7.05 - Was ist und was sein wird von Nadia, Mona

7.05 - Was ist und was sein wird von Nadia, Mona

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~*~

24. Dezember 2008

Andie träumte nicht. Sie schlief wie ein Stein, dennoch betrat Sasha schleichend das Hotelzimmer. Er hatte eine Menge gut zu machen, das wusste er. Andie konnte verdammt verletzlich sein und er wollte sie um keinen Preis verletzen. Natürlich war dieser Ausflug überraschend gekommen. Doch genau das war doch das Schöne an Andie – sie war immer für eine Überraschung gut.

Sasha trug ein großes Tablett in den Händen. Darauf waren Waffeln, frischer Kaffee und eine Rose platziert. Einen Augenblick betrachtete er noch die Schlafende, dann meinte er leise: »Hey, Süße.«

Wie erwartet drehte Andie sich schlaftrunken zu ihm um. »Sasha?«

»Überraschung. Frühstück im Bett.« Er stellte das Tablett auf die Kommode, kuschelte sich zu ihr unter die Decke und stellte das Tablett dann dazwischen ab.

»Wow«, sagte Andie und roch an der Rose. »Wo hast du die denn aufgetrieben?«

»Oh, nach ein paar Euros war das Zimmermädchen bereit eine zu besorgen.« Sasha beugte sich vor und gab Andie einen Kuss auf die Nasenspitze. »Also, was machen wir heute?«, fragte Sasha eifrig und piekte auf die Gabel ein Waffelhäppchen auf. Er begann, Andie zu füttern.

»Skifahren, was sonst? Und abends kuscheln wir uns vor den Kamin und öffnen alle Geschenke«, schlug Andie kauend vor.

Sasha überlegte kurz: »Ok, gut.«

Andie sah ihn prüfend an. »Ist was?«

»Nein, nein, auch wenn das mit diesem Skiurlaub sehr kurzfristig kam!«

»Sasha, so ist das nun mal mit den Überraschungen. Außerdem ist das doch romantisch«, sagte Andie schnell und ihr Herz begann unruhig zu pochen.

Ob Sasha das hier eigentlich gefiel? Gefiel sie ihm überhaupt noch? All ihre unterdrückten Ängste stiegen plötzlich in ihr auf, doch Sasha hielt ihr ein weiteres Waffelstück hin. Nur zögerlich schnappte Andie es sich. Während sie kaute, sah sie Sasha prüfend an.

~*~

Später lag Andie auf dem Sofa, in eine Wolldecke gewickelt und betrachtete das Feuer im Kamin. Sie und Sasha hatten den ganzen Tag auf dem Berg verbracht, zum Abschluss noch einen Schneemann gebaut. Inzwischen war Andie vollkommen ausgelaugt.

Ihr kam es so vor, als hätte sie den ganzen Tag neben sich gestanden. Sasha war übertrieben freundlich zu ihr gewesen und Andie hatte irgendwie das Gefühl, dass er diesen Urlaub ganz schnell hinter sich bringen wollte. Ob er sie nur einfach so zufrieden stellen wollte, damit sie nicht mehr mit ihren Sorgen anfing, damit sie ihn nicht zuquatschte oder einfach nur mit ihm sprach?

Andie fröstelte es und sie zog die Decke enger um sich.

Aus dem Bad ertönte eine Stimme: »Ich bin gleich fertig!«

»Lass dir Zeit, Schatz!«, rief sie zurück und starrte ins Feuer. Auf dem Wohnzimmertisch lagen die Geschenke und Andie seufzte deprimiert. Sie hatte sich mehr erhofft. Gut, Sasha war liebevoll mit ihr umgegangen, so wie in der Zeit als sie frisch verliebt gewesen waren, doch jetzt wirkte das alles so gekünstelt.

»Lass die Finger von den Geschenken!«, rief Sasha durch die verschlossene Tür.

Andie hörte, wie er mit Cremedosen hantierte. Vom Beruf her waren sie ein perfektes Paar. Äußerlich passten sie auch gut zusammen. Aber wie war es innerlich? Nachdenklich griff Andie nach einem Geschenk, das etwas kleiner war. Sasha hatte es künstlerisch eingepackt, glitzernd, rosa.
Sie hielt es an ihr Ohr und schüttelte vorsichtig. Es klang nicht wie ein Ring. Ob Sasha ihr jemals einen Ring schenken würde? Und wie kam sie überhaupt auf den Gedanken, dass er ihr heute einen schenken würde?

Andie seufzte erneut, legte das Geschenk zurück auf den ‚Gabentisch’ und ging zum Fenster. Sie sah auf die verschneiten Berge. Noch immer fuhren Leute auf ihren Ski über die Pisten. In der Abenddämmerung sah das Glitzern des Schnees noch schöner aus als sonst. Beim Betrachten des Schnees ließ Andie den Tag Revue passieren.

Plötzlich betrat Sasha das Wohnzimmer. »Ok, ich bin fertig.«

Andie drehte sich zu ihm um. »Sasha?«

Er setzte sich auf das Sofa und zündete den Adventskranz neben den Geschenken an.

»Tu doch bitte einmal die Weihnachts-CD in den Player«, antwortete er.

Andie nickte und griff mechanisch nach der CD. »Ich muss dich was fragen ...«

Sie machte die Musik an und »Last Christmas« ertönte.

»Ja?« Sasha sah auf.

»Kannst du mich eigentlich noch leiden?« Andie kam sich bei dieser Frage ziemlich naiv vor, doch anders konnte sie es nicht ausdrücken.

Sasha lachte: »Natürlich ‚mag’ ich dich noch. Sollen wir jetzt die Geschenke auspacken?«

»Ja. Klar«, sagte Andie leise und setzte sich neben ihn. Dass er nicht näher auf ihre Unsicherheit einging, machte sie nur noch verwirrter. Hatte ihre Beziehung denn überhaupt noch einen Sinn, oder hatte sie bereits ihren toten Punkt erreicht und sie beide wollten es nur nicht wahrhaben?

~*~

Sie hatten sich am Weihnachtsbaum verabredet, der wie jedes Jahr auf dem Capesider Weihnachtsmarkt so ziemlich im Zentrum stand. So dass man ihn nur übersehen konnte, wenn man sprichwörtlich blind war.

Als Dawson einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr erhaschte, stellte er fest, dass er gut zwanzig Minuten zu früh dran war. Und so sah er sich ein wenig um und entdeckte nicht allzu weit von sich entfernt einen Stand, an dem heiße Schokolade und Kaffee angeboten wurden. Eine heiße Schokolade war jetzt genau das, was ihn ein wenig aufwärmen würde. Kaffee trank er ohnehin viel zu viel. Also schlenderte er ganz gemütlich in Richtung dieses Standes und kaufte sich das Getränk.

Selbst durch die schützenden Handschuhe vermochte er es zu fühlen, wie heiß die Schokolade war, und so pustete er erst einige Sekunden lang, ehe er den Versuch wagte an dem Becher zu nippen. Trotz des Pustens verbrannte er sich die Lippen, als er den ersten Schluck nehmen wollte und fluchte einen leises »Verdammt«, ehe er den Becher etwas von sich hob.

