7.09 - Was im Leben zählt von Mona

7.09 - Was im Leben zählt von Mona

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Andie kuschelte sich tief in ihr Kopfkissen. Sie hatte gestern Abend schlecht einschlafen können, doch mittlerweile schlummerte sie tief und fest. In letzter Zeit hatte sie eher schlecht geschlafen, doch Ashleys Gästebett war äußerst bequem. Die ersten Sonnenstrahlen wurden durch die dunklen Vorhänge von Andie ferngehalten, die in ihrem weit entfernten Traumland war.

Doch die friedliche Idylle wurde plötzlich zerstört.

Ein lauter, hysterischer Schrei gellte durch das ganze Haus und riss Andie unsanft aus dem Schlaf. Für einen Augenblick war sie orientierungslos, doch als erneut ein Schrei ertönte, sprang Andie fast aus dem Bett.

»Oh mein Gott, Ashley!« Andie stürzte auf den Flur und öffnete hektisch die Tür zu Ashleys Schlafzimmer.

Die junge Frau saß zusammengekauert auf dem Ehebett, lehnte den Kopf an ihre Knie und schaukelte nervös hin und her. Das dunkle Zimmer wurde nur von der Nachttischlampe auf Ashleys Nachttisch erhellt und dadurch sah Ashley noch ängstlicher aus.

Andie schloss die Tür hinter sich und musste sich erst mal an den Anblick gewöhnen. »Ashley, was ist passiert?«

Ashley hob den Kopf. Tränen liefen über ihr hübsches Gesicht. »Er...« Mehr brachte Ashley nicht hervor. Sie senkte den Kopf und starrte ins Leere. Ashleys Kopfschmerzen waren für sie unerträglich. Strähnen ihres goldenen Haares fielen ihr ins Gesicht und ließen sie noch verwirrter erscheinen.

Andie setzte sich neben Ashley und legte ihre Hand auf deren Schulter. Mit der anderen Hand fischte sie eine Packung Kleenex vom Nachttisch und reichte eines der Tücher Ashley. Sie wartete, bis Ashley sich die Tränen weggewischt und sich ihre Nase geputzt hatte.

Dann forderte sie mit sanfter Stimme: »Erzähl’s mir.«

»Er...« Ashley holte tief Luft und sah Andie an. »Er hat noch nicht angerufen!«

»Meinst du mit ‚er‘ etwa Justin?«, fragte Andie vorsichtig nach.

Ashley nickte und fing erneut an, zu weinen. Es machte sie fertig, dass sie seit gestern morgen nichts mehr von ihm gehört hatte.

Andie überlegte kurz. Sie wollte Ashley nicht verletzen, sie wollte ihr vielmehr helfen.
Also sprach sie mit beruhigender Stimme: »Er wird anrufen, glaub’s mir. Ich kenne das von Dawson. Wenn man erst mal in Hollywood ist, hat man Stress pur.«

Sie reichte Ashley ein neues Taschentuch. Ashley nahm es, putzte wieder ihre Nase und fragte dann unsicher: »Meinst du wirklich?«

»Ja, natürlich!« Andie nickte eifrig.

Ashley seufzte deprimiert: »Und was ist, wenn er mich vergessen hat? Wenn er eine Andere kennen gelernt hat?«

»Eine Andere?« Andie erlaubte sich ein Grinsen, »Wieso sollte Justin sich für andere Frauen interessieren, wo er doch dich hat?«

»Das sagst du nur so!«, schniefte Ashley und klang wie ein Teenager, doch Andie lachte sie deswegen nicht aus.

Sie sagte nur schlicht: »Nein. Das ist mein Ernst.« Ashley sah in ihre Augen, also setzte Andie noch ein ausdrückliches: »Er wird sich schon noch melden!« hinzu.

Ashley nickte tapfer und unterdrückte die neuen Tränen, die sich ihren Weg auf ihr Gesicht bahnen wollten.

