7.10 - Die Büchse der Pandora von Nadia

7.10 - Die Büchse der Pandora von Nadia

[Reviews - 0]   Drucker Inhaltsverzeichnis

- Schriftgröße +
Noch immer müde, drehte Pacey sich nochmals um. Nun schien ihm jedoch die Sonne ins Gesicht, deren Strahlen langsam die Zweige der alten Eiche, die vor dem Fenster stand, durchdrangen. Obwohl er nun sowieso nicht mehr schlafen konnte, blieb er auf dem Rücken liegen. Neben ihm lag Joey.

Wie immer war er auch diesen Morgen von ihrer Schönheit völlig fasziniert. Obwohl es morgens war und ihr Haar schon mal besser ausgesehen hatte, war sie für ihn einfach wunderschön. Ihr Teint schimmerte im warmen Sonnenlicht, die Haare bildeten einen schönen Kontrast zu der weichen Haut. Selbst ihr Gesicht war wunderschön. So entspannt und es schien ihm, als ob sie sich nur so entspannen konnte, weil sie sich sicher und geborgen fühlte.

Auch wenn sie gerade eine schwierige Zeit durchmachten und er allen Grund hatte sauer zu sein, konnte er es einfach nicht. Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, um sie besser beobachten zu können. Wieder erinnerte er sich an ihr erstes Mal. Erinnerte sie sich wirklich noch daran, wie er ihr die Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen hatte? So wie sie es ihm gesagt hatte?

Seufzend drehte Pacey sich vorsichtig auf die Seite und starrte an die Decke. Dieser Tag schien so weit weg zu sein. So viel hatte sich seit damals verändert. Wie unbekümmert sie an diesem Tag gewesen waren. Mit einem Lächeln erinnerte er sich an die Schokoherzen. Doch was war passiert? In den letzten Wochen hatten sie sich nur gestritten; fast nur. Es hatte so viele Versöhnungen gegeben, die schienen jedoch bei jedem Gespräch wieder vergessen zu sein.

Plötzlich erinnerte er sich wieder an Andies Worte. Er sollte nochmals mit ihr über alles reden. Über den Antrag. Wahrscheinlich war es bei ihr einfach falsch rübergekommen. Schließlich wollte er sie nicht nur heiraten, weil sie schwanger war. Er liebte sie und warum sollte man dann nicht heiraten? Das Baby war nur ein weiterer Grund die Sache zu beschleunigen.

Wieder seufzte er und drehte sich zu seiner Freundin um, die noch immer friedlich schlief. Natürlich liebte er sie und er hätte sie auch ohne das Baby geheiratet. Doch wie sollte man einen Menschen von seiner Meinung überzeugen, wenn der Mensch eine ganz andere Meinung hatte? Gerade Joey war schon immer dickköpfig gewesen.

Paceys blaue Augen verdunkelten sich und seine Sorgen spiegelten sich darin wieder. Seine Stirn kräuselte sich und nachdenklich begann er sich an seinem Kopf zu kratzen. Dieses Thema raubte ihm wirklich den letzten Nerv. Besonders wenn er morgens oder abends wach lag und nicht schlafen konnte.

Plötzlich bewegte sich Joey neben ihm und einige Sekunden später öffneten sich ihre Augen. Sie rieb sich langsam die Augen und gähnte.

"Guten Morgen", meinte sie dann und kuschelte sich an Pacey.

"Guten Morgen, Jo!"

Sie sah ihn mit großen Augen an, doch er wandte seinen Blick von ihr ab. Er musste irgendetwas unternehmen. Nur was? Vielleicht sollte er wirklich auf Andie hören.

~*~

Am Morgen schlurfte Jack schläfrig in die Küche. Er trug die Hose, die er immer zum Joggen trug und ein altes T-Shirt. Die Klamotten und sein unrasiertes Gesicht verstärkten den Eindruck, dass es ihm so gar nicht gut ging. Ihm schallte aus dem Radio ‚Genie in the Bottle‘ von Christina Aguilera entgegen. Doug saß bereits am Küchentisch und trank eine Tasse Kaffee. Die Tageszeitung lag aufgeschlagen vor ihm und der Tisch war liebevoll gedeckt worden.

"Morgen", gähnte Jack und setzte sich an den Tisch.

Doug sah von seiner Zeitung auf und lächelte. "Guten Morgen", sagte er, wesentlich fröhlicher als Jack selbst.

Jack nahm die Packung Cornflakes von der Mitte des Tisches und öffnete sie.

Beide schwiegen während Christina vor sich hin sang. Doug sah Jack immer wieder an, doch Jack wich seinen Blicken aus. Jack schüttete sich Cornflakes in seine Schüssel und Doug nahm einen Schluck seines Kaffees. Er wandte sich wieder der Zeitung zu. Wahrscheinlich hatte Jack nur schlecht geschlafen.

Dieser stand auf, wobei der Stuhl quietschte und ihm noch mehr Kopfschmerzen verursachte als Jack eh schon hatte. Er ging zum Kühlschrank und nahm sich eine Flasche Milch heraus. Dann setzte Jack sich wieder Doug gegenüber, vermied aber Augenkontakt.


"Hast du irgend etwas?", fragte Doug zögerlich, als Jack trübselig die Milchflasche musterte.

Jack reagierte nicht, er schüttete nur die Milch in seine Schüssel mit den Frühstücksflocken und rührte dann konzentriert den Inhalt um.

"Jack?", fragte Doug noch ein bisschen lauter.

"Was? Oh, ähm, es, es ist gar nichts! Wirklich!", beteuerte Jack. Er hätte noch länger geschwiegen, aber dann hätte er den Eindruck erweckt, dass er sauer auf Doug war. Er log Doug direkt ins Gesicht und schämte sich dafür unendlich. Aber er war einfach nicht in der Verfassung für Klartext.

Der Radio-Moderator begann zu plaudern, als der Song endete: "Für alle, die gerade erst aufgestanden sind: Die Sonne scheint hell vom Himmel und es liegt Liiiiebe in der Luft, Leute! Also spielen wir - wie sonst auch - die größten Hits. Wie jetzt: Jennifer Lopez mit ‚I'm glad'. Schade, dass sie nicht Mrs. Affleck geworden ist. Obwohl die Verlobung ..."

Jack und Doug hielten inne. Beide dachten über das Thema ‚Verlobung' anders und beide dachten nun im selben Moment daran. Ihre Blicke begegneten sich.

Jack ließ den Löffel sinken und begann das Gespräch: "Doug, wir müssen reden."

"Ach wirklich?" Doug lehnte sich zurück. Sein Blick ruhte auf Jack und wurde für diesen unangenehm.

"Doug ... ich will dich wirklich nicht enttäuschen." Jack spielte nervös mit dem Löffel. Er überlegte sich jedes Wort genau, denn er wollte jetzt das richtige tun. Und das war verdammt schwer. Doch seine Erkenntnis von letzter Nacht ließ ihn langsam weitersprechen: "Du weißt, dass ich dich liebe und respektiere."

"Jack, was willst du mir eigentlich mitteilen?" Dougs Stimme klang besorgt.

Jack sprach stockend weiter: "Okay. Ich ... ich finde, dass es für eine Hochzeit zu früh ist, verstehst du? Ich habe lange darüber nachgedacht. Denn du willst etwas, für das ich noch nicht bereit bin." Er brach ab und sah Doug scheu an. Unsicher trommelte er mit dem Löffel auf der Tischplatte herum.

Doug nickte nach einer Weile. "Willst du noch Kaffee?", wechselte er das Thema.

"Ja, aber ... Ist das denn okay für dich? Ich will nicht, dass du irgendwas verdrängst oder so, denn ...", meinte Jack schnell und wollte noch schneller weitersprechen, doch Doug schnitt ihm das Wort ab.

