Die Kinder Éomunds von Nadia

Die Kinder Éomunds von Nadia

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Die kurzen Wintertage waren düster und trist. Die Sonne schaffte es nur selten hinter der dichten Wolkendecke hervorzubrechen. Der König erhielt alle paar Tage neue Kunde darüber, dass weitere Siedlungen entlang der Grenzen angegriffen und niedergebrannt worden waren. Er spürte den wachsenden Druck auf seinen Schultern, sein Volk aktiver beschützen zu müssen. Seit Eorls Tagen waren die Rohirrim nicht mehr in solcher Zahl gefallen. Bisher ahnte Théoden nicht, welch finstere Zeiten ihnen wohl noch bevorstanden.

Als der Schnee endlich zu schmelzen begann und die ersten Krokusse und Narzissen ihre Knospen öffneten, rief er seine besten Hauptmänner zusammen. Es war an der Zeit, die Grenzen seines Reiches erneut zu befestigen und so manche Siedlung neu aufbauen zu lassen. Der vergangene Winter war für alle lang und voller Entbehrungen gewesen. Doch die Bauern hatte es besonders schwer getroffen. Die Angriffe der Orkbanden waren keineswegs so zufällig gewesen, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Je größer die Siedlungen und je reicher die Ernteerträge gewesen waren, desto brutaler waren die Angriffe der Orks ausgefallen.

Gríma schien nicht daran zu glauben, dass die Orks ihre Überfälle tatsächlich strategisch planten, König Théoden sah das jedoch ein wenig anders.

Und so kam es, an einem sonnigen März-Morgen im Jahre 3010 des dritten Zeitalters, dass die größte Ratsversammlung seit einigen Generationen in Meduseld abgehalten wurde. Nach einer angemessenen Begrüßung verlas der König eine Liste all jener Siedlungen und Gehöfte, die im vergangenen Jahr überfallen und zerstört worden waren. Dazu breitete er einige Landkarten über dem großen Tisch aus und zeigte seinen Männern, welche Gegenden es getroffen hatte. Unklar war jedoch, wie viele Menschen aus jenen Gebieten fliehen konnten und wie viele insgesamt ihr Leben gelassen hatten, da die Orks selten mehr als niedergebrannte Ruinen und ein Blutbad zurückließen.

„Es ist an der Zeit, dass wir unsere Außenposten massiv verstärken. Jedes Volk ist nur so stark, wie sein schwächstes Glied. Wir müssen insbesondere die Bauern und die kleinen Siedlungen und Gehöfte schützen, in denen sie leben. Sie bewirtschaften das Land und ernähren das Volk, wir sind ohne sie verloren. Es ist an der Zeit, dass wir etwas zurückgeben“, erklärte Théoden.

Es folgte allgemeine Zustimmung. Einige der Männer prosteten ihrem König sogar zu.

Théoden machte eine bedeutungsschwangere Pause, dann blickte er seinen Sohn an, der zu seiner Rechten saß. „Théodred, dir als meinem Zweiten Feldmarschall übertrage ich hiermit die Verantwortung für die Westfold. Helms Klamm soll dein Hauptsitz und du fortan sein Statthalter sein.“

Théodred hatte seinen Vater vor Jahren um mehr Verantwortung gebeten, doch der König hatte ihn bislang nicht für erfahren genug gehalten. Jetzt, da es endlich so weit war, fühlte er sich gleichermaßen stolz und aufgeregt. Er nickte anerkennend, legte die rechte Faust auf seine linke Brustseite und verneigte sich demütig vor seinem Vater, dem König. „Ich werde dich nicht enttäuschen, Vater.“

Théoden schenkte seinem einzigen Sohn ein kleines Lächeln und legte ihm wohlwollend eine Hand auf die Schulter. Wann war aus dem hitzigen Knaben von einst ein solch stolzer Mann und erfahrener Krieger geworden? Er schickte ihn nicht gerne fort, doch der Than, der Helms Klamm seit vielen Jahren führte, war inzwischen ein alter Mann geworden und nicht mehr bei bester Gesundheit. Lieber ersetzte Théoden ihn früher als später. Théodred war jung, stark und ein ausgezeichneter Krieger. Vater und Sohn blickten sich noch einen kurzen Moment lang in die Augen, dann wandte sich Théoden seiner Linken zu.

„Éomer.“ Indem er seinen Ziehsohn als nächsten ansprach, überraschte der König nicht nur diesen, sondern auch die anderen Hauptmänner ringsum. Sämtliche Augenpaare richteten sich nun auf den Angesprochenen. „Ich habe sehr lange und gründlich über diese Entscheidung nachgedacht“, fuhr der König zuversichtlich fort. „Eigentlich wollte ich dich nicht vor deinem einundzwanzigsten Geburtstag damit betrauen, doch die Zeiten sind düster und du bist trotz deiner jungen Jahre ein ebenso guter Krieger wie Théodred. Daher ernenne ich dich hiermit zum Dritten Feldmarschall und vertraue dir, der du wie ein zweiter Sohn für mich bist, die Ostfold an.“

Die Beförderung kam nicht weniger unerwartet, wie das in ihn gesetzte Vertrauen. Éomer fühlte sich für einen Augenblick ganz schwindelig vor Glück. Selbstverständlich war es kein Leichtes, die Verantwortung für einen so großen Landkreis zu tragen, aber er fühlte sich, genau wie sein Vetter Théodred, der Aufgabe durchaus gewachsen. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, erwiderte er dennoch bescheiden und hielt unsicher den Blick des Königs.

