Lost von Aniron

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Kapitel Bemerkung: Alle erwähnten Personen und Schauplätze sind Eigentum von J.R.R Tolkien und seinen Erben, und ich verdiene nichts an dieser Geschichte.
Nacht legte sich über den Wald von Brethil, als das Fest zu Ende ging und die Bewohner sich in ihre Hütten zur Ruhe begeben hatten. Es war ein rauschendes Fest gewesen, welches sie zu Ehren Turambars, der sich heute mit dem Mädchen Nìniel vermählt hatte, gefeiert hatten. Auch das Paar hatte den Festplatz schon verlassen und sich in ihr neues Haus am Amon Obel zurückgezogen, und so schien das kleine Dorf auf den ersten Blick menschenleer. Eine einzelne Gestalt jedoch schien zu dieser späten Stunde noch wach zu sein. Sie sass vor einem Haus auf einem hölzernen Hocker und sah hinauf in den wolkenlosen Himmel. Helles Mondlicht tauchte das lange, dunkle Haar des Mannes in einen silbrigen Schein. Eine hölzerne Krücke lag in unmittelbarer Reichweite auf dem Boden. Trauer hatte sich während des ganzen Tages in Brandirs Herz geschlichen, obwohl es doch eigentlich ein Freudentag hätte sein sollen. Doch nicht für ihn, hatte er doch heute das Liebste in seinem Leben auf immer verloren. Zeitgleich hatte ihm dieses Fest unerbittlich das Herz zerrissen, die fröhlichen Gesichter der Menschen ihn verhöhnt. Er war wohl der Einzige, der sich wünschte, dass dieser Tag niemals stattgefunden hätte.

Brandir musste an jenen schicksalshaften Frühling vor zwei Jahren zurückdenken, als Turambar mit seinen Gefährten ins Dorf zurückgekehrt war; in ihrer Mitte trugen sie Níniel, welche an einem Fieber erkrankt war. Woher das schöne Mädchen mit dem goldenen Haar herkam, oder wer sie war, konnte keiner der Rückkehrer sagen. Die Männer hatten sie bewusstlos auf dem Haudh-en-Elleth gefunden. Das einzige Wort, welches die Unbekannte nach ihrem Erwachen gesprochen hatte, war „Níniel“ gewesen, der Name, den Turambar ihr daraufhin gegeben hatte. Doch während einer Rast wurde Níniel von einem heftigen Fieber gepackt, welches sie selbst bei der Ankunft in Ephel Brandir nicht verlassen hatte. Das waren die Worte seiner Männer gewesen, und Brandir hatte nicht den geringsten Anlass, ihnen diese Geschichte nicht zu glauben. Dennoch war da etwas in der Luft, ein Schatten, der ihn unruhig hatte werden lassen. Trotzdem hatte Brandir sich entschlossen, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, um das Mädchen zu heilen. Zusammen mit den Frauen von Brethil, welche Tag und Nacht an Nìniels Lager wachten, pflegte er das Mädchen, damit sie wieder gesund werden würde.

Ein bitteres Lächeln zog sich über Brandirs Gesicht, als er dieses vom Himmel abwandte und stattdessen auf seine Hände starrte. Ein dunkler Schatten verdüsterte kurz seine verkniffene Miene. Mit diesen Händen hatte er Níniel gepflegt, hatte sein Möglichstes getan, damit sie wieder gesunden konnte. Und doch hatte sie ihm Turambar vorgezogen, den undurchsichtigen Mann aus der Wildnis, der Mann mit dem schwarzen Schwert Nargothronds. Brandir biss sich auf die Lippen und der Schatten in seinem Herzen verdüsterte sich noch weiter. Sollte er sich nicht darüber freuen, dass Níniel scheinbar in ihrer Liebe zu Turambar doch noch ein wenig Glück gefunden hatte? Brandirs Lächeln wurde noch eine Spur gequälter. Auf diese Frage gab es nur eine Antwort für ihn:
Nein, er konnte sich nicht darüber freuen. Nicht nachdem sich Níniel langsam, aber stetig in sein Herz geschlichen hatte, um es wohl niemals wieder freizugeben. Und dennoch hatte sie sich einem anderen Mann zugewandt und damit in Brandirs Augen einen Fehler begangen. Der Heiler verstand es einfach nicht.

Seit Turambar zu ihnen gestossen war, hatte sich etwas verändert. Brandir konnte es nicht erklären, aber es beunruhigte sehr. Auf diesem Mann lag ein dunkler Schatten, ein schweres Schicksal, auch wenn sich bis heute Brandirs Befürchtungen nicht bewahrheitet hatten. Seine Gedanken schweiften ab, und wieder nahm Níniel den Platz in seinem Kopf ein. Die Erinnerung an ihr goldenes Haar, ihre blauen Augen und ihr freundliches, lernbegieriges Wesen trieben ein Lächeln auf Brandirs Gesicht.