"Jack, es ist in Ordnung. Wir haben noch Zeit, nicht wahr? Wir sollten natürlich nichts überstürzen."

Klang seine Stimme etwa wehmütig? Jack sah ihn weiter unsicher an.

"Sag mir Bescheid, wenn du dich dazu bereit fühlst", fügte Doug hinzu. Er griff nach der Kaffeekanne und schenkte Jack Kaffee nach, anschließend trank er selbst seine Tasse leer.

Jack versuchte weiterhin herauszufinden, ob er traurig war, doch Doug signalisierte in keiner Weise, wie er sich fühlte und was er dachte.

Doug setzte die Tasse ab und lächelte: "Ich sehe mal nach Amy. Ich liebe dich."

"Ja ... Gut. Ich dich auch", sagte Jack heiser. Anscheinend war es für Doug wirklich okay. Jack aß seine Schüssel leer, den Geschmack seines Frühstücks nicht wahrnehmend. Im Radio dudelte nach dem J. Lo Lied ein ruhiger Oldie von The Platters, der Jack aber nicht wirklich zur Ruhe bringen wollte. Ihm wurde klar, dass das Thema ‚Hochzeit' vom Tisch war. Sollte er sich da nicht glücklich fühlen? Oder wenigstens entspannt? Warum gab Doug so leicht auf? Er stand auf und räumte mechanisch den Tisch leer. Von oben hörte er Babygeschrei, doch Amy verstummte bald wieder. Doug passte ja auf sie auf. Jack ging zum Fenster und sah hinaus auf den Strand. Die Wellen rauschten, Möwen spielten Fangen. Für einen Augenblick glaubte er, Jen am Strand spazieren gehen zu sehen, dann war sie auch schon wieder verschwunden.

"Toll. Jetzt habe ich schon Halluzinationen!", murmelte Jack. "Wahrscheinlich stimmte was mit der Milch nicht." Er ging vom Tisch, nahm seine Schüssel, die noch auf dem Tisch stehen geblieben war und kippte den Inhalt in den Ausguss.

~*~

Joey bummelte durch die Einkaufsstraßen von Capeside. Pacey war heute Morgen beim Frühstück hektisch und gleichzeitig geistig abwesend gewesen und war zusätzlich noch eilig aufgebrochen. Er stand neben der Spur und Joey hoffte, er stellte nicht etwas an, dass ihrer Beziehung schaden konnte. Wenigstens hatte er ihr versprochen, das Abendessen vorzubereiten und Joey freute sich schon darauf. Ihre Beziehung war etwas abgekühlt und steif geworden und keiner schaffte es, sie zu entschärfen.

*Anscheinend ist es unser beider Schicksal dauernd zu streiten*, dachte Joey traurig. Sie blieb vor einem Fotoladen stehen. Eines der Werbebilder des ‚Photo Store‘ war ein Foto zweier Modells. Der Frau fielen ihre brünetten Haare locker über die Schulter und sie lachte glücklich. Der Mann zog sie zärtlich an sich und sah sie mit treuen Blicken an. Auf dem Boden lagen Rosenblätter. Das Foto wurde kunstvoll von Kerzenlicht erleuchtet. Sehnsüchtig betrachtete Joey das Foto für einige Augenblicke. Dann realisierte sie erst, wie kitschig und wie romantisch es war. Die Szene glich dem wirklichen Leben kein bisschen. Das normale Leben war hart und bestand nicht aus Rosenblättern.

Sie riss sich von dem Anblick los. Trotzdem wäre sie gerne dieses weibliche Modell ... Sie ging weiter, doch einige Meter später blieb sie wieder stehen. Der Anblick vor ihr fesselte sie regelrecht. Der Laden hieß ‚Babies World‘ und hatte alles zu bieten, was für Babies wichtig war. In dem einem der zwei großen Schaufenster wurden Kleider ausgestellt, die besonders entzückend aussahen.

Das Kleinkindkleidchen lockte ein verzücktes Lächeln auf Joeys Gesicht, es zog sie regelrecht in ihren Bann. Es war rosa und das Kind, das das Kleid tragen würde, würde sich wie eine Prinzessin fühlen. Ob sich ihr eigenes Kind in so einem Kleid wohlfühlen würde? Noch war es zu früh festzustellen, ob das Kind Junge oder Mädchen war, doch sollte es ein Mädchen sein, würde es sicher in diesem Kleid zauberhaft aussehen.

Aber das Geschlecht des Babys war Joey vor fünf Minuten noch unwichtig gewesen. Nun spielte es jedoch eine Rolle. Werdende Mütter kauften schon viele Monate vor der eigentlichen Geburt Schuhe oder Windeln ein. Sie betrat den Laden mit reichlich Bedenken. Hatte sie denn überhaupt ein Recht, hier herein zu schauen? Schließlich wollte sie das Kind nicht einmal behalten. Allerdings wollte sie irgendwann später Kinder haben, also wischte sie alle Vorwürfe beiseite.

In der Mitte des ersten Verkaufsraumes stand ein riesiges Stoffpony. Die Tapeten waren hellblau mit rosa Schmetterlingen. An den Wänden standen Regale mit Babygeschirr, Babyspielsachen, Lektüren über Babies, Babymöbel und Babywäsche.

Joey ging zielstrebig zu der Wand mit den Kleiderständern. Sie zog einen Kleiderbügel mit einer Jeanslatzhose heraus. So eine besaß Lilly, nur war sie mittlerweile zu groß für die Hose. Joey grinste. Lilly hatte so cool damit ausgesehen. Sie griff nach einem anderen Kleiderbügel. Ihr gefiel das T-Shirt in Babyrosa auf Anhieb. Der Aufdruck war eine Minnie Maus und das T-Shirt entsprach Amys aktueller Größe. Es war auch Amys Geschmack.

Von mütterlichen Gefühlen überwältigt, beschloss Joey, Amy eine kleine Freude zu machen und das T-Shirt von Minnie für sie zu kaufen. Auf dem Heimweg konnte sie ja es ja vor Jacks Haustür legen, klingeln, weglaufen und so die gute Fee spielen.

Fröhlich durchstöberte sie noch den Rest des Ladens.

Da waren Babywiegen mit einem aufgemalten Snoopy und den Peanuts und ty Beanie Baby Kuscheltiere in Form von rosa Bären und niedliche Babysocken von Garfield.

Joey ging zur Kasse. Den Frust wegen Pacey hatte sie wieder vergessen, so beeindruckt war sie von den Garfieldsocken in Babygröße.

Die Verkäuferin des ‚Babies World‘ war von der Sorte Hausmutti. Sie trug einen selbstgestrickten, roten Pullover und ihre Haare sahen aus wie die von Mrs. Leery. Joey bekam den Einfall, Gale auch noch zu besuchen. Mit Gale konnte sie prima über die Geburt des Witter/Potter Sprösslings reden - sollte sie es soweit kommen lassen. Davon abgesehen erinnerte sie sich, dass Gale selbst mit dem Gedanken gespielt hatte, Lilly nicht zu behalten. Zwar aus anderen Gründen, aber die Entscheidung war dieselbe.

Sie stellte sich hinter einer Brünetten im roten Kleid an.

"Wie geht es Tommy?", fragte die Verkäuferin. Anscheinend hatte die Brünette schon öfter bei ‚Babies World‘ eingekauft. Auf der Verkaufstheke lagen zwei Packungen Windeln, zwei Stoffelefanten und zwei Babyflaschen.

"Kristin, unter uns: Bibi terrorisiert ihren Bruder regelrecht, nur weil sie ein Jahr älter ist." Die Frau vor Joey seufzte frustriert.