»Ash, hör auf zu weinen! Weißt du was? Wir gehen jetzt in die Küche und ich werde dir ein total leckeres Frühstück machen«, schlug Andie vor. Einschlafen konnte sie ja nun sowieso nicht mehr.

Ashley versuchte, munter zu klingen: »Klingt gut.«

»Gut, ich gehe schon mal runter. Du wäschst dir am besten das Gesicht, Tränen stehen dir nicht. Brauchst du ein Aspirin?«, fragte Andie vorsorglich.

Ashley schüttelte den Kopf: »Nein, ich brauche kein Aspirin.«


»Okay, bis gleich.« Andie stand auf und verließ das Schlafzimmer, um in die Küche zu gehen.

Wenigstens hatte Ashley jemanden, der sie liebte. Andie war sich bei ihr selbst nicht so sicher, und als sie die dunkle Küche betrat, fühlte sie sich für einen Moment alleine.
Doch dann fiel ihr ein, dass Ashley sie doch irgendwie brauchte, in dieser Phase. Es tat gut, gebraucht zu werden. Während sie das Licht anmachte und die Zutaten für frische Waffeln aus den Regalen holte, fühlte sie sich richtig nützlich. Zehn Minuten später duftete es in der Küche nach Frühstück und Ashley kam nun auch.

»Und, geht’s wieder?« Andie wendete den Pfannkuchen geschickt in der Luft.

»Ja.« Ashley setzte sich an den Tisch. »Justin wird sich schon noch melden.«

»Genau.«

Andie nickte und hoffte inständig, dass Justin sich wirklich noch melden würde. Es würde Ashley das Herz brechen, wenn er es nicht tat. Andie hatte richtig Mitleid mit der neuen Freundin, doch das half Ashley nun auch nicht weiter. Andie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie sich fühlte ...

~*~

Doug wendete die Rühreier in der Pfanne und verteilte sie auf zwei Tellern, als Jack noch etwas müde und verschlafen die Küche betrat.

»Guten Morgen, Schatz«, begrüßte ihn Doug und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, als er die Teller auf dem Tisch stellte.

Amy saß in ihrem Kinderstuhl und patschte fröhlich in einer Teepfütze herum, die vor ihr entstanden war. Immer wieder drückte sie ihren kleinen Finger in das kalte Nass und quietschte dabei vor Freude laut auf.

»Ja, das macht dir Spaß, Süße!«, sagte Doug und ließ sich lachend auf einen Stuhl fallen.

Jack blätterte derweilen in der Zeitung und studierte die Sportanzeige gründlich. Seit seiner Jugend hatte er nicht mehr viel Zeit für Sportaktivitäten übriggehabt und ging jetzt nur noch ein Mal die Woche mit Doug zum Joggen.

Doug nippte an seiner Kaffeetasse und warf einen Blick in seinen Terminplaner. Er hatte schon den ganzen Morgen das Gefühl gehabt, dass heute etwas Besonderes war.

»Oh nein!«, stöhnte er und blätterte hastig immer wieder von einer Seite zur nächsten.

»Was ist denn?« Jack blickte ihn fragend an und legte die Zeitung beiseite.
»
Ich hatte schon den ganzen Morgen das Gefühl, dass heute irgendetwas ist.« Doug ließ sich mit einem lauten Seufzen in die Stuhllehne fallen.

»Ja, und?«, meinte Jack und hob Amy aus ihrem Kinderstuhl und setzte sie auf seinen Schoß. Das kleine Mädchen wippte vergnügt umher und grapschte nach jeglichen Dingen, die sich vor ihr befanden.

»Heute Abend hat uns einer deiner Kollegen zu seinem Geburtstag eingeladen. Ich hatte vergessen es dir zu erzählen.«

Jack zuckte mit den Schultern. »Das ist doch kein Problem. Andie ist sicherlich da. Sie ist doch ganz vernarrt in die Kleine und kann bestimmt heute Abend auf sie aufpassen«, meinte Jack und setzte Amy auf ihre Spieldecke.