Um ihn herum murmelten einige Männer unverständliche Worte, die nicht nach Begeisterung oder Verständnis klangen.

„Gamling“, wandte sich der König für einen Moment von Éomer ab und einem seiner tapfersten Männer zu. „Ich weiß, du hast mit dieser Beförderung gerechnet und gehofft, Aldburg mit deiner Familie beziehen zu können. Du bist jedoch mein erfahrenster Heerführer und als solchen möchte ich dich auch weiterhin hier in Edoras an meiner Seite wissen. Ich kann auf deine militärische Erfahrung und deinen Rat nicht verzichten.“

„Sehr wohl, mein König“, nickte der Heerführer und verneigte sich vor seinem Herrn. Selbst wenn er Einwände hatte, ließ er sich diese nicht anmerken. Er vertraute den Entscheidungen seines Königs, waren sie doch stets von Weisheit bestimmt gewesen.

„Èomer, bist du bereit das Erbe deines Vaters anzutreten und nach Aldburg zu ziehen, um von dort aus die Ostfold zu verteidigen?“ Des Königs blaue Augen trafen wieder auf Éomers, der mit seinen gerade mal neunzehn Jahren noch nicht abwägen konnte, wieviel Veränderung mit dieser neuen Position einhergehen würde.

Wie schon zuvor sein Vetter, legte auch Éomer die rechte Faust auf seine linke Brustseite und verneigte sich in Demut und Dankbarkeit vor Théoden. „Ich bin bereit, mein König.“

Gríma, der bis dahin nur schweigsam zugehört hatte, hob seinen Kelch an und blickte aus seinen kühlen, graublauen Augen in die Runde: „Auf die nächste Generation! Auf Théodred und Éomer!“

Der König folgte dem Beispiel und wiederholte den Trinkspruch, so dass alle anderen Hauptmänner sich ihm anschlossen. Keiner hätte gewagt sich auszunehmen oder gar Widerspruch einzulegen. Die beiden frisch ernannten jungen Statthalter umarmten sich und klopften sich in Verbundenheit auf den Rücken, wenn gleich sie beide wussten, dass damit ihre gemeinsame Jugend enden würde.

Der Ratgeber des Königs lächelte kaum sichtbar in sich hinein. Théoden war anfangs nicht einverstanden gewesen, als Gríma ihm vorgeschlagen hatte, Éomer ebenfalls noch in diesem Frühjahr zu befördern und nach Aldburg zu entsenden. Es war ihm auch keinesfalls leicht gefallen Éomers Taten zu lobpreisen, da er diesen arroganten Burschen noch nie hatte ausstehen können. Er hatte lange und fieberhaft überlegt, wie er ihn loswerden konnte, da Èomer seiner eigenen Schwester viel zu nahestand und Gríma ein schmerzhafter Dorn im Auge war. Die fortwährenden Angriffe auf die Randsiedlungen, waren ihm daher ausgesprochen gelegen gekommen.

„Gestattet Ihr mir noch einen Vorschlag vorzubringen, mein König?“, wandte sich Gríma in der gewohnt demütigen Haltung an Théoden. Der König schenkte ihm ein sachtes Nicken. „Könnten wir nicht einen Boten entsenden, der Saruman in Eurem Namen um Hilfe ersucht?“

„Wie sollte uns der Weiße Zauberer helfen können?“, fragte Théoden, anstatt zu antworten und musterte seinen Ratgeber neugierig.

„Nun“, begann Gríma seinem Herrn zu antworten und beachtete dabei die Blicke der übrigen Anwesenden nicht, die allesamt auf ihm ruhten, „er ist weise und mächtig. Er könnte einen Schutzzauber über das Land wirken. Womöglich könnte er uns auch helfen, unsere Streitmächte zu verstärken. Wie Ihr wisst, ist er gut bekannt mit den Elben und …“

Théoden schnitt ihm das Wort ab. „Genug!“ Gríma duckte sich, als erwarte er einen Hieb, dabei hatte der König niemals die Hand gegen ihn erhoben. Die Strenge in seiner Stimme war jedoch eindeutig. „Auf die Hilfe von Seiten der Elben können wir getrost verzichten. Der weiße Rat verfügt jedoch womöglich über Informationen, die von strategischem Vorteil für uns sein könnten. Die Angriffe auf unsere Siedlungen sind viel zu systematisch, um zufällig sein zu können. Womöglich weiß Saruman mehr darüber.“ Der König machte eine nachdenkliche Pause, dann nickte er Gríma zu, der hinter seinem Sohn stand. „Du wirst Théodred ein Stück weit begleiten und dann weiter nach Isengard reiten, um in meinem Namen mit Saruman zu sprechen.“

Dass ausgerechnet Gríma selbst entsandt wurde, war nicht unbedingt sein Plan gewesen. Immerhin hatte er sich auf die Zeit gefreut, die Éomer endlich nicht mehr zwischen ihm und seiner Angebeteten stehen würde. Er nickte jedoch ergeben und fügte sich in sein Schicksal.