"Wisst ihr schon, wie ihr die Zwillinge nennen wollt?" Kristin packte die Ware in eine Tüte und nannte den Preis dafür.

Die Frau holte ihren Geldbeutel aus der Lederhandtasche, die an ihrer Schulter hing.

"Celeste und Dylan. Es war Davids Idee. Seit ich nicht mehr arbeiten gehe, denkt er, er ist der schlaue Kopf der Familie", sagte sie betrübt und zahlte.

"Na dann viel Glück!", wünschte die Verkäuferin und reichte ihr die Tasche.

"Auf Wiedersehen." Die Frau drehte sich um und gab dabei freien Blick auf ihren Bauch.

Joey tippte auf den achten Monat. *Der Bauch ist ja überdimensional!*, schoss es ihr durch den Kopf, als sie der Frau hinterher sah.

"Miss?", holte Kristin Joey aus ihren Gedankengang zurück. Zerstreut zahlte sie das Oberteil für Jacks Tochter.

Sie stürzte geradezu aus dem Geschäft. Sie brauchte dringend Rat. Verwirrt schlug sie die Richtung ein, die zum Strandhaus führte. Nach dem Abliefern des Geschenks musste sie unbedingt zu Gale.

Was hatte die Schwangere noch einmal gesagt? Sie arbeitete nicht mehr und hatte bald vier Kinder und einen überheblichen Mann?

Diese Frau war alles, was Joey nicht sein wollte.

~*~

Hinter Jack fiel die Haustür ins Schloss. Er zog seine Jacke aus und hängte sie auf. Neben der Garderobe hing ein Spiegel und er betrachtete sich eine Weile stumm darin. Er war müde und sah auch so aus.

"Wieder da?", fragte Doug. Er trug schon seine Uniform und hielt Amy an der Hand. Die kleine trug ein viel zu großes T-Shirt und sie hatte sich wie immer geweigert, ihre Schuhe anzuziehen. Sie sah einfach niedlich aus.

"Ja", sagte Jack lahm und nickte.

"Gut, dann fahre ich schon früher zum Revier." Doug ließ Amys Hand los und ging zurück in die Küche, um seine Jacke zu holen. Amy stolperte sofort auf Jack zu.

"Na, meine Kleine?" Jack hob sie hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Backe.

"Also, bis heute Abend!" Doug kam wieder in den Flur. Er küsste Jack und Amy zum Abschied.

"Tschüüüüß!", rief Amy und winkte ebenfalls.

"Bye!" Jack wartete bis Doug das Haus verlassen hatte und schlenderte dann mit Amy an der Hand ins Wohnzimmer.

"Also, Kleine, was wollen wir jetzt anstellen?" Jack war zwar übermüdet und fertig vom Unterricht, aber Amy steckte einen einfach mit ihrer Lebendigkeit an. Amy ließ seine Hand los und lief zu ihrer Spieldecke, auf der sich Kuscheltiere und ein kleiner Fußball türmten. Sie schnappte sich einen hellblauen Teddy, der so flauschig war, dass er ‚Flauschi‘ getauft worden war. Amy zeigte auf ein Bilderbuch. "Vorlesen also?", hakte Jack nach und setzte sich zu ihr.

"Aham", machte Amy.

Jack nahm das Buch: "Oh. Der gute alte Winnie Pooh."

"Pooh." Amy streckte ihm ihren Teddy entgegen.

"Nein, Pooh Bär ist gelb und hat ein rotes Shirt an." Jack hielt ihr den illustrierten Buchdeckel hin. "Siehst du?"

Amy nickte und drückte ihren Bären an sich.

"Gut, dann fangen wir an", begann Jack die Vorlesung aus dem Disney-Buch, "Pooh der Bär lebte zusammen mit seinen Freunden im Hundertmorgenwald. Da waren Ferkel, das kleine Schweinchen, Rabbit, der Hase und Tigger, der Tiger."

Jack kannte Amys Lieblingsgeschichte bereits auswendig und schmückte sie zusätzlich sehr phantasievoll aus, so das Amy bald schläfrig wurde. Er hob das kleine Mädchen hoch. "Hast du deinen Teddy?", fragte Jack vorsorglich.

"Ja." Amy drückte das blaue Stofftier an sich und gähnte. Jack setzte sich in Bewegung und brachte sie ins Kinderzimmer. Vorsichtig legte er sie in das kleine Bettchen. Jack deckte sie zu und gab ihr ein Küsschen.

"Schlaf gut, Engelchen."

Er überprüfte, ob das Zimmer genügend abgedunkelt war. Dann ging er zurück in das Wohnzimmer. Ihm selbst würde ein Mittagsschlaf auch gut tun oder wenigstens eine Stunde lang faul rumliegen. Er legte sich auf das Sofa, streifte dabei seine Turnschuhe ab und legte sich die Wolldecke, die auf dem Sofa Platz gefunden hatte, über die Füße. Er gähnte und blinzelte in die Sonne, die durch das Fenster hereinschien. Und da war sie plötzlich. Jack wusste nicht, woher sie kam, aber eigentlich war es ihm egal.

Jen.

Jens blondes Haar fiel ihr in Wellen über die Schulter und war heller als je zuvor. Die Haare umrahmten ein fröhliches Gesicht ... das Gesicht, das Jack so lange vermisst hatte, nachdem er sich Tag und Nacht gesehnt hatte. Ihre Lippen waren zu einem Lächeln geformt und ihre grünen Augen strahlten glücklich.

"Hi, Jack." Sie hob ihre Hand.

"Jen ...", sagte Jack schläfrig. Er betrachtete fasziniert den weißen Stoff, den Jen trug, der sie einhüllte ... sie wie einen Engel erscheinen ließ. Doch noch mehr faszinierten ihn die wohl vertrauten Gesichtszüge seiner besten Freundin.

"Wie geht es Amy?", fragte Jen. Ihre Stimme klang so, wie er sie noch im Gedächtnis hatte. Nichts an ihr hatte sich verändert. Sie war sogar noch schöner und vollkommener geworden.

"Gut. Ich habe sie gerade ins Bett gebracht ..." Jack blinzelte. Er wollte nicht einschlafen, nicht jetzt, wo seine Jen hier war. "Sie sieht dir von Tag zu Tag immer ähnlicher. Amy hat das gleiche süße Lachen wie du."

"Tatsächlich?" Jen grinste stolz.

Doch dann verschwamm sie zunehmend vor Jacks Augen. Er spürte noch, wie sie ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. Für einen Moment roch er ihren süßlichen Duft wieder. Dann war sie genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war.

Langsam glitt er in den Schlaf hinüber.

~*~

Mit großen Schritten lief Joey über den Rasen des Gartens der Leerys. Sie musste sich förmlich dazu zwingen, nicht wieder umzudrehen. Natürlich wollte sie mit Mrs. Leery über ihre Schwangerschaft reden und auch einige Tipps haben, aber der Anfang würde sicher schwer werden. Bevor Joey an die Tür klopfte, atmete sie nochmals tief durch und wartete dann auf Gale.

Einige Minuten verstrichen und Joey wollte schon wieder gehen, als sich die Tür öffnete. "Joey!", rief Gale erfreut aus und lächelte. Ihre Hände waren mit Mehl bestäubt, ebenso die Türklinke.

Etwas verunsichert fragte Joey nun: "Hallo, Gale. Eigentlich wollte ich dich besuchen, aber wenn es gerade ein schlechter Zeitpunkt ist, dann komme ich irgendwann anders."

Doch die ältere Frau schüttelte ihren Kopf. "Komm rein. Wir haben uns doch schon so lange nicht mehr gesehen. Wenn du schon mal da bist, dann nehme ich mir auch Zeit."