Doug stapelte das Geschirr aufeinander und stellte es in die Spüle.

»Ich glaube nicht, Jack. Andie ist heute Abend ebenfalls weg. Sie hat mir vorgestern gesagt, dass sie irgendwo einen Termin hat. Muss anscheinend etwas Wichtiges sein.«

Jack zog die Stirn kraus und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Das ist natürlich gar nicht gut. Wir können nicht schon wieder Mrs. Leery um Hilfe bitten. Sie greift uns wirklich schon genug unter die Arme. Und was ist mit Pacey und Joey?«, stöhnte er.

»Die müssen doch das Icehouse irgendwie am laufen halten.« Doug steckte den Terminplaner in seine Jackentasche und zog sie sich an. »Wie wäre es denn mit Ashley? Sie hat bestimmt Zeit. Jetzt wo sie hierhergezogen sind. Und sie scheint wirklich nett zu sein«, bemerkte Doug.

Jack nahm Amy auf dem Arm und zog ihr ihre Jacke an. »Das wird wohl unsere einzige Lösung sein, Doug. Aber so ruhig werde ich den Abend über dabei nicht sein«, entgegnete Jack und setzte Amy in ihren Kinderwagen.

»Es bleibt uns nichts Anderes übrig.« Doug nahm die Schlüssel vom Wandhacken und öffnete die Haustür.

»Viel Spaß bei der Arbeit, Schatz«, meinte Doug und küsste Jack schnell auf die Wange.

»Bis heute Mittag.« Jack schloss die Tür hinter den beiden und beschloss, Ashley noch vor seiner ersten Unterrichtsstunde anzurufen.

Es blieb ihnen anscheinend wirklich nichts Anderes übrig.

~*~

Joey starrte die Wohnungstür an. Im Gedanken versuchte sie die Sätze zu formulieren, die sie sagen wollte, doch weder Subjekt, noch Prädikat oder Objekt fielen ihr ein, die nur annähernd zu dem passten, was sie sagen wollte. Es war zu schwer auszudrücken, was sie sagen wollte, wie sie es sagen wollte. Sie überlegte kurz, wie die Chancen standen, dass er nicht da war, aber Pacey war um diese Uhrzeit nicht bei der Arbeit. Das wusste sie genau. Außerdem war es besser, wenn er zu Hause war. Sie musste dringend mit ihm reden, dass war sie ihm schuldig, ihr selbst und ... dem Kind. Schließlich ging es um das Kind.

Dann öffnete sich die Tür und sie hörte ein erfreutes: »Joey!«

Vielleicht war es auch nicht so erfreut, wie Joey dachte, doch im Moment musste sie sich auf das konzentrieren, was ihr bevorstand. Da kam es nicht auf Kleinigkeiten an. Pacey bat sie herein und Joey fühlte sich reichlich unbehaglich.

Als sie ihre Jacke auszog, überkam sie ein Kälteschauer.

Lag es an der derzeitigen Situation in ihrer Beziehung oder daran, dass Pacey die Heizung nicht eingeschaltet hatte?

»Was gibt’s?«, versuchte Pacey locker das Gespräch zu beginnen. Er setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer und Joey setzte sich unsicher neben ihn.

»Pace...« Joey verstummte und sah sich um. Es roch nach Essen in der Wohnung, also meinte sie: »Hier riecht es aber gut!«

Pacey lächelte vorsichtig: »Ich probiere nur gerade ein Gericht aus, aber es sieht nicht sehr appetitlich aus.«

»Wolltest du es mir irgendwann vorsetzen?«, fragte Joey nach, glücklich darüber, dass sie entspannt miteinander reden konnten.