Plötzlich tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter und er drehte sich abrupt um, um in Joeys Augen zu blicken.

»Hey, Fremder«, grüßte sie ihn strahlend.

»Joey!« Sofort war der Ärger mit der heißen Schokolade vergessen und er nahm sie in die Arme, drückte sie ein wenig länger als sonst. »Wie geht es dir?«

»Gut«, sagte sie und zog eine kleine Schnute. »Und was ist mit dir?«

»Alles okay soweit. Die Serie nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, sodass ich kaum noch ein Privatleben habe. Aber was erzähle ich dir das, das weißt du ja ohnehin schon.« Er lächelte mild und sie erwiderte es mit einem Nicken. »An sich geht es mir gut«, antwortete er schließlich.

»Das ist schön.« Sie hakte sich bei ihm ein uns sah hinüber zu dem großen Tannenbaum, an dem goldene Sterne, Glocken und einige große rote Kugeln hingen. Besonders gut gefiel Joey die einfache Kette aus weißen Lichtern und der Engel auf der Spitze. »Sieh ihn dir an«, flüstere sie verzaubert, »er ist dieses Jahr besonders schön, finde ich.«

»Er sieht doch aus wie immer«, sagte Dawson und sah zu der Frau an seiner Seite hinab.

»Das ist nicht wahr.« Sie stupste ihn mit dem Ellbogen leicht in die Seite und grinste ihn daraufhin frech an. »Er ist größer als vergangenes Jahr und der Schmuck sieht neuer aus. Ich glaube, die Stadt hat zusammengelegt, um nach zig Jahren endlich mal neuen Schmuck für den Baum zu kaufen.«

»Möglich«, sagte er und zuckte mit der Schulter. »Was mir aufgefallen ist; der Weihnachtsmarkt wird jedes Jahr größer. Ich weiß noch genau, dass es nur ein paar vereinzelte Stände waren, als wir in unserer Kindheit hier mit unseren Eltern bummeln waren.«

»Das ist wahr«, stimmte Joey ihm zu. »Ich mag ihn so groß.« Mit diesen Worten zog sie Dawson mit sich. »Wird Zeit, dass wir ihn uns ein wenig genauer ansehen.«

»Dem stimme ich zu«, sagte er mit einem kleinen Lachen und trank im Gehen den ersten Schluck des Getränks in seiner Hand, ohne sich dabei zu verbrühen.

Sie schlenderten über eine Stunde lang durch den Weihnachtsmarkt, hielten hier und da an Ständen, hauptsächlich, weil Joey sich die Waren ansehen wollte, so wie immer. Dawson genoss schlicht ihre Gegenwart. Sie hätten in Sibirien auf einem Weihnachtsmarkt sein können, an denen Eisbären ihre Waren versuchten an den Mann bringen, es hätte ihn nicht interessiert. Alles, was ihn interessierte, war die Frau, die sich immer wieder bei ihm einhakte und ihm gelegentlich eines ihrer speziellen Lächeln schenkte.

Er hatte sich damit abgefunden, dass sie Pacey und nicht ihn liebte. Oder zumindest nicht so, wie er sie liebte. Doch das hieß nicht, dass er nicht jeden Augenblick mit ihr voll auskostete, solange er andauerte.

»Oh, Dawson, schau dir das an.« Sie zog ihn zu einem der Stände rechts von ihnen und er versuchte herauszufinden, auf welchen der unzähligen Artikel sie ihr Auge geworfen hatte. »Wäre das nicht etwas für Lilly?« Genau in diesem Moment hob sie eine von diesen Glaskugeln hoch, die man schüttelte und es begann darin zu schneien.

Dawson sah sich die Kugel genauer an, in der drei kleine Engel auf einem Sockel standen und scheinbar musizierten. »Sehr hübsch«, sagte er. »Aber du musst ihr doch nichts schenken.«

»Ich will aber«, zwinkerte Joey, öffnete ihre Handtasche und bezahlte die Glaskugel, noch ehe Dawson dazu kam, etwas zu erwidern. Dann steckte sie triumphierend ihr Portemonnaie wieder ein und nahm die kleine Tasche vom Verkäufer entgegen. »Fröhliche Feiertage«, sagte sie zum Abschied und tauchte dann wieder in der Menge unter.

Schnell folgte ihr Dawson und schloss schließlich zu ihr auf. »Du nimmst 'geben ist seliger als nehmen' etwas sehr wörtlich, meinst du nicht?«

»Es hat doch nur fünf Dollar gekostet.« Joey sah ihn an, ohne stehen zu bleiben. »Es ist nur eine kleine Aufmerksamkeit, nichts weiter.«

»Das hier auch«, entgegnete ihr Dawson und zog ein kleines Päckchen aus der inneren Manteltasche. »Ich wusste nicht, wie das dieses Jahr mit der Bescherung abläuft, deshalb gebe ich es dir gleich.« Er lächelte und zuckte ein wenig mit den Brauen.

»Dawson!« Sie sah ihn gerührt an. »Du musst mir nicht jedes Jahr etwas schenken.«

Sein Lächeln wurde breiter. »Ich konnte einfach nicht wiederstehen. Ich sah es und wusste, dass es wie für dich geschaffen ist.«

»Was ist es?«, fragte Joey und nahm das kleine Päckchen entgegen. Ein Lächeln brachte ihre Augen zum Leuchten.

»Finde es doch einfach selbst heraus.«

Gesagt, getan. Joey zog an der kleinen, silbernen Schleife und öffnete die Schachtel. Darin lag, auf einem kleinen Wattekissen, eine feingliedrige Goldkette mit einem Medaillon daran. Sie hielt den Atem einige Sekunden lang an und sah ihn dann aus großen Augen an. »Das kann ich nicht annehmen«, hauchte sie und sah immer wieder in die Schachtel und auf zu Dawson.

»Ich wusste nicht was ich reintun soll, deshalb ist die Bildkapsel leer«, entgegnete er, ohne auf ihre Worte einzugehen. »Dir wird schon was einfallen.« Wieder lächelte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Fröhliche Weihnachten.«

»Dawson ...« Sie sah ihn immer noch vollkommen fassungslos an.

»Lass uns weitergehen. Vielleicht finde ich noch was für meine Mutter«, sagte er und zog sie diesmal mit, ohne auf ihren Gesichtsausdruck zu achten. Er wollte ihr gar nicht erst die Chance lassen, dass Geschenk tatsächlich abzulehnen.