"Okay. Ich hätte sowieso nur eine Frage."

Die beiden Frauen gingen durch den Flur in die große helle Küche und Gale ging an den Herd. Dort brutzelte gerade etwas in der Pfanne und Gale schien noch etwas für das Mittagessen vorzubereiten. "Was hast du denn auf dem Herzen, Joey?"

Obwohl Joey noch kein Wort darüber verloren hatte, was sie überhaupt wollte, schien Gale genau zu wissen, dass sie ein Problem hatte. So wunderte sie sich auch: "Woher weißt du denn, dass ich ein Problem habe?"

Doch Gale lächelte nur einen kleinen Moment. "Joey, nachdem wir uns so lange kennen und du schon fast meine große Tochter bist, werde ich ja wohl wissen, dass du ein Problem hast. Außerdem verrät dich deine Stirnfalte."

Schnell strich Joey sich über die Stirn. Tatsächlich hatte sich wieder ihre alte Falte zwischen den Augenbrauen gebildet. "Wahrscheinlich hast du Recht", gab die Brünette jetzt zu und ließ sich auf einen der Küchenstühle sinken.

Auch Gale gesellte sich zu ihr und sah sie dann fragend an. Sie wusste ganz genau, dass Joey von allein reden musste. Wenn sie die junge Frau drängen würde, würde sie nur noch verschlossener und unsicherer.

Etwas nervös knibbelte Joey an ihrem Daumen und schaute auf den Boden. "Ich bin schwanger", flüsterte sie schließlich leise.

"Aber das ist doch überhaupt nichts Schlimmes", sagte Gale einfühlsam, nachdem sie für einen Moment etwas erschrocken gewesen war.

"Natürlich nicht", meinte Joey etwas ironisch. Mit einem traurigen Blick schaute sie dann auf. "Ich habe nur keinen Schimmer, ob ich das Baby behalten möchte. Und da dachte ich, dass du mir vielleicht irgendwie helfen könntest. Natürlich kannst du mir die Entscheidung nicht abnehmen, aber du hast ja auch schon mal mit dem Gedanken gespielt, abzutreiben."

Etwas unwohl war Gale schon in ihrer Haut, dennoch nahm sie nun vorsichtig Joeys Hand. "Joey, das mit der Abtreibung muss jeder für sich entscheiden. Natürlich wirst du über alle Risiken aufgeklärt. Aber dennoch muss jede werdende Mutter für sich entscheiden, ob sie wirklich dazu bereit ist."

"Aber wie merke ich, ob ich dazu bereit bin?"

Ein Lächeln huschte über Gales Gesicht. "Du kannst es nicht wissen. Jede Mutter handelte dabei nach ihrem Gefühl. Manche haben einfach das Gefühl, dass sie so das Beste für ihr Kind tun. Sie können es nicht großziehen oder haben keine intakte Familie. Manche können sich einfach nicht von dem kleinen Wesen trennen, welches in ihnen wächst und spätestens, wenn es sie das erste Mal tritt, bereuen sie ihre Entscheidung in keinster Weise."

Betroffen schaute Joey wieder auf den Boden. "Also ist man ein schlechter Mensch, wenn ... wenn man abtreibt?"

Doch Gale schüttelte den Kopf und sah Joey mit warmem Blick an. "Nein, du wärst kein schlechter Mensch. Es ist deine Entscheidung und allein in dir wächst das Kind."

Noch immer sah Joey sie unsicher an. "Danke, Gale. Ich glaube, ich muss einfach über alles nachdenken."

"Mach das, Joey. Und egal wie du dich entscheidest, du kannst immer zu mir kommen."

Sie drückte die Hand der jüngeren Frau und Joey lächelte sie dankbar an. Plötzlich wurde die Stille von Lillys Geschrei unterbrochen.

"Mom! Mom! Wann gibt es Essen?"

Die kleine kam hereingestürmt und blickte ihre Mutter erwartungsvoll an.

Joey stand auf und ließ die Beiden allein. "Danke noch mal. Ich werde dann auch essen gehen. Grüß Jason von mir."

Gale nickte und wandte sich dann ihrer Tochter zu.

Joey verließ das Zimmer und blieb noch einen Moment in der Tür stehen. Gale und Lilly lächelten sich gerade an und Lilly umarmte ihre Mutter, denn es gab ihr Lieblingsessen.

Ein trauriges Lächeln erschien auf Joeys Gesicht. Nun fiel ihr die Entscheidung noch viel schwerer. Was sollte sie nur tun?

~*~

Als Jack aufwachte, dröhnte sein Kopf schlimmer als nach jedem Kater, den er in seinem ersten College Jahr gehabt hatte. Er hatte bestimmt nur eine Stunde geschlafen, aber er fühlte sich wie nach einer durchzechten Nacht. Er setzte sich auf und stützte seinen Kopf in die Hände. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht. Sein Blick fiel auf den Boden, auf den Fleck, auf dem noch vor einer Stunde Jen gestanden hatte. Langsam stand er auf und starrte weiterhin auf den Boden.

Schließlich schüttelte Jack über sich selbst den Kopf. Jen war tot. Er hatte einfach nur geträumt. Sie war nicht hier gewesen, weil sie nicht mehr lebte. Sie konnte nicht hier gewesen sein. Aber wenn doch?

Babygeschrei riss ihn aus seinen verworrenen Gedanken. Jacks Augen ruhten noch für einen letzten Augenblick auf dem Punkt im Zimmer, an dem er Jen gesehen hatte. Dann ging er mit schnellen Schritten in das Kinderzimmer seiner kleinen Tochter. Amy hörte sofort auf zu schreien, als sie Jack erblickte.

"Hey Baby!" Jack lächelte sie an. "Hast du gut geschlafen?"

"Pacey!", gluckste Amy frisch ausgeschlafen. Jack hob seine kleine Tochter aus ihrem Bettchen.

"Der ist bei Tante Joey!", erklärte Jack ihr grinsend.

"... oey!", wiederholte Amy brav.

"Genau", pflichtete Jack ihr bei und ging mit ihr auf dem Arm in die Küche.

Amy lachte glockenhell.

Jack verdrängte seine Gedanken über das merkwürdige Erscheinen seiner toten, besten Freundin und setzte Amy in den Kinderstuhl. Er nahm eines der Lätzchen, die frisch gewaschen auf der Anrichte gestapelt waren.

"Bert!", versuchte die Kleine den Namen der Sesamstraße Figur zu erraten, die auf das Lätzchen gedruckt war.

"Nicht ganz, Süße." Jack lachte. "Es ist Ernie."

Er band ihr das Lätzchen um und erzählte weiter: "Aber im Prinzip ist es bei den beiden egal. Sie sind ein nettes Pärchen."

Amy beobachtete mit großen Augen wie Jack zum Schrank ging und ein Gläschen mit Babynahrung herausnahm. Sofort öffnete sie ihren Mund, wie ein kleines Vögelchen den Schnabel, das die Fütterung erwartete.

Jack lachte. „Gleich kriegst du was zum Essen, Spätzchen.“

Er setzte sich zu Amy an den Tisch, öffnete das Früchteglas und begann das Kind zu füttern. Amy schmatzte laut und ließ es sich gut gehen. Schließlich wurde sie von ihren Daddies verwöhnt und hatte eine wunderschöne Kindheit vor sich.

Jack seufzte, als er Amy wieder einen Löffel in den Mund schob. Zwar hatte sie eine wunderschöne Kindheit vor sich, aber ohne ihre Mutter. Verdammt, warum war Jen ihm nur im Traum erschienen? Warum war sie nicht erschienen in Fleisch und Blut?