»Ja«, sagte Pacey lahm. Als er aber bemerkte, dass sie gerade entspannt miteinander sprachen, wollte er den Small-Talk natürlich nicht beenden: »Es ist mit Hühnchen ... du magst doch Hühnchen?«

»Pute wäre besser gewesen«, sagte Joey, doch da sie Pacey nicht irgendwie beleidigen wollte, sagte sie schnell: »Aber was du kochst, schmeckt doch immer super gut.«

»Danke ... ich werde noch ganz rot«, antwortete Pacey gespielt verlegen.

Keiner der beiden wusste nun, wie es weitergehen sollte, also schwiegen sie. Joey betrachtete die gegenüberliegende Wand und Pacey den Fußboden.

Schließlich fragte er: »Also, was liegt an?«

Joey seufzte. Sie hatte gewusst, dass es kommen würde und war froh, wenigstens diese eine Antwort zu wissen: »Pace, du weißt, dass wir reden müssen.«

Pacey nickte zerknirscht: »Ja, das weiß ich sehr wohl.«

Er sah sie mit einem Hundeblick an und sagte leise: »Also, leg los!«

Joey schüttelte den Kopf: »Nicht jetzt ... Ich meine, nicht jetzt, während dein Essen anbrennt.«

»Hey!«, rief Pacey entrüstet, »Das muss so riechen. Wenn’s nicht so riecht, habe ich was falsch gemacht.«

Joey zog die Augenbrauen hoch: »Und ich sollte das essen?«

Pacey lächelte: »Joey, was wolltest du mir sagen? Bist du nur gekommen, um meine Kochkünste niederzumachen?«

»Das würde ich doch nie tun.« Joey lächelte ebenfalls. Wenigstens fiel ihr dadurch ein netter Vorschlag ein: »Gut. Lass uns das heute Abend besprechen. Bei einem Glas Wein und ... dem komischen Etwas, was du da gerade zusammen kochst.«

Pacey war völlig einverstanden. Bei einem Abendessen konnte er Pluspunkte sammeln, auch wenn diese Beziehung kein Spiel war.

Also nickte er und machte ein heiteres: »Geht klar.«

Joey lächelte. So schwer wie sie es sich vorgestellt hatte, war’s ja doch nicht. Obwohl das Schwerste ja noch kam.

»Ich bin bald wieder da.« Joey stand auf und verließ die Wohnung.

Pacey sah ihr sehnsüchtig hinterher.

Joey schloss die Tür hinter sich und verließ das Haus. Wenigstens hatte sie es geschafft, die derzeitige Situation in der Beziehung etwas zu entschärfen. Aber noch nicht vollkommen und es würde schwer werden, ihm klar zu machen, was sie dachte.

Klar, sie wollte mit Pacey eine Familie gründen ... Aber doch noch nicht jetzt! Nur wie sollte sie ihm das klarmachen?

~*~

Jack und Doug standen vor einem großen Einfamilienhaus am Rande von Capeside. Jack stieg die hölzerne Treppe zur Veranda hoch und klopfte leicht an die Tür.

»Es lässt mir irgendwie keine Ruhe, dass Ashley alleine mit Amy ist«, meinte Jack und zupfte etwas nervös an seinem Jackenkragen herum.

Doug kam ihm zur Hilfe und richtete seinen Kragen. »Es wird schon gut gehen, mach’ dir da keine Sorgen«, beruhigte Doug ihn und legte seine Hand auf Jacks Schulter. Er konnte Jack nur zu gut verstehen. Auch ihm war das Ganze anfangs etwas suspekt gewesen.

Schlagartig öffnete sich die Glastür und ein älterer Mann, mit graumelierten Haaren und Bart blickte die beiden an. Er trug einen dunkelgrünen Pullunder, der nur zu gut zu seinem Erscheinungsbild passte.

»Guten Abend, Mr. McPhee. Schön, dass Sie die Einladung angenommen haben.« Der ältere Mann schüttelte voller Freude Jacks Hand und klopfte im freundlich auf die Schulter.

»Guten Abend Mr. O’Connor. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Wir haben uns leider etwas verspätet, aber wir mussten noch einen Babysitter für unsere Tochter finden«, rechtfertigte sich Jack.

