!«, redete Keaton begeistert auf ihn ein. »Ich hab noch nie so viel Essen auf einmal gesehen.«

Angespannt holte der Erstklässler tief Luft. Das Letzte, was er wollte, war, hier am Tisch vor allen anderen in Tränen auszubrechen. Er hatte sich den ganzen Tag solche Mühe gegeben, dass niemand davon erfuhr, ihn niemand danach fragte. Das würde er nicht alles zusammenbrechen lassen, weil ein Bruder seine kleine Schwester begrüßte, sagte er sich energisch. Langsam hob er seinen Blick, darauf bedacht, ja nicht zum Geschwisterpaar zu blicken, sondern das Essen zu betrachten. Der Anblick der gefüllten Schüsseln bereitete ihm jedoch bloß Übelkeit, aber da musste er durch. Das sah er ein. Lustlos griff er sich seinen Teller und belud ihn mit Kartoffelpüree, das vor ihm in einer großen, reich verzierten Schüssel stand. Als er den vollbeladenen Schöpflöffel daraus hervorzog, zog die Masse Fäden. Bestimmt war Käse darin. Dazu nahm er sich noch zwei kleine Würstchen und eine Pastete. Das musste als Alibi genügen.

»Hi, du musst Tiller sein«, hörte der Junge eine wenig bekannte Stimme sagen, woraufhin er aufsah.

Gesprochen hatte Laetitias Bruder, der immer noch hinter der Erstklässlerin stand. Im Gegensatz zu dem Mädchen hatte er längere Haare, die wenig sorgfältig nach vorn gebürstet worden waren. Es sah aus, als sei er heute schon durch einen unbarmherzigen Sturm gelaufen. Seine kräftige, linke Hand ruhte auf der Schulter seiner Schwester, die sich an ihrer Quiche gütlich tat und ihn verschmitzt anlächelte.

Bei dem Anblick der beiden glücklichen Geschwister erstarrte der Junge erneut. Warum musste er ausgerechnet von allen Neuen ihn ansprechen? Erst nachdem er die Schrecksekunde überdauert hatte, fiel ihm ein, dass der Schüler ihm eine Frage gestellt hatte, doch sein »Ja« verkam zu einem heiseren Fisteln. Schnell nickte der Erstklässler, um von dieser Peinlichkeit abzulenken.

Der Ältere lachte fröhlich auf. »Keine Sorge, ich beiße nicht«, meinte er den Jungen zu beschwichtigen.

»Stimmt, er schluckt im Ganzen«, fügte Laetitia an und lachte in ihre Quiche. Dafür fing sie sich von ihrem Bruder einen scherzhaften Schlag gegen die Schulter ein.

»Jedenfalls bin ich Rag«, stellte er sich vor, ehe er Jeremias die Hand reichte.

Vor ihm räusperte sich Laetitia wichtig und hob ihren Zeigefinger. »Raginmund Harmon«, vervollständigte sie seine Worte, als sei es ein besonders wichtiger Adelstitel, den er trug.

Rags gequälter Miene war jedoch anzusehen, dass sie das nur tat, um ihn zu ärgern. »Ja, danke, Schwesterherz«, brummte er, bevor er Jeremias erklärte: »Jedenfalls darf mich hier jeder Rag nennen. Das gilt wirklich für alle.« Dabei strahlte er in die kleine Runde neuer Schüler. »Na ja, ich geh dann mal an meinen Platz.«

»Mach das, Rag. Nicht, dass du noch verhungerst«, warf Laetitia ihm ungerührt an den Kopf. Auf den mahnenden Blick des Älteren erwiderte sie unschuldig: »Ich wiederhole nur, was Mama gesagt hat.«

Getroffen strich Harmon sich den Umhang glatt, womit er einen kleinen Bauchansatz entlarvte. »Pure Kraft!«, hielt er trotzig dagegen. »Außerdem würden die Klatscher mich ja sonst einfach wegpusten.« Er zwinkerte ihnen noch einmal zu, bevor er weiter nach hinten zu seinem alten Platz zurückging.

Jetzt wusste Jeremias, woher Rag die Idee gekommen war, ausgerechnet ihn namentlich zu begrüßen. Ein weiteres Gewicht, das sich um sein Herz legte. Rag kannte seinen Bruder vom Quidditch. Bei dem Gedanken bearbeitete er das Kartoffelpüree mit seiner Gabel. Der Appetit, der Hunger und überhaupt jede Lust waren ihm vergangen.

Neben ihm schwärmte Keaton mit Regin Nightmoon, dem kleinen Jungen mit der piepsigen Stimme, über das Essen, von dem sie sich immer neue Portionen aufluden. Audie Hartell hörte ihnen still zu und ab und an kicherte sie leise vor sich hin.

Oscar Thibault, ein untersetzter Junge mit blonden Haaren, die an der Seite kurzgeschoren und auf dem Kopf zur Seite gescheitelt waren, war wie Eldary Summers, einem etwas schmalerem Schüler, noch damit beschäftigt, ehrfürchtig die Große Halle zu begutachten.

Für Laetitia war diese Faszination ein Grund zum Kichern. »Vorsicht Jungs, Geist von links«, warnte sie ihre Sitznachbarn vor, als durch die Speisen hindurch der beleibte Untote auf sie zuschwebte.

»Was freue ich mich!«, verkündete er überschwänglich. Sobald er in ihrer Mitte angelangt war und die volle Aufmerksamkeit der Neuen hatte, gewann er gute zwei Meter an Höhe, von wo aus er fröhlich auf sie hinabstrahlte. »So viele neue, junge Gesichter in meinem Haus. Wenn das nicht ein Grund zur Feier ist.«

Einige Plätze weiter rief jemand: »Als bräuchtest du einen Grund zum Feiern!«

Lautes Gelächter erhob sich den gesamten Tisch der Hufflepuffs entlang, in das der Tote schallend mit einstimmte.

»Wahre Worte«, gab das durchsichtige Wesen zu, erhob jedoch kurz darauf den Zeigefinger. »Aber wisst es zu schätzen. Im Leben machen solche Anlässe weit mehr Spaß als danach. Nutzt jeden Grund, der sich euch bietet.« Nachdem er geendet hatte, betrachtete er seinen erhobenen Finger verwirrt. »Jetzt wäre ich doch beinahe ernst geworden«, bedauerte er kopfschüttelnd. »Nein, feiert, lasst es euch schmecken und willkommen in Hogwarts.«

»Was?!«, schrie einer der Älteren am anderen Ende der Tafel. »Hat der Geist gerade gesagt, wir sind in Hogwarts?«

Erneut flammte hier und da ein Lachen auf.

»Egal, ob wir dieses Jahr den Hauspokal holen; wir sind bestimmt das lustigste aller Häuser«, gluckste der Geist und entschwebte glücklich gen Decke.

Wunderbar, dachte Jeremias. Da war er, als Stimmungskanone schlechthin, ja genau im richtigen Haus gelandet.


Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein:

Feature

Commilitones 1 - Waffenbrüder von Severin Sesachar P16 (Mature)
[Alternative Erzählung zur Ezio-Trilogie] Ein skandalumwitterter Künstler...

New

Commilitones 1 - Waffenbrüder von Severin Sesachar P16 (Mature)
[Alternative Erzählung zur Ezio-Trilogie] Ein skandalumwitterter Künstler...

Random

1.05 Katzenauge von Steffi Raatz P12 (Parental Guidance)
Sie ist seine Jugendliebe und verschwand eines Tages, doch plötzlich steht...