"Da-ddy!", beschwerte Amy sich, als der nächste Löffel ausblieb.

Geistesabwesend fütterte Jack das Mädchen weiter, doch seine Gedanken blieben bei Jens Erscheinung, die er im Schlaf gesehen hatte. Er war sich mittlerweile sicher, dass es nur ein Traum war, ein ziemlich lebendiger und ziemlich schöner, aber mehr eben nicht. Auch wenn er sich wünschte, sie wäre wirklich da gewesen.

Plötzlich stieß der Wind das Fenster auf und die weißen Vorhänge flatterten im kühlen Wind, der über den Strand wehte.

"Warte kurz." Jack legte den Löffel auf den Tisch und stand auf. Amy starrte das Gläschen hungrig an, während Jack zum Fenster ging, und griff danach, aber ihre Arme waren viel zu kurz, als dass sie es hätte erreichen können.

Jack schloss das Fenster und blickte sehnsüchtig hinaus. Wie gerne würde er wieder mit Jen den weißen Strand entlang spazieren ...

"Da bin ich wieder", erklang eine sanfte, melodische Stimme. Jack fuhr herum. Da stand sie wieder.

Jen.

Ihre Haare waren nach oben gesteckt und eine zarte Blüte in rosa steckte in ihren Haaren. Sie schenkte ihm ihr strahlendes, engelhaftes Lächeln. Der Stoff ihres hellblauen Faltenrockes glänzte im Sonnenlicht. Sie ging barfuss und ihr weißes Top glitzerte im Sonnenlicht.

Amy sah von Jack zu Jen und wieder zurück zu Jack.

"Jen?" Jack blieb wie erstarrt am Fenster stehen. Ungläubig sah er sie an. Er konnte nicht träumen, er war hellwach.

"Sieh mich nicht so an, natürlich bin ich's!" Jen kam näher und setzte sich auf einen freien Stuhl.

"Hi Süße!" Sie streckte ihre Hand aus und streichelte durch Amys Haar. Das Mädchen begann zu lachen. Als Jen ihre Hand wieder sinken ließ, sah Amy Jen mit ihren großen Kinderaugen an, als wüsste sie, wer die Blonde war.

Jack setzte sich wieder auf seinen Stuhl und fragte: "Bleibst du dieses Mal länger hier?"

"Natürlich! Ich lasse dich doch nicht mehr allein." Jen griff nach Jacks Hand und hielt diese fest. Ihre Hand kribbelte wohlig auf seiner Haut.

Er lächelte, auch wenn er verstand, warum sie wieder hier war.

"Erzähl mir von dir und Doug", forderte Jen Jack auf. Und Jack begann zu reden, glücklich, seine beste Freundin wieder zu haben. Diese Gespräche hatte er so vermisst. Jen hatte ihm immer geholfen. Und nun tat sie es wieder.

~*~

Ein sanfter Wind strich über die wunderschöne Landschaft von Capeside. Jack schob den Kinderwagen mit Amy vor sich her. Das kleine Mädchen trug einen weißen Strandhut auf seinen blonden Löckchen.

"Weißt du, ich glaube, ich habe Doug irgendwie verletzt. Oder auch nicht. Er sagt, es ist okay, aber vielleicht ist es ja doch nicht okay", erzählte Jack gerade. Der Weg, der durch den kleinen Park führte, war von der Sonne beschienen. Liebespaare waren unterwegs, Jogger und Hundebesitzerinnen. Eine brünette Frau mit einem schwarzen Wuschelhund ging vorüber. Sie grinste die beiden an.

"Süßes Baby!", rief sie ihm nach. "Und süßer Daddy!"

Jack lächelte: "Ja, ich werde immer noch von Frauen angebaggert."

Er sah neben sich ins Leere und sprach weiter: "Und dann sehen sie mich Hand in Hand mit Doug und ärgern über sich über sich selbst."

Nur Jack konnte das Kichern hören, dass daraufhin ertönte.

Was, oder besser wen, die brünette Frau nicht gesehen hatte, sah Jack nur umso deutlicher. Jen. Sie trug einen Spitzenrock und auch ihre Bluse war aus Spitze. In Jacks Fantasie war sie so bezaubernd, so unglaublich schön.

"Ihr zwei seid das perfekte Paar", meinte Jen schmunzelnd.

"Zurzeit leider nicht." Jack chauffierte Amy über einen Hügel. Ein paar Blumen blühten schon in voller Pracht und Jack blieb stehen, um Amy ein paar Blumen zu pflücken.

"Das wird schon wieder. Ihr seid doch noch jung", witzelte Jen.

Jack gab Amy ein kleines Sträußchen Blumen. Dann schob er sie weiter und Jen wich nicht von seiner Seite. Er nickte zustimmend und sah sie wieder an. Er konnte sich an ihr gar nicht satt sehen. Er hatte sie so unglaublich vermisst.

"Diese Gespräche haben mir so gefehlt." Jack betrachtete sie. Es war wie ein Wunder, sie wieder bei sich zu haben. Die Müdigkeit der letzten Tage war von ihm abgefallen. Er fühlte sich so befreit und gut gelaunt wie schon seit langem nicht mehr. Auch hatte er seine Beziehungsprobleme vergessen. Ihm war alles egal. Alles was zählte war, dass Jen wieder bei ihm war.

Die drei kamen an einen Eisstand.

"Eis!", jubelte Amy und sah mit großen Augen hinauf zu Jack. Normalerweise hätte er sich diese Zuckerbombe für sein kleines Mädchen zweimal überlegt, aber er war heute einfach zu unbeschwert.

"Und welche Sorte darf es sein?", fragte Jack nach.

"Scho!", meinte Amy ohne zu überlegen.

"Das soll Schokolade bedeuten, nicht wahr?", fragte Jen nach und sah ihre kleine Tochter fragend an.

Jack stoppte: "Ja, so ist es. Bin gleich wieder da."

Jen winkte ihm hinterher.

Jack ging zu dem Stand, kaufte zwei Eistüten - zwei Kugeln Schokolade für Amy und eine Kugel Zitrone für sich selbst - und kehrte dann zu den Beiden zurück. Während Amy bedächtig ihr Eis schlabberte wurde sie zu einer Bank kutschiert und in den Schatten gestellt.

Jen und Jack setzten sich.

Jack war nach der letzten Stunde wie ausgewechselt. Alle seine Erinnerungen waren mit Jen verbunden. Er bewunderte sie dafür, wie schlagfertig, wie eloquent, wie fröhlich, wie intelligent sie war ... gewesen war.

"Was kuckst du mich so verklärt an?" Jen blinzelte gegen sie Sonne.

Jacks Blick wanderte zu Amy.

Jen grinste: "Ich weiß nicht ... sie hat mich ja lange nicht mehr gesehen."

Und Jack dachte für nur einen Moment; *Ach ja ... Sie ist ja tot.*

Doch dann begann Jen zu fragen, für was Amy sich besonders interessierte und Jack hörte auf darüber nachzudenken. Es war ja nicht wichtig. Jen war hier bei ihm und das allein zählte. Er begann davon zu erzählen, wie sehr Amy auf Disney Märchen stand und welche Sorte Babybrei sie am liebsten mochte.

"Hat sie denn schon gesprochen?", fragte Jen lächelnd. "Außer natürlich Abkürzungen von Eissorten."

"Ja. Amy kennt jeden aus der Clique mit Namen", erklärte Jack. Jen sah ihn auffordernd an: "Beweise!"

Jack beugte sich zu Amy und bat die Kleine: "Sag ‚Jen'."

Amy unterbrach ihr geschäftiges Eisessen, sah auf und quietschte brav: "Jen."

"Das ist ja Klasse", freute Jen sich.