»Das ist doch kein Problem. Kommen Sie doch bitte herein.«

Jack und Doug betraten das Haus, das nur so von Gästen wimmelte. In vielen Ecken des Hauses konnte Jack einige Kollegen vorfinden, die sich angeregt miteinander unterhielten.

»Ganz schön voll hier«, bemerkte Doug und zog sich seinen Mantel aus.

»Jack? Hi!«, rief eine schlanke Brünette vom anderen Ende des Raumes zu ihnen hinüber.

»Hi, Katie«, begrüßte Jack sie und umarmte sie freundlich.

»Das ist mein Lebensgefährte Doug. Doug – Katie – Katie – Doug«, stellte Jack ihr Doug vor, der höflich die Hand der Dame schüttelte.

»Jack? Darf ich Ihnen Michael vorstellen … meinen Verlobten!«, sprudelte es aus der bildhübschen Frau heraus.

Jack stutzte und lachte laut auf.

»Wow, herzlichen Glückwunsch euch beiden«, gratulierte er Katie und drückte sie herzhaft an sich.

»Wir werden im Frühjahr heiraten«, erklärte die Frau den beiden, als sich ihr Verlobter Michael zu Wort meldete.

»Bei so einer Frau darf man keine Zeit verlieren«, meinte Michael und küsste sie sanft auf den Mund.

»Es war Liebe auf den zweiten Blick. Ich habe ihn schon oft hier in Capeside gesehen und kannte ihn auch, aber gefunkt hat es ein paar Jahre später, nicht wahr, Schatz«, lächelte Katie und Michael legte die Arme um ihre Hüften.

»Ja, wenn das mal kein Schicksal ist«, stellte Doug fest und lächelte den beiden zu.

Er wusste, was in diesem Moment in Jacks Kopf vorgehen musste. Auch sie kannten sich schon ewig, nicht alleine wegen der Beziehung zu seinem jüngeren Bruder Pacey und lernten sich erst Jahre später richtig kennen und schließlich lieben. Auch für sie war es Liebe auf den zweiten Blick gewesen ... und auch sie wollten heiraten, wenn dieser Gedanke bislang auch nur einseitig vertreten war.

»Wir sehen uns bestimmt den Abend über noch mal«, verabschiedete sich Katie und schlenderte Hand in Hand mit Michael davon.

Jack blickte den beiden nach. Ihm war klar, was Doug gedacht haben musste. Ihre Liebesgeschichte war ein eindeutiges Ebenbild dieser beiden gewesen. Und er wusste, dass sie darüber reden mussten.

»Findest du das nicht auch schön, dass zwei Menschen die sich gefunden haben, den Bund des Lebens eingehen, nur aus dem simplen Grund, dass sie sich lieben?«, fragte Doug nach und Jack erkannte den Unterton in seiner Stimme.

Sie mussten reden - jetzt auf der Stelle. »Wir müssen reden, Doug«, meinte Jack und zog Doug zur Haustür auf die Veranda.

Doug ließ sich auf einer der Gartengarnituren nieder, während Jack sich an das Geländer lehnte. »Wir verdrängen dieses Problem schon wieder, aber je länger wir es verdrängen umso größer wird es, Doug«, begann Jack das Gespräch und blickte über den Fluss, der sich vor ihnen dahinschlängelte.

Doug atmete tief durch. »Jack, ich verdränge nichts. Aber ich habe noch keine konkrete Antwort von dir bekommen. Nicht ich bin es, der hier irgendwas verdrängt. Das bist du«, antwortete Doug und erhob sich von dem Stuhl.

»Doug ich ...«, begann Jack zögerlich und drehte sich zu ihm um.

»Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich bin verwirrt und verunsichert«, entgegnete Doug und knöpfte sich seine Jacke zu, da ein leichter Windstoß aufkam. »Sag mir einfach die Wahrheit«, forderte er ihn auf. »Sag mir nur, ob du mich heiraten möchtest.«

Jack blickte ihn sanft an.