~

Éowyn fragte sich, was wohl in der Goldenen Halle besprochen wurde. Es ärgerte sie über die Maße, dass man sie ausgeschlossen hatte. In ihrem Frust darüber hatte sie sich an den Ort zurückgezogen, der ihr schon immer Trost gespendet hatte; die Stallungen.

Sie streichelte über die zarten Nüstern des Hengstes. Éomers Pferd war wunderschön und muskulös, gleichzeitig sanftmütiger als sein Name versprach. „Feuerfuß“, seufzte sie seinen Namen und legte ihre Stirn an den Kopf des Hengstes. Was gebe sie dafür, auch Besitzerin eines so wundervollen Tieres zu sein? Feuerfuß knabberte zärtlich an ihrer Schulter und schnaubte sanft in Éowyns Nacken. Sie lachte leise, da die Berührung sie leicht kitzelte.

„Hier steckst du“, erklang die Stimme ihres Bruders hinter ihr.

Sie wandte sich um. Feuerfuß wieherte sanft, als wolle er seinen Herrn begrüßen. Éomer trat zu den beiden, gab seiner Schwester einen brüderlichen Kuss auf die Stirn und tätschelte seinem Hengst den Hals.

„Wo sollte ich sonst sein?“, fragte sie und schlüpfte unter dem Hals des Pferdes hindurch, damit es ihr nicht wieder in den Nacken atmen konnte. „Ist die Sitzung schon vorüber?“

Éomer nickte und grinste so breit, dass Éowyn ihn nur verwirrt ansehen konnte. Sie hatte den Ernst im Blick ihres Onkels gesehen, als er ihr erklärt hatte, dass diese Sitzung nichts für ihre jungen Ohren sei und er sie deshalb nicht dabei haben wollte. Früher war sie oft dabei gewesen, manchmal sogar auf des Königs Schoß gesessen. Als Kind war sie willkommen gewesen, als Heranwachsende jedoch nicht mehr. Das erschien ihn so furchtbar ungerecht!

„Ich habe umwerfende Neuigkeiten!“, ließ Éomer sie voller Begeisterung wissen.

„Das kann ich sehen“, erwiderte Éowyn. „Nun erzähl schon …“ Geduld war nicht unbedingt eine ihrer Tugenden.

„Der König hat mich zum Dritten Feldmarschall befördert!“

Ein allzu mädchenhaftes Kreischen hallte daraufhin durch die Stallungen und ließ sämtliche Pferde erschrocken Wiehern. Sofort zügelte Éowyn ihren Gefühlsausbruch, drängte sich an Feuerfuß vorbei und fiel ihrem Bruder überschwänglich um den Hals. „Das ist ja großartig, Éomer! Ich gratuliere dir von Herzen. Ich bin sehr stolz auf dich und ich weiß, dass es Mutter und Vater ebenso wären.“

„Danke, liebste Schwester.“ Er hielt sie für einen Moment fest an sich gedrückt.

Nach einer Weile löste sie sich von ihm und sah ihm in die Augen. „Nicht, dass ich dir die Beförderung missgönne, doch wie kam es dazu? Du bist vermutlich der jüngste Feldmarschall aller Zeiten.“

Éomer nickte, doch das Grinsen wollte nicht aus seinen Zügen verschwinden. „Der König will die Außenposten befestigen. Théodred wurde die Westfold anvertraut. Er wird in ein paar Wochen nach Helms Klamm abreisen.“

„Er wird Edoras verlassen?“ Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die Abreise ihres Vetters bedauerte. Sie liebte ihn beinahe so sehr wie ihren Bruder, schließlich waren sie gemeinsam aufgewachsen.

„Nicht nur er wird Edoras verlassen“, ließ Éomer sie wissen. „Mir wurde Aldburg anvertraut, Éowyn. Wir kehren heim!“

Ihre Knie gaben mit einem Mal unter ihr nach. Aldburg. ‚Wir kehren heim!‘ Die Worte hallten wie ein Echo in ihrem Verstand wider. Es war Jahre her, dass sie zuletzt in Aldburg gewesen waren. Ihre Eltern waren dort begraben. „Wir?“, fragte sie unsicher.

„Selbstverständlich! Du bist meine Schwester, Éowyn. Gewiss wirst du mich begleiten.“ Als er sie zuversichtlich anlächelte, erwiderte sie das Lächeln und gab erneut ein mädchenhaftes Kreischen von sich.

Endlich würde sie Gríma loswerden, der ihr nachstellte! Sie würde heimkehren! Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie Aldburg vermisste, trotz der traurigen Erinnerungen, die sie damit verband. Aldburg beherbergte nicht nur traurige, sondern auch eine ganze Menge schöner Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten.

Das verschreckte Wiehern der Pferde interessierte die Geschwister in diesem Augenblick wenig. Sie würden gemeinsam heimkehren!


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