"Toll, nicht?" Jack strahlte und begann davon zu erzählen, was Amy sonst noch so anstellte.

Für einen Spaziergänger musste es so klingen, als erzählte Jack Amy etwas und nicht seiner verstorbenen Freundin.

~*~

Ashley lag auf dem weinroten, bequemen Sofa. Die Sonne schien warm durch das große Fenster in das Wohnzimmer der Harpers. Auf dem kleinen Wohnzimmertisch stand eine Kanne Kamillentee. Hin und wieder nahm sie ein Schluck aus der Tasse, in der der Beruhigungstee vor sich hin dampfte.

Im Hintergrund lief klassische Musik. Ashley wippte mit ihren Füßen im Takt mit.

Die Blondine las in einem Liebesroman. Andie hatte ihr das Buch geliehen. Vielleicht, damit Ashley vor lauter Langweile keine Panikattacke bekam. Das Buch handelte von einer jungen, blonden Frau, die mit dem Auto von der Straße abkommt und in einen Bach fährt. Ein junger, charmanter Mann mit Waschbrettbauch rettet sie und die beiden verlieben sich ineinander. Es war eine durch und durch kitschige Liebesgeschichte, aber irgendwie gefiel Ashley die Illusionen, die der Autor erschaffen hatte. Ashley seufzte.

Hoffentlich kam Justin bald wieder zurück! Sie hörte, wie jemand die Tür aufschloss. Justin? Konnte es Justin sein?

"Ich bin wieder daaaa!", tönte es vom Flur her.

Nein, es war nur Andie. Ashley seufzte nochmals. Klar, Justin konnte es nicht sein. Aber Andie war auch okay.
Diese war einkaufen gegangen. Sie half Ashley wo sie nur konnte. Dabei ging es weniger um Ashleys panische Anfälle, die Andie verhindern wollte. Andie wollte sich einfach nur erkenntlich zeigen. Nicht jeder ließ Fremde so einfach bei sich zu Hause wohnen.

"Wir könnten heute Abend etwas Chinesisches kochen", hörte Ashley Andie erzählen. "Es ist so ein Fertigding. Aber die Beilage aus Gemüse können wir ja selbst machen." Andie zog ihren Mantel aus, schlüpfte aus ihren Sneakers und kam zu Ashley ins Wohnzimmer. Sie setzte sich zu ihrer Gastgeberin aufs Sofa.

"Klingt gut." Ashley lächelte und legte das Buch weg.

"Und weißt du, was wir noch machen könnten? Ist mir so eingefallen, als ich am Regal mit den riesigen Chipstüten und dem Mikrowellenpopcorn vorbei gegangen bin. Wir könnten am Wochenende eine Party schmeißen!"

Ashley sah Andie fragend an. Die Blondine plauderte fröhlich vor sich hin und klärte so die erstaunte Ashley auf: "Ich meine, ohne Alkohol und Drogen, natürlich. Aber mit der ganzen Clique, mit guter Musik und ... Chips! Was sagst du dazu?" Ashley wollte antworten, aber Andie plapperte einfach weiter: "Du könntest neue Kontakte knüpfen. Ich kenne eine Menge Leute, die du nicht kennst und mit denen könntest du dann ein bisschen sprechen."

Ashley grinste. Andie redete sich gerade schön in Hochform.

"Wenn dir die Vorbereitung zu viel ist, übernehme ich das, wenn du nichts dagegen hast", fügte die junge Frau schließlich noch hinzu.

Diesmal kam Ashley zu Wort: "Klingt auch gut. Super Idee." Ashley lächelte. So konnte sie sich wenigstens ablenken, bis Justin wiederkam.

"Du, du bist einverstanden? Echt?", vergewisserte Andie sich.

"Klar. Wird bestimmt ... spaßig", versicherte Ashley.

"Wirklich? Das ist ja klasse!" Andie fiel ihr um den Hals, dabei stieß sie die Teetasse um und konnte sie gerade noch so auffangen.

Ashley lachte. Andie war ihr in der kurzen Zeit zur sehr guten Freundin geworden. Und durch die Party konnte sie nicht nur neue Menschen kennen lernen, sondern auch mal wieder richtig Spaß haben.

"Oh, das wird ja so cool!", freute Andie sich und ließ von Ashley ab. Sie lief in die Küche und Ashley folgte ihr, um auch mitzubekommen, was Andie losblubberte.

"Pacey hat echt gute CDs, damit hätten wir schon mal die Musik für die Party." Andie begann, eine ihrer drei Einkaufstaschen auszuräumen. "Wir müssen dann natürlich noch mal einkaufen gehen, aber hey, macht doch nichts. Haben wir eh gleich. Wir können diese scharfen Tortilla-Chips kaufen, auf die Joey so steht. Joey und Pacey kommen bestimmt ..."

Andie sprach ohne Punkt und Komma. Ashley hörte ihr genau zu und half ihr beim Auspacken. Die Frau war ja voller Tatendrang!

"Ob Dawson auch kommt? Ich kann ja mal anrufen", sagte Andie, als sie mit einer Flasche Shampoo ins Bad ging.

Ashley hörte Andie im Badezimmer weiterreden und lachte. Sie freute sich auf die Party und Andie schien es besonders zu gefallen, das Ganze zu planen.

~*~

Am Abend schloss Joey die Tür zu Paceys Apartment auf. Überrascht blieb sie gleich in der Tür stehen. Dämmerlicht schlug ihr entgegen und auf dem Fußboden lagen überall Rosenblätter. Mit einem Lächeln kniete sie sich nieder und strich über die einzelnen Blätter. Sie stand wieder auf und machte sich auf die Suche nach Pacey.

Sie fand ihn schließlich in der Küche und beobachtete ihn einen Moment schweigend. Sein Gesicht war total konzentriert und seine Hände schnitten den Basilikum perfekt. Auch der Tisch war total liebevoll gedeckt.

Der Schein der Kerzen erleuchtete ebenso die Weingläser und die Teller. Auf jedem der Teller lag eine rote Herzserviette. Völlig fasziniert starrte Joey auf den Tisch und wieder zu Pacey. Dieser hatte sie mittlerweile entdeckt und kam auf sie zu.

"Hey, Joey."

"Hallo, Pacey", stotterte diese und sah ihn mit glänzenden Augen an. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht ihres Freundes und auch sie musste lächeln. "Für wen hast du denn so schön gekocht? Muss ich mich jetzt verstecken, damit du einen ruhigen Abend mit der bezaubernden Dame haben kannst?"

Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht und Pacey schlang seine Arme um ihre Taille. "Ich weiß nicht ob sie eine Dame ist, aber auf jeden Fall ist sie wunderschön", erwiderte Pacey auch mit einem Grinsen.

Nun musste Joey lachen und schlug ihm spielerisch auf die Schulter. "Hey!"

"Ist ja schon gut. Am besten setzt du dich schon mal. Das Essen ist auch in wenigen Minuten fertig."

Mit einem Nicken setzte sich Joey schließlich. Noch immer lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht, doch plötzlich wurde sie etwas unsicher. Warum hatte Pacey dies alles gemacht? War nicht sie diejenige, die sich entschuldigen sollte?
"Wie komme ich eigentlich zu der Ehre?", fragte sie deshalb mit zitternder Stimme.

"Ich hatte einfach Lust dazu uns etwas Schönes zu kochen. Außerdem hatten wir schon so lange keinen entspannten Abend mehr."

Doch nun war Joey alles sonnenklar. Mit einem ironischen Lächeln schaute sie sich alles nochmals genau an. Das letzte Mal als er so ein Theater veranstaltet hatte, hatte er ihr etwas sehr Unangenehmes zu verkünden gehabt. Doch diesmal schien es einen total anderen Grund zu haben. "Ich war heute übrigens bei Gale. Ich soll dich von ihr grüßen."