Irgendwann sah Joey auf die Uhr und meinte bedauernd: »Ich muss langsam los. Ich habe es geschafft noch kein einziges Geschenk zu verpacken und heute Abend sind wir bei Doug und Jack eingeladen, so dass ich noch allerhand zu tun habe.«

»Schon gut«, erwiderte Dawson, »meine Mom fragt sich sicherlich auch schon, ob ich dieses Jahr noch komme.« Er lächelte sie an. »Das waren drei wundervolle Stunden, Joey.« Sie nickte nur. »Was ich dich noch fragen wollte, bevor sich unsere Wege vorerst wieder trennen und ich es vielleicht vergesse.« Joey sah ihn abwartend an und begegnete seinem musternden Blick. »Hast du irgendwas an dir verändert?«

»Nein, wieso?« Verwirrung stand ihn ihr Gesicht geschrieben.

»Ich weiß auch nicht. Irgendwie siehst du so anders aus.« Er war sich nicht sicher, ob er es sich nur einbildete oder nicht. Aber es war wie damals, nachdem sie im Skilager ihr Erstes Mal mit Pacey gehabt hatte. Sie strahlte auf eine gewisse Weise … sah noch schöner aus als sonst. Er konnte es sich nicht erklären.

»Das wird meine umwerfende Ausstrahlung sein«, scherzte sie.

Dawson nickte. »Ja, du strahlst etwas aus. Definitiv. Es ist anders als sonst. Seid ihr zusammengezogen, verlobt oder gar verheiratet?«

Sie zog eine Grimasse und rollte mit den Augen. »Nichts von alledem.«

»Als ich das letzte Mal eine solche Veränderung an dir bemerkt habe, hast du ... deine Unschuld an Pacey verloren«, sagte er zögerlich. »Sicher, dass da nichts ist?«

»Nein, nichts«, erwiderte sie und spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen. »Diesmal bildest du dir das nur ein.«

»Mag sein ...« Dawson sah sie noch einige Sekunden lang an, nahm sie dann nochmals in die Arme und verabschiedete sich schließlich von ihr, mit der Bitte, dass sie Grüße an alle ausrichten möge.

»Wir sehen uns bestimmt noch!«, rief sie ihm noch zu und ging kurz darauf in die entgegengesetzte Richtung als er fort. Seine letzte Bemerkung blieb noch einige Zeit Mittelpunkt ihrer Gedanken.

~*~

»Hast du den Eierpunsch und die Kuchen?«, fragte Bessie, als sie Bodie zum Pickup folgte.

»Ja, alles ist bereits im Wagen, Schatz.« Er lächelte. »Wo ist Alexander?«

»Er musste noch mal auf's Klo«, meinte Bessie und erreichte in diesem Moment den Wagen. »Haben wir auch nichts vergessen?«

»Mal sehen«, sagte Bodie. »Gale sagte, dass wir nichts mitbringen müssen, aber du hast trotzdem darauf bestanden nicht mit leeren Händen hinzugehen. Deshalb musste ich auf die Schnelle noch zwei Kuchen backen und Eierpunsch besorgen. Die Geschenke für Lilly und Joey sind im Wagen, unter dem Beifahrersitz, damit Alex davon nichts mitbekommt. Ja, ich denke, dass wir an alles gedacht haben.«

Bessie seufzte erleichtert. »Okay. Wer von uns wird dieses Jahr zurückfahren?«

»Du«, sagte Bodie bestimmt. »Ich wollte doch dieses Jahr mit Dawson und Jason einen draufmachen. Du durftest letztes Jahr so viel trinken, wie du wolltest.«

»Ja, aber ich hatte eine Grippe und musste Antibiotika nehmen, sodass ich nichts trinken konnte.«

»Das ist Pech«, grinste Bodie und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, ehe er hastig das Auto umrundete und auf der Fahrerseite einstieg.

Noch ehe Bessie etwas erwidern konnte, kam Alexander aus dem Haus gerannt. »Mach deine Jacke zu!«, rief ihm Bessie entgegen, als sie sah, dass der Junge diese nur übergestreift hatte. »Und wo ist sind dein Schal und deine Mütze?«

Das Gesicht verziehend und etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd ging der Junge zurück ins Haus und kam kurz darauf vollständig gekleidet wieder heraus. »Besser?«, fragte er in genervtem Tonfall.

»Willst du morgenfrüh was unterm Weihnachtsbaum vorfinden, außer gähnender Leere?«, fragte Bessie, nun ihrerseits schnippisch.

»Könnt ihr das unterwegs klären?« Bodie lehnte sich aus zum Beifahrersitz und sah die beiden aus dem heruntergelassenen Fensterbereich streng an. »Wir kommen noch zu spät.«

»Ich hasse Weihnachten«, kam es grummelnd von Bessie, die noch wartete bis Alexander im Auto saß und angeschnallt war. »Immer diese Hetzerei.«

»Lilly sagt, es gibt keinen Santa Claus«, verkündete Alexander wie beiläufig.

Die beiden Erwachsenen drehten sich abrupt zu ihrem Sohn um.

»Ich kann dein Geschenk auch wieder zurück in den Laden bringen«, kam es nach einiger Zeit des Nachdenkens von Bessie. »Ob Santa oder nicht, wenn du dich weiter so benimmst, dann kannst du dir dein Geschenk in die Haare schmieren.«

Bodie legte ihr eine Hand auf den Schenkel und sah sie eindringlich an. Was so viel heißen sollte, wie 'genug jetzt!'.

Alexander verschränkte die Arme vor der Brust und starrte wortlos aus dem Fenster, während Bessie die Autoheizung andrehte und Bodie endlich in Richtung Brücke fuhr, die von ihrem Haus gut anderthalb Kilometer entfernt lag und der einzige Weg auf die andere Seite des Flusses war.

~*~

Gemeinsam gingen sie die wenigen Stufen hinauf, die geradewegs auf die Veranda führten. Justins rechte Hand lag wie gewohnt am unteren Teil von Ashleys Rücken und er sah sie mit einem Lächeln an, als sie die Außentür öffnete. Ashley hatte sich geweigert mit leeren Händen zu kommen und so hatte sie einen Weihnachtsstern gekauft, den sie trug und Justin hatte zwei Rotweinflaschen aus Kalifornien in der linken Hand.

»Du siehst nervös aus«, stellte Justin aufmerksam fest. »Ist alles in Ordnung?«

Ashley nickte zögerlich und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Wir kennen diese Leute doch im Grunde kaum. Ich komme mir komisch vor, den Heiligabend bei dieser Familie zu verbringen. Wir hätten doch zu deinen Eltern fahren sollen.«

»Oh nein, dieses Jahr habe ich kein Bedürfnis danach verspürt mir die abfälligen Blicke meiner Mutter zu geben, geschweige denn das Saufgelage meines Vaters. Jedes Jahr ist Weihnachten dank denen die Hölle«, sagte Justin und wurde ungewollt ärgerlich. Das Thema brachte ihn immer wieder zur Weißglut.

»Du hast wenigstens noch Eltern«, kam es ein wenig rau von Ashley und sie bereute auch gleich, ihm das zum Vorwurf gemacht zu haben. »Wir sollten heute nicht mehr darüber reden, Liebling. Ich möchte heute einen besinnlichen Abend mit neuen Bekannten verbringen.« Diesmal umschmeichelte ein echtes Lächeln ihre sinnlichen Lippen und Justin konnte nicht anders, als diese zu küssen.