»Ich liebe dich, Doug«, meinte er und wippte von einem Fuß auf den anderen.

Dougs Gesichtszüge blieben hart. »Jack, ich zweifele nicht daran, dass du mich liebst, ich zweifle daran, wie sehr du mich liebst«, meinte Doug und drehte sich um, um wieder ins Haus zu gehen. Ohne ein Wort öffnete er die Tür und ließ einen verdutzten Jack auf der Veranda stehen.

Jack wusste, dass er Doug liebte. Und er war sich sicher, dass er ohne ihn nicht leben könne, aber aus irgendeinem Grund war er noch nicht imstande zu heiraten. Er hatte Angst davor. Er wusste was es für einen Kampf gewesen war, Anerkennung und Toleranz zu bekommen und er war noch nicht bereit dafür ein weiteres Mal zu kämpfen.
Jacks Blick schweifte über den Fluss in die Ferne. Er musste sich entscheiden.

~*~

Andie ging unruhig vor Paceys Wohnungstür hin und her. Vielleicht sollte sie doch lieber zurückgehen und Ashley beim Babysitten mit Amy helfen, aber sie musste es einfach hinter sich bringen. Sie hatte ja keine Ahnung, dass Joey vor ein paar Stunden genauso aufgeregt vor Paceys Tür hin- und hergetigert war, doch Joey hatte ja eine Beziehung mit Pacey. Andie nicht. Hatte Andie überhaupt das Recht, Pacey zu belästigen? Sie begann, sich einzureden, dass sie sehr wohl das Rechte hatte. Sie und Pacey waren ja keine Fremden. Sie kannten sich schon seit der Highschool, waren befreundet und hatten mal etwas miteinander ... was allerdings schon lange vorbei war.
Andie wusste nicht, ob sie darüber glücklich war oder nicht. Zögerlich blieb sie direkt vor der Tür stehen. Sie wollte Pacey wiedersehen, immerhin waren sie ja gut befreundet. Sie hatten auch eine Menge durchgemacht, aber eben nicht so viel wie Pacey mit Joey durchgemacht hatte. Andie seufzte, starrte zu Boden und ging noch mal ihren Plan durch. Auch wenn man ihn nicht gerade Plan nennen konnte. Sie wollte nur ein wenig mit Pacey reden.

»Okay... Ich schaffe das! Es ist Pacey! Ich kenne Pacey schon lange! Es ist doch nur Pacey!« Andie atmete tief durch, überlegte sich kurz, ob das ‚nur‘ überhaupt zu ihren Gedanken passte und drückte auf die Klingel. Das schrille Geräusch machte Andie noch hibbeliger und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Pacey die Tür öffnete.

»Oh, hey Andie!« Pacey lächelte. Er hatte zwar erwartet, dass Joey vor der Tür stand, aber Andrea McPhee war eine angenehme Abwechslung.

»Hi, Pacey. Stör’ ich?«, fragte Andie scheu.

»Nein, überhaupt nicht. Ich koche gerade, aber du kannst mir gerne dabei zuschauen oder den Salzstreuer halten.« Pacey grinste und winkte die Freundin herein.

Andie legte Mantel und Schal ab und folgte Pacey in die Küche.

»Wow, hier riecht es aber gut«, staunte Andie und beugte sich über einen großen Topf, der gefährlich an einen Hexenkessel erinnerte.

»Hühnchen mit Soße, gemischten Nudeln und eine merkwürdige Pampe, die eigentlich ein Salatdressing sein sollte«, erklärte Pacey.

»Mmh, klingt gut, bis auf diese ‚Pampe‘. Ich möchte nicht wissen, wie sie schmeckt.« Andie setzte sich auf eine freie Arbeitsfläche und beobachtete, wie Pacey sich dem Salat widmete.