"Dankeschön. Ich möchte heute Abend aber wirklich nicht über Gale reden", erwiderte Pacey kurz angebunden und stellte ihr dann einen perfekt aussehenden Teller, herrlich duftenden Teller hin. "Voila." Er hatte Lammsteak zubereitet, dazu gab es Kroketten und grüne Bohnen.

Mit einem halben Lächeln bedankte sich Joey und fing und blickte einen Moment länger auf ihren Teller.

Der Satz gerade hatte ihre Vermutungen nur noch bestätigt. All die Kerzen, die Rosenblätter, das gute Essen. Er wollte sie ein zweites Mal fragen, ob sie ihn heiraten wollte. Eigentlich wäre sie stolz auf ihn, da er für das kämpfte, was er haben wollte. Wäre es nur nicht diese eine Sache. Doch da wurde ihr noch etwas Anderes bewusst. Sie musste ihm von ihren Bedenken wegen der Schwangerschaft erzählen. Er wusste schließlich nichts davon. Während sie gegrübelt hatte, hatte er sich nur auf das Kind gefreut und war nicht mal auf sie eingegangen, sodass er ihre schlechte Laune entdeckt haben könnte.

Durch seinen Blick wurde sie wieder in die Realität geholt. "Schmeckt es nicht?", fragte er besorgt, denn sie schien ein ziemliches Gesicht zu ziehen.

"Doch, doch", beeilte sich Joey schnell zu sagen und zwang sich zu einem Lächeln. Doch in ihrem Inneren war ihr gar nicht zum Lächeln zumute. Wie sollte sie ihm nur beibringen, dass sie vielleicht abtreiben wollte? Besonders da er noch gar nichts davon wusste, dass sie schon eine Weile darüber nachdachte und sich ausführlich damit beschäftigt hatte.

Er träumte doch noch immer den Traum von er perfekten Familie. Sie würden in Capeside leben, er wäre Restaurant-Besitzer, sie Hausfrau und irgendwann würden die beiden, wenn sie alt wären in einem alten Haus leben. Doch sie konnte es ihm auch nicht verübeln, denn sie hatte ihm ihre Gedanken auch nicht mitgeteilt. Seufzend lächelte sie noch immer. Auf jeden Fall musste sie es ihm nun sagen, denn ansonsten würde er ihr wirklich einen Heiratsantrag machen und wüsste dazu noch nicht mal, ob sie überhaupt ein Kind bekommen würden.

"Pace", begann Joey nach einigen nachdenklichen Sekunden, die sich wie Stunden hingezogen hatten. Sie atmete nochmals tief durch. "Hast du dieses romantische Ambiente geschaffen, um ..." Sie gestikulierte, während sie versuchte möglichst gefühlvoll ihren Gedanken in Worte zu fassen. "... mich erneut zu bitten, deine Frau zu werden?"

Er legte sein Besteck zur Seite und sah sie fest, jedoch mit einem sanften Lächeln auf den Lippen an. "Ist es so offensichtlich?"

"Es liest sich praktisch wie ein Kitschroman, wenn ich mich hier umsehe." Um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, breitete sie ihre Arme aus und zeigte auf die jeweiligen Beispiele, wie die Rosenblätter, das Essen und so weiter. "Nur eine dumme Frau würde nicht sofort draufkommen, was du im Schilde führst."

"Also?", entgegnete er unbeeindruckt.

"Was also?"

Zögerlich sprach er aus, worauf sie angeblich nicht selbst kam: "Wirst du mich heiraten, Joey?"

Nun war sie es, die das eben aufgenommene Besteck wieder sinken ließ. Sie schien in sich zusammen zu sacken, während sie geräuschvoll die Luft aus ihren Lungen entweichen ließ. "Wir haben doch schon darüber gesprochen, Pace." Joey versuchte möglichst die Beherrschung zu wahren, doch es fiel ihr nicht leicht so zu tun, als würde sie diese inzwischen dauerhaft präsente Frage nicht dazu treiben die Flucht zu ergreifen. Warum konnte er es nicht einfach dabei belassen, dass sie einfach zusammen waren. Dass sie zusammenziehen und langsam einen Schritt nach dem anderen machen würden? Was drängte ihn derartig zu dieser Hochzeit, wenn nicht das Kind? "Und wie gesagt", sie rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken, genau an der Stelle zwischen ihren Augen, "ich war heute bei Gale und ... ich weiß nun, was ich will."

"Inwiefern?" Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als sein Gesicht von verletzt zu interessiert wechselte.

"Was das Baby angeht. Ich habe die letzte Zeit ausführlich darüber nachgedacht und ich kann nicht mehr sehr viel länger mit der Entscheidung warten ..."

"Komm zum Punkt." Nun war er es, der kurz davor schien die Geduld zu verlieren. Etwas sagte ihm, dass ihm nicht gefallen würde, was Joey hinauszögerte beim Namen zu nennen.

"Ich bin jetzt noch nicht bereit für das Kind. Ich werde es abtreiben lassen."

"Du willst unser Kind umbringen?", fragte er plötzlich außer sich, so dass Joey regelrecht erschrak.

Sie konnte gar nicht so schnell schauen, wie er sich von seinem Platz erhoben und die Serviette auf seinen Teller geworfen hatte. Sein verächtlicher Blick hatte absolut nichts Liebevolles mehr und es kam Joey für eine Sekunde so vor, als hätte Pacey mit einem Mal die Persönlichkeit gewechselt. So außer Rage hatte sie ihn lange nicht mehr gesehen. Sehr lange nicht mehr ...

"Diese Entscheidung", fuhr er nicht minder beherrschter fort, "kannst du dich einfach so allein fällen. Es ist verdammt noch mal auch mein Kind!"

"Ja!", schrie sie nun ebenfalls, "aber es ist mein Körper! Es ist mein Leben! Und ich kann und will jetzt noch kein Kind bekommen."

"Ist es tatsächlich der falsche Zeitpunkt oder willst du nur von mir kein Kind? Immerhin willst du mich ja auch nicht heiraten, nicht wahr? Dann können wir uns doch auch gleich trennen!" Vor lauter Wut wurde sein Gesicht allmählich rot, während er aus Leibeskräften schrie. "Wenn du mein Kind umbringst - denn genau das ist eine Abtreibung in meinen Augen - dann wage es nicht, mich jemals wieder anzusprechen! Ich kenne dich dann nicht mehr!"

Sie zuckte merklich bei seinen Worten zusammen und schwankte zwischen Tränen der Verzweiflung und ebenso großer Wut, da sie sich gerade von Pacey Unterstützung erhofft hatte, anstatt dieser Vorwürfe und der Verbitterung. "Fein", sagte sie nach einiger Zeit und presste die Lippen dabei so sehr aufeinander, dass sie eine schmale Gerade bildeten. "Dann sind wir wohl nicht füreinander bestimmt." Sie nahm ihre Schlüssel vom Tisch und wandte sich ihm Gehen nochmals nach Pacey um. Die Tränen nur mühsam unterdrückend presste sie zwischen den Zähnen hervor: "Danke, für deine Unterstützung!" Und damit ließ sie Pacey zurück.