»Du hast recht. Und wir werden einen tollen Abend haben, das verspreche ich dir. Das ist unser Neuanfang. Wir brauchen keine Familien, solange wir beide uns haben.«

Sie sahen sich noch einen Augenblick an, dann klopfte Ashley an die Haustür. Nur wenige Momente später stand Dawson in der geöffneten Tür. »Hey, hallo! Meine Mutter sagte, dass sie euch eingeladen hätte, aber ich wollte es erst glauben, wenn ich euch selbst über diese Schwelle gehen sehe«, sagte er zur Begrüßung und machte eine einladende Geste.

»Oh, wie schön«, kam es Ashley über die Lippen, als sie in das prachtvoll festlich geschmückte Haus eintrat.

»Meine Mom schafft es jedes Jahr aufs Neue mich mit ihrer Dekoration ins Märchenland zu versetzen«, gestand Dawson, während er ihr aus dem Mantel half und seinen Blick durch die kleine Eingangshalle schweifen ließ.

Justin reichte Dawson seinen Mantel und hängte beide an die Garderobe, ehe er die Gäste ins Wohnzimmer bat. Dort fanden die Harpers die kleine Lilly vor, zusammen mit einem Spielkameraden, hinter dem auf einer Couch ein junges Paar saß. Sie vermuteten, dass dies seine Eltern waren.

»Ashley, Justin. Ich möchte euch Bessie, Bodie und ihren Sohn Alexander vorstellen. Leute, das sind Ash und Justin Harper. Sie wohnen seit kurzem in Evelyn Ryans altem Haus.«

Wie aus einem Mund begrüßten sich die Anwesenden. Und wie aus dem Nichts hörten Ashley und Justin plötzlich hinter sich, die tiefe Stimme eines Mannes, der lächelnd auf sie zu kam.

»Gale hat mir schon von Ihnen erzählt«, sagte er. »Ich bedaure es sehr, dass ich bisher noch keine Gelegenheit hatte Sie kennen zu lernen. Ich bin Jason Riggs.«

»Mein Stiefvater, wenn ihr so wollt.« Dawson meinte das nicht abfällig, auch wenn das für fremde Ohren leicht so klingen mochte. Er hatte sich damit abgefunden, dass seine Mutter ihr Leben auch ohne Mitch weiterleben wollte. Schon allein um ihretwillen. Doch auch Lilly tat es gut, nicht ohne Vater aufwachsen zu müssen. Auch wenn dies bedeutete, dass es nicht der leibliche Vater war.

Justin und Ashley nickten nur und sagten dann beinahe im Einklang: »Es freut mich Sie kennen zu lernen.«

»Da seid ihr ja!«, erklang hinter ihnen plötzlich Gales inzwischen vertraute Stimme. Mit einem großen Lächeln trat sie auf die Beiden zu. »Das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte sie und deutete auf die Mitbringsel.

»Wir wollten nicht mit leeren Händen kommen, Mrs. Leery«, erwiderte Ash und hob ihr die Pflanze entgegen.

»Bitte, nicht ganz so förmlich.« Sie zwinkerte. »Gale ist vollkommen in Ordnung. Und vielen, lieben Dank.« Damit nahm sie sowohl den Weihnachtsstern wie auch die Weinflaschen entgegen.

Dawson hatte sich zu Bessie und Bodie an den Couchtisch gesellt.

»Jason, bringst du den Wein bitte in die Küche?«, bat Gale ihren Mann und überreichte ihm die Flaschen. Er nickte und kam ihrer Bitte nach. Derweil stellte Gale die Pflanze auf einen kleinen Tisch, gleich neben dem Eingang zum Wohnzimmerbereich, auf dem lediglich eine einsame Lampe gestanden hatte.

Justins Blicke schweiften durch den Raum und blieben am Kaminsims hängen, auf dem ein halbes Duzend schön gerahmter Bilder standen, die Dawson, Gale und einen anderen Mann wiedergaben. Er ging darauf zu. Und als er näherkam, entdeckte er auch ein Bild, auf dem der fremde Mann ein Baby im Arm hielt und freudestrahlend neben Gale stand.

»Das ist Mitch«, erklärte Gale und trat neben ihn. Ashley folgte ihr und stellte sich auf die andere Seite neben Justin. »Er ist Dawsons und Lillys Vater. Er starb vor ...« Gale machte eine Pause und schien zurückzurechnen. »Mein Gott, es sind bereits sieben Jahre.« Ihr trauriger Blick galt dem lächelnden Mann auf den Fotos. »Es war ein Autounfall.«

»Das tut mir aufrichtig leid«, war alles was Ashley dazu sagen konnte.

Justin schwieg nur und sah sich weiterhin die Fotos an, dann glitt sein Blick hinüber zu Lilly. »Dann muss er ja kurz nach der Geburt Ihrer Tochter gestorben sein.«

»Das ist richtig«, sagte Gale und schaute ebenfalls zu dem kleinen blonden Mädchen hinüber, das sich gerade mit Alexander raufte. Doch das kam bei den beiden immer mal wieder vor und weder sie noch Bessie griffen je in die Dispute der Kinder ein. Sie konnten das allein regeln, so wie Dawson und Joey das auch immer getan hatten, als sie in diesem Alter gewesen waren.

»Die Bilder sind sehr gut«, fuhr Justin fort.

»Dawson hat sie gemacht.« Gale lächelte und bemerkte, dass ihr Sohn offenbar aufgehorcht hatte. Er hörte zwar weiterhin Bodie zu, der ihm irgendwas über die Zubereitung eines Truthahns erzählte, doch seine Aufmerksamkeit galt seiner Mutter. »Er ist ein Multi-Talent«, fügte sie stolz hinzu und lächelte Dawson an, der es erwiderte. Dann fixierte sie wieder ihre Gäste. »Darf ich euch etwas zu trinken anbieten? Das Essen dauert noch etwa dreißig Minuten.«

»Ich nehme einen Wein«, antwortete Justin.

Ashley überlegte eine Weile und fragte dann: »Haben Sie Rum und Cola im Haus?«

Gale nickte und bat die Beiden, ihr in die Küche zu folgen. Dawson sah ihnen nach und bemerkte dann, dass Bodie ihn abwartend ansah. Offenbar hatte er ihm eine Frage gestellt. Etwas peinlich war ihm das schon und er entschuldigte sich auch dafür. Bodie lächelte nur, klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich dann hinunter auf den Boden, um mit den Kindern rumzualbern.

~*~

»Ho ho ho!«, rief Pacey mit möglichst tiefer Stimme, um den Weihnachtsmann zu imitieren, während Joey lächelnd an der Tür des Strandhauses klopfte und ihm einen flüchtigen Blick zuwarf.

Doug öffnete ihnen die Tür, die kleine Amy auf dem Arm, die ebenso wie Doug eine Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf trug.