Er erinnerte sich an die Zeit, als Níniel während ihrer Genesung oft seine Nähe gesucht hatte, damit er ihr die Namen aller möglichen Lebewesen und Dinge verraten würde, und er hatte ihr mit Freuden diesen Gefallen getan. Sie hatte ihm anvertraut, dass ein Dunkel hinter ihr lag, das ihr wohl die Erinnerung an all diese Namen genommen hatte. Er hatte ihr, ohne zu zögern, jedes Wort geglaubt. In dieser Zeit war seine Liebe zu Níniel gewachsen, und schon bald war sie ihm das Wichtigste auf der Welt geworden. Viele Gespräche waren gefolgt, und sie waren zusammen auf den Waldlichtungen spazieren gegangen, wobei Níniel ihn, den Lahmen, beim Gehen gestützt hatte. So hatte sich langsam eine innige Vertrautheit zwischen ihnen entwickelt, von der Brandir gedacht hatte, dass sich niemals jemand dazwischen stellen könnte. Doch er hatte sich geirrt.

Brandir warf einen wütenden Blick auf das Haus, in dem Turambar und Níniel nun wohnten, und stiess ein leises Knurren zwischen den Zähnen hervor. „Warum, liebste Níniel? Warum hast du ausgerechnet Turambar gewählt? Er wird unser aller Verderben sein, siehst du den Schatten nicht, der über seinem Schicksal schwebt?“ Brandirs Stimme wurde am Ende seiner Worte immer leiser, bis er schliesslich nur noch tonlos die Lippen bewegte. Trauer, Wut und Verzweiflung standen in seinem Gesicht, welches er in den Händen vergrub. Seine Schultern begannen zu beben, doch kein einziger Laut entfloh seiner Kehle. Für einige Zeit lang rührte er sich nicht…

Und dann war der Tag gekommen, der alles verändert hatte. Es musste im Jahr davor gewesen sein, als eine glückliche, aber auch aufgeregte Níniel mit einer Neuigkeit zu ihm gekommen war, bei der Brandirs Herz schwer geworden war. „Turambar hat mich gefragt, ob ich seine Frau werden möchte“, hatte sie ihm mit leuchtenden Augen erzählt, und während der Druck in Brandirs Brust immer stärker geworden war, hatte er sich zu einem Lächeln gezwungen. Er hatte kein gutes Gefühl ob dieser Eheschliessung gehabt. Irgendetwas lag in der Luft, oder waren das nur seine eigenen Gefühle für Níniel, die ihm böse Worte einflüsterten?

Er hatte das Mädchen an der Hand gefasst und ihr ernst in die blauen Augen gesehen. „Halte ein, Níniel, bitte überstürze nichts! Ich bitte dich, noch zu warten. Ich will dir nichts Böses, indem ich dir dies rate, glaube mir…“ Sie hatte ihn angelächelt, aber dennoch den Kopf leicht hin und her gewiegt. „Ich weiss, dass ich von dir keine bösen Absichten befürchten muss, und doch frage ich mich, wieso du mir rätst, zu warten. Ich würde gerne seine Frau werden…“ „Níniel, siehst du denn den Schatten nicht, der über ihm liegt?“ „Bin nicht auch ich einem Schatten entronnen, genau wie Turambar? Hat er es nicht verdient, geliebt zu werden und Frieden zu finden? War er nicht einst ein grosser Hauptmann, der seine Feinde in Angst und Schrecken versetzte?“ Brandir war zusammengezuckt und seine Miene ein wenig finsterer geworden. „Ja, das erzählt man sich von ihm, er war der Hauptmann des nun zerstörten Königreichs von Nargothrond. Man munkelt aber auch, er sei der Sohn Húrins aus Dor-Lómin. Bedenke doch bitte, Níniel, dieser Mann lebt für den Krieg auf dem Schlachtfeld. Willst du immer Angst um ihn haben, wenn es ihn erneut in den Kampf zieht?“


Brandir schluckte schwer. Selbst da, als er seine liebste Níniel scheinbar endgültig an Turambar verloren hatte, hatte er noch nicht aufgeben wollen, ihr Herz noch für sich zu gewinnen. Und doch war es ihm bereits da klar geworden, dass dies nur vergebliche Mühe war. Auch als Níniel ihm versprochen hatte, sie würde Turambar bitten, noch zu warten, hatte Brandir gewusst, dass er verloren hatte. Jede von Níniels Gesten und Blicke sprachen von der Liebe, die sie für Turambar empfand. Wer war er denn, dass er das Recht hatte, um eine Frau zu werben, die bereits ihre Wahl getroffen hatte? Brandir ballte die Hände zu Fäusten. Er war ein Niemand, auch wenn er die Führung über die Menschen von Brethil innehatte. Dennoch wusste er, wie wenig er geachtet wurde. Ob es an seinem Wesen, welches den Frieden liebte und mit dem Kriegshandwerk nichts anfangen konnte, oder an seinem verkrüppelten Fuss lag, wusste er nicht mit Sicherheit zu sagen. Níniel war die Einzige gewesen, die ihm seit dem Tod seines Vaters bedingungslose Freundlichkeit entgegen gebracht hatte, vielleicht auch etwas wie freundschaftliche Liebe…

Wider Willen zuckten Brandirs Mundwinkel für einen kurzen Moment kaum sichtbar nach oben, als er sich zu seiner Krücke herunterbeugte, und das glatte, harte Holz in seine Hände nahm. Mit einem Ächzen erhob sich der Heiler von dem Hocker und humpelte die wenigen Schritte in sein Haus hinein. Doch an der Haustüre blieb er noch einmal stehen und sah nochmals zum Himmel hinauf. Auch wenn er Níniels Entscheidung, Turambar zu heiraten, niemals gutheissen würde, so blieb Níniel jedoch auf immer das kleine, wärmende Licht, welches in seinem Herzen brannte.


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