Dieser fuhr fassungslos zusammen, als die Tür hinter Joey ins Schloss fiel, sodass sogar die Fensterscheiben kurz vibrierten. Wie in Trance ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und fragte sich, was da eben schiefgelaufen war? Wie es dazu kommen konnte, dass sie sich trennten, wo er ihr doch erneut einen Antrag hatte machen wollen?
War es möglich, dass sie im Recht war? Dass sie nie füreinander bestimmt waren und sie eben an der Zerreißprobe ihrer Beziehung gestanden und diese verloren hatten? Seine traurige Verzweiflung verschwand, als er einen markerschütternden Schrei ausstieß und mit einem Mal den Tisch abräumte, indem er ihn auf seiner Seite hochstemmte, sodass das gesamte Geschirr samt Essen mit einem ohrenbetäubenden Klirren zerbrach. Dann verrauchte sein Zorn ebenso schnell, wie er gekommen war und er sackte weinend in dem sprichwörtlichen Scherbenhaufen seiner Beziehung zusammen.

~*~

Als Jack, Jen und Amy vor dem Strandhaus angekommen waren, war Doug noch bei der Arbeit. Die späte Nachmittagssonne hing am Himmel und verbreitete eine fast schon romantische Atmosphäre. Jack entdeckte die Plastiktüte sofort, die an der Hausmauer lehnte und auf der in roten Lettern ‚Babies World‘ stand.

"Geh schon mal mit Amy vor", meinte Jack.

"Klar!" Jen nickte und ihre Haare flatterten im sanften Wind. Jack schloss die Tür für Mutter und Tochter auf. Amy tapste voraus, ins Wohnzimmer und Jen folgte ihr im wehenden Kleid.

Jack sah den Beiden hinterher, bückte sich dann und griff nach der Tüte. Langsam zog er den Inhalt heraus. Auf einem rosa T-Shirt lag ein Notizblatt. Jack entzifferte die Nachricht, die schnell mit Lippenstift dahin gekritzelt worden war.

"Küsschen von Tante Joey", las Jack laut vor und grinste. Das T-Shirt war richtig süß und war definitiv Amys Geschmack.

Amy hatte heute Nachmittag viel Spaß gehabt und auch Jack hatte sich seit seinem Ausflug mit Doug auf die Bahamas nicht mehr so wohl gefühlt. Er wusste nicht genau, ob er Jens Existenz anzweifeln sollte. Jack konnte ja genauso gut zufrieden mit dieser Situation sein. Es war nun mal gut so, sie bei sich zu haben.

Mit dem T-Shirt in der Hand ging er ins Haus. Die Nachricht ließ Jack in seiner Hosentasche verschwinden, damit keiner die Sache mit der guten Fee bezweifeln konnte. Er wollte sich keine Gedanken über Jens ‚Auferstehung‘ machen.

Jack betrat das Wohnzimmer.

"Amy, ich glaube, heute ist dein Glückst ..." Jack brach mitten im Satz ab. Er hatte den Kopf gehoben und das Unfassbarste für ihn in der ganzen Welt gesehen: Jen stand am geöffneten Fenster. Sie hielt Amy mit nur einer Hand am Bauch fest und ließ die Kleine hinaus baumeln.

"Oh Gott, nein! Jen!" Jack lief los. Erfüllt von Panik zerrte er Jen vom Fenster weg und nahm Amy an sich. Das T-Shirt hatte er fallen gelassen. Amy begann zu weinen, während Jen sich langsam in den hinteren Teil des Wohnzimmers zurückzog. Jack wich ein paar Schritte rückwärts und streichelte Amy über den Rücken. Er schloss die Augen. Das eben war nicht passiert ... Dann begann Amy noch lauter zu weinen und ihm wurde bewusst, dass es eben doch passiert war.

"Warum hast du das getan?", fragte er krächzend, während er die Augen öffnete. Ihm schossen tausend Fragen durch den Kopf. Warum wollte Jen ihre eigene Tochter verletzen?

Ja, Jack wusste, dass Jen eine wilde, unberechenbare Seite hatte, aber so kannte er sie nicht. So war sie nicht. Amy rollten Tränen über die Wange, sie waren nicht mehr zu stoppen. Jen hatte Amy Angst gemacht.

Und Jen machte ihr noch mehr Angst, als sie Jack anblaffte: "Amy hat das gefallen, du Idiot! Sie ist meine Tochter, kapiert?"

Ihre Stimme klang überdreht, unnatürlich. Auch Jack bekam Angst.

"Ruhig, Süße", beruhigte Jack das weinende Kind, doch er selbst konnte ruhig werden. Er schloss erneut die Augen. Er war verwirrt. Und dann fühlte er sich, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Als stürze er in einen endlosen Tunnel. Ihm wurde schlagartig klar, dass Jen nicht wirklich da sein konnte. Dass sie nur Einbildung war. Er war müde, er war depressiv. Kein Wunder, dass er sich so etwas vorstellte. Auch wenn es eine wunderbare Vorstellung war, bis vor ein paar Minuten, als Amy mit hineingezogen wurde.

"Du bist tot", hauchte er, als er die Augen öffnete.

Amy hatte aufgehört zu weinen. Sie lag ruhig in seinen Armen und sah sich erwartungsvoll um. Als wäre es nicht passiert. War es denn passiert? Jen stand mit einem charmanten Lächeln in der Mitte des Raumes.

"Aber du machst mich wieder lebendig!" Ihre Stimme klang wieder klar und mild.

Jack sah zu Amy hinunter. Dem Mädchen war ja nichts passiert. Er blickte wieder zu Jen.

"Sieh mich nicht so an wie ein Hundebaby, das sich verlaufen hat", flötete Jen und kam auf Jack zu.

"Du wolltest ihr weh tun", sagte Jack.

Noch sprach die Vernunft aus ihm, doch seine Skepsis schwand. Er wollte sich Jen nicht wieder wegnehmen lassen.

"Nein, Jack." Sie sah ihn an.

Jack schmolz dahin. Er musste eben in Zukunft besser aufpassen.

"Lass mich bei dir bleiben." Jen schlang ihre Arme um ihn und Amy. "Lass uns eine süße Familie sein. Die süße Familie, die du dir wünschst."

Auch wenn Jack eigentlich klar war, dass diese Umarmung nicht stattfinden konnte, genoss er sie.

Später lag Jack im Bett. Der Mond schien durch das Fenster herein. In dem schwachen Schein konnte Jack Dougs Gesicht erkennen. Jede Nacht lag er nun so da seit ... seit sehr langer Zeit. Ruhigen Schlaf konnte er ja kaum finden.

Jack starrte ihn an und dachte nach. Doch diesmal drehte sich seine Grübelei nicht um seine Beziehung mit Doug. Diesmal kreisten seine Gedanken nur um Jen. Nicht um den Verlust seiner besten Freundin vor fast einem Jahr, sondern um ihr plötzliches Auftauchen. Er vermisste Jen so sehr, dass er sie sich einbildete. Träumen von ihr war natürlich, doch diese Fantasie grenzte an Wahnsinn!

Jack überlegte kurz, Doug zu wecken und ihm vom heutigen Nachmittag zu erzählen, aber Doug würde ihm nur raten, eine Therapie zu machen. Auf irgendeine Weise war Jack ja klar, dass das bestimmt helfen könnte, doch dann wäre die Chance, Jen bei sich zu haben, vertan. Und das wollte er nicht zulassen. Jack drehte sich um, starrte durch das Fenster in die Nacht und war bald darauf eingeschlafen.


Fade to black...


Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein:

Feature

Commilitones 1 - Waffenbrüder von Severin Sesachar P16 (Mature)
[Alternative Erzählung zur Ezio-Trilogie] Ein skandalumwitterter Künstler...

New

Commilitones 1 - Waffenbrüder von Severin Sesachar P16 (Mature)
[Alternative Erzählung zur Ezio-Trilogie] Ein skandalumwitterter Künstler...

Random

7.11 - Nacht der Enthüllungen von Anna-Lena P6 (General)
Die Party bei den Harpers steht unter einem schlechten Stern; so sieht es jedenfalls...