»Frohe Weihnachten«, grüßte Doug seinen kleinen Bruder und Joey. »Ihr habt Schnee mitgebracht ...«

Die Beiden drehten sich um und nickten dann einvernehmlich. »Ja«, sagte Joey, »es fing an zu schneien, just in dem Moment als wir ins Auto stiegen.« Sie lächelte und ließ sich von Doug umarmen, ehe sie ihm Amy abnahm. »Hey du süße Maus«, wisperte sie dem Mädchen ins Ohr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Du wirst jeden Tag hübscher.«

Amy sah Joey nur aus großen Augen an, wandte sich dann zu Pacey und sagte: »Pace.«

»Habt ihr das gehört?« Pacey konnte es nicht fassen und strahlte übers ganze Gesicht. »Du kannst ja schon Pace sagen«, grinste er, drückte Doug die Tüten in die Hand, in der die Geschenke und Mitbringsel waren und nahm Joey das kleine Mädchen ab, noch ehe diese hätte protestieren können. »Sag es noch mal, Amy. Sag Pacey.«

»Pace«, kam es lachend von dem Mädchen, ehe sie ihm mit beiden Hände im Gesicht herumgrabschte.

»Wo ist Jack?«, fragte Joey als sie ins Wohnzimmer trat und ihn nirgendwo entdeckte.

»In der Küche. Er sieht nach dem Truthahn.« Doug lächelte und öffnete die Tüten. »Oh, ihr habt was zu trinken mitgebracht.«

»Ja, und einen Nudelsalat«, sagte Joey.

»Den hat sie selbst gemacht«, fügte Pacey hinzu und ging schnurstracks Richtung Küche. »Hey Jackers!«, rief er seinen Freund, noch ehe er die Küche erreicht hatte. »Deine Tochter kann meinen Namen sagen.«

Lächelnd drehte Jack sich zu Pacey um. »Hast du was Anderes erwartet? Sie ist immerhin eine Lindley, was bedeutet, dass sie sehr schlau ist und weiß, wessen Namen es sich zu merken lohnt.« Jack zwinkerte und gab seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn. »Ich hoffe, ihr seid hungrig. Doug hat so viel zubereitet, dass ich fürchte, wir werden bis Silvester jeden Tag Truthahn Sandwiches essen müssen.«

»Keine Bange, ich hab extra die letzten zwei Tage kaum was gegessen«, sagte Pacey und hob einen der Kochtopfdeckel an. »Das hat er gemacht, um mich zu ärgern«, kommentierte er, als er den Inhalt sah.

»Magst du Rotkohl etwa nicht?« Jack warf ihm einen leicht verwunderten Blick zu. Schließlich kannte er Pacey nicht als schleckig. Eigentlich aß er so ziemlich alles.

»Nein«, gestand Pacey und ließ den Deckel wieder auf den Topf sinken.

»Vermutlich hat er deshalb auch noch grüne Bohnen als Beilage gemacht«, entgegnete Jack und deutete auf den hinteren Topf, auf der linken Platte.

Das mürrische Gesicht verschwand und wurde durch ein Lächeln ersetzt. »Mein großer Bruder ...«

»Es ist schön zu sehen, dass ihr euch inzwischen so gut versteht«, meinte Jack, während er den Rotkohl umrührte.

»Das haben wir dir zu verdanken. Seit ... seinem Coming-Out ... ist er ein ganz anderer Mann. Viel zufriedener mit sich selbst und der ganzen Welt.«

»Früher oder später wäre es auch ohne mich zu diesem Outing gekommen.« Jack sah flüchtig über seine Schulter, nahm einen anderen Kochlöffel zur Hand und sah nach den Kartoffeln.

»Nein, das glaube ich nicht. Du hast ihn praktisch damit überrumpelt und ihn aus der Reserve gelockt und ich glaube, dass Dougie genau das gebraucht hat.«

»Redet ihr über mich?«, hörten sie plötzlich eine Stimme, die von hinter ihnen herüber drang.

Pacey drehte sich zu seinem Bruder um. »Ich glaub, ich sehe mal nach Joey.« Mit diesen Worten stahl er sich an Doug vorbei, ohne auf dessen Frage einzugehen.

»Jack?« Doug trat auf ihn zu. »Worüber habt ihr geredet?«

»Nur darüber, was für ein ausgezeichneter Koch du bist«, sagte Jack schnell und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen. »Bleibst du kurz hier, dann kann ich Joey begrüßen?«

»Klar.« Doug lächelte mild und sah Jack nach. Es interessierte ihn brennend, in welchem Bezug die Beiden eben von ihm gesprochen hatten. Er wusste, dass Jack eben nur die halbe Wahrheit gesagt hatte.

~*~

Nach dem Essen lehnten sich die Männer praktisch gleichzeitig in ihre Stuhllehnen zurück und rieben sich die überfüllten Bäuche, während Joey nur ein Kopfschütteln von sich gab und Amy aus dem Hochstuhl nahm.

»Ich bin dafür, dass wir einen Spaziergang machen, um angefressene Kalorien gleich wieder zu verbrennen«, sagte sie und sah Amy an, obgleich sie mit diesen Worten vor allem die Männer ansprach. »Nicht wahr, Amy, das hört sich doch super an?«

Die Kleine lachte und Joey stand mit ihr auf dem Arm auf. Die drei Männer sahen sie nur zermürbt an. »Können wir nachkommen?«, fragte Pacey und Joey warf ihm einen Augen rollenden Blick zu. »Fünf Minuten nur«, bettelte er und sah die anderen beiden an, die ihm nickend beipflichteten.

»Ihr seid ein faules Pack«, schimpfte Joey gespielt verärgert. »Dann bauen wir solange einen Schneemann.« Mit den letzten Worten lächelte sie wieder Amy an.

»Zoey!«, jauchzte die Kleine und entlockte Joey damit ein von Tränen untermaltes Lächeln.

»Unglaublich ...« Joey sah Amy kurz an, ließ sie dann runter und hielt sie an den Händen, damit sie allein zur Vordertür gehen konnte, wo die Jacken hingen. »Na dann lass uns mal rausgehen, mein kleiner Weihnachtsengel.«

Die Männer sahen ihr mit einem Kopfschütteln nach.

Im Eingangsbereich zog Joey dem kleinen Mädchen in aller Eile einen Schneeanzug an, einen Schaal, Handschuhe, Mütze und natürlich dicke wasserdichte Schuhe. Dann schlüpfte sie selbst hastig in ihrem Mantel, wickelte sich den Schal um den Hals, zog Handschuhe und Mütze an und verließ dann das Haus.

Aus der Ferne hörte sie die Wellen des Meeres, die am Strand brachen. Aus dem Haus drang genug Licht, um eine relativ große Fläche vor dem Haus zu beleuchten. »So Amy, dann wollen wir mal anfangen.« Mit diesen Worten formte sie einen Schneeball, den sie dann zusammen mit Amy über den Garten rollte bis er so groß war, dass er ausreichend schien, um der Bauch des Schneemannes zu werden.

Während Amy Joey zusah, wie diese eine weitere Kugel rollte, nahm sie eine Handvoll Schnee in den Mund und schüttelte sich, angesichts der überraschenden Kälte.

»Nicht doch«, erklang plötzlich Jacks Stimme, der auf Amy zuging, die im Schnee saß und fröhlich vor sich hin jauchzte. »Liebes, das kann man nicht essen.«

»Ist doch nur Schnee«, sagte Joey. »Ich hab früher immer die Eiszapfen gelutscht, die vorm Haus hingen. Und es hat mich nicht umgebracht.«

»Ja, damals war die Umwelt auch noch nicht so verpestet wie heute. Ich will nur nicht, dass sie krank wird.«

»Das wird sie schon nicht, Jack. Du darfst ihr ruhig etwas mehr zutrauen.« Joey streckte ihren Rücken durch, der ihr durch das lange bücken allmählich anfing wehzutun. »Wie wäre es, wenn du mir hilfst?«

Jack lächelte, formte einen Schneeball und gab ihn Amy, damit sie was hatte, mit dem sie sich beschäftigen konnte. Dann ging er zu Joey hinüber und rollte mit ihr gemeinsam eine riesen Kugel, bis fast kein Schnee mehr da lag.

»Wo sind Pace und Doug?«

»Dougie wollte mit Pace reden. Keine Ahnung was die aushecken.« Er zuckte mit den Schultern. »Hilf mir mal«, bat er dann und deutete auf die Kugel, die Joey und Amy gerollt hatten. »Die setzen wir auf unsere drauf. Dann brauchen wir nur noch einen Kopf.«

Joey nickte und half ihm dabei, die kleinere Kugel auf die ganz große zu setzen.

~*~

Sie waren gerade dabei die Küche gemeinsam sauber zu machen, nachdem sie das Geschirr aufgeräumt und die Essensreste verstaut hatten, als Doug sich zu seinem kleinen Bruder umwandte, der gerade die letzten Teller zurück in den Schrank räumte.

»Pace?«

Er drehte sich um: »Hm?«

Doug wusste nicht recht, wie er anfangen sollte. Schon viel zu lange hatte er dieses Gespräch hinausgezögert. »Es tut mir leid«, sagte er schließlich.

»Was?« Pacey verstand nicht, auf was sich Doug bezog.

»Die ganzen Jahre, in denen ich dich so schlecht behandelt habe. Ich ...«

»Doug, du wirst doch nicht etwa sentimental auf deine alten Tage?«, scherzte Pacey und grinste.

»Es ist mir ernst«, raunte Doug und legte das Geschirrtuch beiseite. »Ich war dir kein guter großer Bruder.«

»Früher nicht, das stimmt.« Etwas anderes zu sagen, wäre gelogen gewesen. Sie beide wussten das. »Jetzt allerdings, bist du mir dafür ein umso besserer Bruder. Du hast mir Mut gemacht, das Restaurant zu eröffnen und mich finanziell unterstützt. Du hast an mich geglaubt, als niemand sonst es mehr getan.«

»Und du hast mich letztlich vor unserem Vater in Schutz genommen«, sagte Doug. »Der kleine sollte nicht den großen Bruder in Schutz nehmen müssen. Es sollte umgekehrt sein.«

»Nein, das ist nur ein dummes Klischee«, lächelte Pacey und legte Doug eine Hand auf die Schulter. »Ich bin stolz auf dich, Doug. Stolz darauf, dass du letztlich doch noch zu deiner sexuellen Neigung stehst und genießt, was immer es mit sich bringt. Ich kann das alles zwar nicht nachvollziehen, aber das heißt nicht, dass ich es nicht voll und ganz respektiere und akzeptiere. Ich weiß, dass du dir gewünscht hast, dass Dad ebenso damit klargekommen wäre.« Seine Stimme war leise, einfühlsam und trieb Doug langsam aber sicher Tränen in die Augen. »Doch Dad hat schon immer wenig von uns gehalten. Er hatte seine guten Momente, aber sie waren viel zu rar. Umso wichtiger ist es, dass wir Geschwister zueinander halten und uns gegenseitig Mut machen. Gretchen und ich hatten schon seit jeher ein gutes Verhältnis zueinander, obgleich ich ihr nicht minder wenig oft Streiche gespielt habe, wie dir.«

»Sie war einfach mit sich selbst zufrieden und wusste, dass dies nur die Sprüche und Neckereien eines kleinen Jungen waren, der verzweifelt die Aufmerksamkeit versuchte von ihr zu erlangen, die er von seinen Eltern nicht bekam. Mom ist auch keine vorbildliche Mutter.«

Pacey nickte. »Ja, mag sein. Und doch liebe ich sie.«

»Das tue ich auch«, erwiderte Doug. »Dennoch war es mein sehnlichster Wunsch dieses Jahr mit dir Weihnachten zu verbringen, anstatt mit ihr.«

»Sie ist doch eh weggefahren. Zu Tante Ashton, wenn mich nicht alles täuscht.«

»Ich habe sie dazu überredet«, grinste Doug schelmisch.

Pacey erwiderte das Grinsen. »Das war eine super Idee.« Im Haus war es plötzlich seltsam still geworden und die beiden bemerkten, dass sie schon viel zu lange auf sich warten ließen. »Wir sollten mal unsere Lieben aufsuchen gehen.«

»Einverstanden«, nickte Doug. »Was hältst du davon, wenn wir noch zu Gale fahren?«

»Hört sich gut an. Dawson ist auch dort und Joey erwähnte etwas, das Bessie und Co. ebenfalls dort sein würden.«

»Na prima, dann ist die ganze Familie vereint, so wie es sich zu Weihnachten gehört.«

Pacey nickte nur und ehe er es sich versah, nahm ihn Doug plötzlich in die Arme und drückte ihn einige gedehnte Sekunden. Perplex ob der ungewöhnlich herzlichen Geste, erwiderte Pacey die brüderliche Umarmung. Es bedurfte keiner weiteren Worte. Er verstand auch so, was dies bedeutete. Sie hatten ein für alle Mal das Kriegsbeil begraben.

~*~

Jason hatte vor einer Weile seine Gitarre aus dem Schlafzimmer geholt und nun untermalte er die Stimmen aller, die nun im Einklang 'Silent Night' sangen. Einzig die Kerzen am Tannenbaum, die Lichterketten am Fenster und das Feuer im Kamin spendete ihnen Licht und zauberte eine ausgesprochen gemütliche Atmosphäre im Haus.

Lilly saß bei ihrem großen Bruder Dawson auf dem Schoß, Ashley im Sessel auf Justins, Bessie, Alexander und Bodie teilten sich die kleine Zweisitzercouch, während Gale hinter Jason stand, ihre Hände auf seine Schultern gelegt und Jason hatte es sich auf einem altmodischen Schaukelstuhl bequem gemacht.

Bis auf Gale vernahm niemand das Klopfen an der Haustür und so ging sie, um zu öffnen, während die anderen weitersangen.

»Wie schön«, sagte sie und empfing das Paar und ihre Tochter herzlich. »Was für eine nette Überraschung!«

»Joey und Pacey kommen auch gleich. Wir haben sie an der letzten Ampel abgehängt«, erklärte Doug und gab Gale einen Kuss auf die Wange. »Fröhliche Weihnachten.«

»Fröhliche Weihnachten«, erwiderte sie und gab auch Jack und Amy ein kleines Küsschen. Dann nahm sie Jack Amy ab, um sie auszuziehen, während sich die Männer ihrer Mäntel entledigten.

Sie lächelten einander an, als sie aus dem Wohnzimmer die Stimmen der anderen vernahmen.

»Ihr kommt gerade recht, zum Weihnachtssingen«, sagte Gale und hob Amy hoch. »Du wirst ja immer schwerer ...« Ohne weiter auf die Männer zu warten, ging sie zurück ins Wohnzimmer zu ihren anderen Gästen und der Familie. Dawson und Lilly sahen als erste auf, als sie das Zimmer betrat.

»Amy!«, rief Lilly freudig, sprang ihrem Bruder vom Schoß und eilte auf das kleinere Mädchen zu.

Ohne das Singen zu unterbrechen, bedeutete Dawson Jack und Doug an, sich zu ihm zu gesellen, als die Beiden das Wohnzimmer betraten. Sie kamen der Aufforderung nach, fielen in den Gesang mit ein und grüßten alle mit einem einfachen Händeschütteln.

Schließlich kamen auch Joey und Pacey und dann war es mit der weihnachtlichen Ruhe geschehen. Es folgte ein heilloses Durcheinander von Begrüßungen. Alexander suchte Joey nach seinem Geschenk ab, während diese Ashley und Justin begrüßte. Jason verteilte Eierpunsch an jeden, der nicht fahren musste und die Kinder bettelten zunehmend danach, wenigstens eines der Geschenke noch am Heiligabend öffnen zu dürfen.

Nach einiger Zeit kehrte Ruhe ein und es wurde ein besinnliches Beieinandersitzen. Die Kinder hatten ihren Willen durchgesetzt und saßen unterm Weihnachtsbaum, um dort mit ihren neuen Sachen zu spielen, während die Erwachsenen über allerlei wichtige und unwichtige Themen sprachen. Als jeder von seinem bisherigen Lieblingsweihnachten erzählte, herrschte jedoch absolute Stille und alle lauschten dem, der gerade seine Geschichte zum Besten gab. Es wurde viel gegessen, getrunken, gesungen und keinem wurde es auch nur eine Minute langweilig.

Die Kinder lagen schon längst im Bett, Alexander neben Lilly und Amy im Schlafzimmer von Dawson, als sie sich alle nach und nach der späten Stunde bewusst wurden. Ashley und Justin verabschiedeten sich als erste, danach machten sich Doug und Jack mit Amy auf den Heimweg und schließlich auch die anderen. Wiederwillig ließ Bessie Alexander zurück, denn sie brachte es nicht über sich, ihn zu wecken.

Bodie hatte versprochen ihn schon ganz früh am nächsten Morgen abzuholen, damit er Zuhause seine Geschenke öffnen konnte.

Und so legte sich allmählich Stille über das Haus, nur das sanfte Pfeifen des Windes vor den Fenstern war zu hören.

~*~

Als Doug Amy ins Bett gebracht hatte und zurück ins Wohnzimmer kam, fand er dort Jack lässig auf der Couch sitzend vor. Er hielt ein Kissen festumschlungen und starrte auf einen Punkt an der Wand gegenüber, den offenbar nur er sehen konnte. Doug schüttelte den Kopf und ging hinüber zu Jack.

»Der Abend war sehr schön«, sagte er und setzte sich neben Jack.

Dieser lehnte seinen Kopf an Dougs Schulter und nickte schwach, ehe er sagte: »Ja, es war besser, als ich erwartet hatte.« Jack machte eine kleine Pause. »Denkst du, dass es falsch ist, dass ich mich heute ein wenig amüsiert habe? Ich meine Jen und Grams gegenüber?«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Doug und lehnte nun seinerseits seinen Kopf gegen Jacks.

»Ich habe den Beiden gegenüber einfach ein schlechtes Gewissen.« Jack seufzte.

»Hast du deshalb getrunken?«, erkundigte sich Doug vorsichtig. »Seit wir zusammen sind, habe ich dich nur einmal etwas trinken sehen und das war am Silvesterabend an dem jeder was getrunken hat.«

Jack lächelte mild. »Ja, da warst du von allen der Betrunkenste.« Er hielt kurz inne und ein kleines Lachen entrang sich seiner Kehle. »Du hast mich am nächsten Morgen total geschockt angesehen.«

»Und du hast mich nur süß angelächelt und mir gesagt, dass die Nacht super war.« Doug grinste nun ebenfalls. »Mann, das war was ...« Er schüttelte innerlich den Kopf.

»Hast du es jemals bereut?« Jack setzte sich so gerade hin, wie es ihm möglich war und sah seinen Lebensgefährten an.

»Dass wir in dieser Nacht miteinander geschlafen haben?«

Jack nickte. »Ja, und dass ich dein erster Mann war.«

»Nein«, sagte Doug mit einem warmen Lächeln. »Nicht eine Sekunde.« Als wolle er seinen Worten Nachdruck verleihen, lehnte er sich ein Stück weit vor, so dass er Jack einen Kuss geben konnte. Danach schmiegten sie sich wieder aneinander und schwiegen einige Minuten.

»Jack?« Seine Atmung hatte sich verändert und deshalb dachte Doug, dass Jack eingeschlafen sei. »Jack, bist du noch wach?«

»Hm ...«, raunte dieser und drehte seinen Kopf gerade soweit, dass er Doug mühsam ansehen konnte. »Ich bin mir nicht sicher.«

»Wir sollten schlafen gehen.«

»Kann ich nicht einfach hier schlafen?«

»Nein, keine Chance. Ich weiß, wer sich sonst morgenfrüh Vorwürfe anhören darf. Die Couch ist zu klein, um eine ganze Nacht darauf zu schlafen. Dir würde morgen alles wehtun.« Doug stand als erster auf, nahm Jacks Hände in seine und zog ihn auf die Beine.

»Wenn du meinst«, kam es mit ein wenig schwerer Zunge von Jack. Dann grinste er breit. »Ich liebe diesen Blick.«

»Welchen Blick?« Doug sah ihn verwundert an.

»Na den, den du eben gemacht hast. Deinen in-Sorge-um-Jack Blick.«

»Ich bin nicht wirklich besorgt. Ich will dich einfach nur ins Bett schaffen.« Damit nahm er Jack bei der Hand und führte ihn hinauf ins Schlafzimmer.

Dort angekommen, half er Jack dabei sich bis auf die Boxershorts auszuziehen, die mit niedlichen kleinen Weihnachtsmännern bedruckt war.

»Wo du wieder hinsiehst ...«, kam es gespielt tadelnd von Jack, doch ein freches Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln.

»Deine Unterwäsche war schon immer ein wahrer Hingucker«, verteidigte sich Doug und zog sich ebenfalls aus.

»Als ob es dir um die Unterwäsche ginge ...« Noch immer sah Jack ihn frech an, als er sich rücklings aufs Bett fallen ließ.

Doug lächelte und kletterte zu ihm auf das Bett. Er legte sich halb neben, halb auf Jack und begann dessen Brust und Bauchbereich zu streicheln. »Ich steh eben auf eine schöne Verpackung«, gab er schließlich zu und verschloss Jacks Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss, noch ehe dieser mehr Unsinn von sich geben konnte. Es war ein langer, inniger Kuss und wie immer gab Jack dabei ein kleines Brummen von sich, das in Dougs Mund erstickte.

Jack drehte Doug nach einer Weile auf den Rücken und begann dessen Hals und Schlüsselbeinregion mit hauchfeinen Küssen zu versehen. »Ich liebe dich«, murmelte Jack zwischen zwei Küssen und Doug schloss darauf hin die Augen. Ließ sich fallen und genoss, wozu Jack seit Jens Tod das erste Mal wieder bereit war.

Es war Doug wie eine Ewigkeit vorgekommen, die letzten fünfeinhalb Monate, in denen es zwischen ihnen nie zu mehr als ein paar Küssen und Streicheleinheiten gekommen war.

~*~

Doug hatte jegliches Zeitgefühl verloren und genoss es, wie jedes Mal, Jack danach in den Armen zu halten. Er küsste Jack auf den leicht verschwitzten Haaransatz und streichelte ihm nebenbei über den Rücken.

Jacks Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Dass er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er sich an diesem Abend amüsiert hatte. Weil er gelacht und mit den anderen gesungen hatte, als wäre es ein Weihnachten wie jedes andere. Und das, obwohl sich dieses Jahr für ihn vom letzten doch sehr stark unterschied.

»Schläfst du schon?«, flüsterte Doug.

»Nein, noch nicht. Warum?« Jack stützte sich auf sein Handgelenk und sah Doug an.

»Ich möchte dir noch dein Geschenk geben, bevor wir schlafen gehen.« Er lächelte, löste sich von Jack und griff in die Schublade des kleinen Schränkchens auf seiner Bettseite.

Jack sah den Umschlag verwundert an, den Doug ihm mit einem Lächeln hinhielt und nahm ihn nach kurzem Zögern entgegen. Er fragte sich, welches Geschenk in einen Umschlag passte und öffnete diesen unter Dougs zärtlichem Blick, um es herauszufinden.

»Das ist ja eine Reise ...«, stellte er ein wenig ungläubig fest. »Eine Reise für sechs Tage auf Jamaika!« Er strahlte übers ganze Gesicht. »Über Silvester ...«

»Ich dachte, dass es dir und auch mir gut täte, wenn wir ein bisschen Zeit nur für uns haben, an einem Ort, wo jeden Tag die Sonne scheint.« Doug lächelte und war froh, dass Jack das Geschenk so gut gefiel. In letzter Zeit war Jack ein bisschen schwer einzuschätzen gewesen und so hatte er ein wenig befürchtet, dass Jack ihm die Reise irgendwie vorwerfen würde. Dass er einen Tapetenwechsel nötig hatte. Jack hatte es nötig, ja, aber Doug wollte ihn das nicht in diesem Maß deutlich wissen lassen.

»Es gefällt dir?«, wollte sich Doug vergewissern und Jack nickte eifrig.

»Das ist genial, Liebling!« Er beugte sich zu Doug vor und küsste ihn lange und tief. Dann schnappte er nach Luft. »Was ist mit Amy?«

»Sie wird solange bei Gale und Jason sein. Lilly kann es kaum erwarten, ihr Zimmer mit Amy zu teilen.«

»Wann hast du das alles arrangiert?«, fragte Jack weiter und nahm das eben gesagte mit einem kleinen Nicken zur Kenntnis.

»Das verrate ich dir doch nicht.« Doug zwinkerte und streckte den Arm nach hinten aus, sodass er die Nachtischlampe erreichte und den Schalter betätigen konnte. Dunkelheit füllte plötzlich das Schlafzimmer aus.

Während Jack noch einige Sekunden lang verdutzt im Dunkel auf dem Bett saß, kuschelte Doug sich wieder in die Kissen. »Wird Zeit, dass wir jetzt schlafen. Für einen von uns ist die Nacht in etwas mehr als fünf Stunden um, wenn Amy wach wird.«

Jack nickte nur, sagte jedoch nichts. Wieder legte er sich in Dougs Arm, den Kopf an dessen Brust gelehnt.

»Danke«, hörte Doug noch Jacks Stimme sagen, dann sank er erschöpft in einen tiefen Schlaf.

Jack schloss die Augen und öffnete sie wieder. Denn sobald er sie schloss, sah er Jen vor sich und Grams, wie sie im vergangenen Jahr ihm gegenüber auf der Couch gesessen und gesungen hatten. Jens Bauch hatte damals ausgesehen, als würde er jeden Augenblick platzen und bestimmt hatte es sich für Jen auch genauso angefühlt.

Seufzend legte er seinen Kopf auf Dougs Brust und schloss die Augen wieder. Diesmal wurde das Bild nur langsam deutlich, das sich aus seinen Erinnerungen formte.

Jen saß ihm gegenüber vor dem Weihnachtsbaum. Sie trug einen blassrosa Pyjama, das lange blonde Haar zu einem einfachen Zopf zusammengebunden und sah noch ganz verschlafen aus. Er reichte ihr sein Geschenk, ein Fotoalbum für Babybilder. Darin konnte sie eintragen, was das Baby nach der Entbindung wog, wie groß es war und so weiter. Und dann gab es extra Felder, in die sie später die Lieblingsspielsachen hineinschreiben konnte, das erste Wort ihres Babys und vieles mehr. Sie hatte mit Tränen in den Augen von dem Geschenk aufgesehen, ein 'Ich liebe dich' mit den Lippen geformt und war ihm in die Arme gesunken.

Automatisch schmiegte er sich bei dieser Erinnerung näher an Doug, auch wenn es in diesem Moment nicht Doug für ihn war, sondern Jen. 'Ich vermisse dich so sehr', flüsterte er ihr in Gedanken zu. 'Ich vermisse dich so sehr, dass ich glaube es zerreißt mich bald'.

Ohne, dass Jack es hätte aufhalten können, wurden seinen Gedanken von einer Lawine aus Erinnerungen überschwemmt und er begann leise zu weinen. Er weinte so lange, bis die Erinnerungen verdunkelten und ihn langsam tiefer Schlaf überkam.


Fade to black ...
Kapitel Abschlussbemerkung: Wir wünschen Euch allen ein besinnliches und schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2004!

Das The Creek Team


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