»Und, was treibt dich zu mir?«, fragte Pacey, während er die letzten Blätter vom Salatkopf zupfte und in das mit Wasser gefüllte Spülbecken warf.

»Ach, ich bin zurzeit in Capeside und das kann man ja dazu nutzen, alte Freunde zu besuchen«, erklärte Andie gespielt locker.

»Also, sooo alt ist ja unsere Freundschaft auch nicht«, meinte Pacey und beschäftigte sich mit dem Waschen der Salatblätter, die munter im Spülbecken herumschwammen.

Andie nickte unsicher: »Eben.«

Sie musterte ihn. Er war einfach nur attraktiv und schnuckelig. Klar, dass Joey ihm noch eine zweite Chance gegeben hatte, mehr oder weniger zumindest.

»Kochst du für jemanden Bestimmtes?«, fragte Andie, obwohl sie sich schon denken konnte, für wen Pacey kochte.

»Ja. Joey kommt heute Abend noch vorbei. Wir haben einiges zu bereden«, erklärte er.

»Du willst sie mit dem Essen milde stimmen?«, erriet Andie.

»So kann man’s sagen, ja.« Pacey nickte und schaufelte den Salat in eine Plastikschüssel.

Andie versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Pacey für sie so etwas kochen würde. Das wäre nämlich phantastisch. Joey wusste ihren Pacey ja gar nicht zu schätzen! Während Andie so nachdachte, wurde sie immer wütender auf Paceys Freundin.

Pacey sah auf: »Wie geht’s Sascha?«

»Gut«, schwindelte Andie. Sie wollte vor Pacey nicht den bemitleidenswerten Single spielen. Vor jedem anderen schon, aber nicht vor Pacey.

»Kommt er nach?«, wollte Pacey wissen.

»Nein«, sagte Andie verärgert. Warum musste Pacey weiter nachbohren? Sie wollte nicht mit ihm über Sascha sprechen und auch nicht über Joey. Sie sprang von der Arbeitsfläche.

»Pacey, ich will dich nicht aufhalten, ich muss eh noch etwas besorgen.«

»Ach, bleib doch noch ein bisschen«, forderte Pacey sie auf und sah sie erstaunt über ihren plötzlichen Aufbruch an.

»Pacey, ich muss wirklich gehen.« Andie verließ die Küche, schnappte sich ihren Mantel samt Schal und öffnete die Tür.

Sie hörte noch wie Pacey ihr ein »Bye!« hinterher rief.

Traurig stolperte sie in den Hausflur hinaus. Sie hatte sich bei Pacey plötzlich unwohl gefühlt, völlig fehl am Platz. Andie erreichte das Treppenhaus. Sie wusste, dass ihre Flucht albern war, doch sie war zu verwirrt, um noch weiter mit ihm zu reden. Sie benahm sich kindisch, das war ihr klar. Warum war sie nur so plötzlich sauer auf Joey geworden? Sie war doch ihre Freundin. Als Andie das Wohnhaus verließ, wusste sie, dass sie eifersüchtig war. Insgeheim war ihr klargeworden, dass Pacey ihr fehlte. Dass er ihr mehr fehlte als Sascha. Dass sie seine Liebe vermisste, seine Zärtlichkeit.

Sie blieb stehen.

Sie durfte ihn aber nicht vermissen!

Andie schüttelte wütend auf sich selbst den Kopf. Sie hatte doch gerade erst mit Sascha Schluss gemacht, sie bildete sich diese liebevollen Gefühle für Pacey doch eh nur ein.

Oder etwa nicht?

»Oh Gott ...«, murmelte Andie und ging weiter. Sie hatte noch immer Gefühle für Pacey und das würde wohl niemals aufhören …

~*~

Ashley ging hektisch von einer Seite zur nächsten, als sie plötzlich einen durchdringenden Geruch aus der Küche wahrnahm. Schnell rannte sie in deren Richtung und bemerkte, dass die Milch übergekocht war. Gehetzt strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nahm sich einen Lappen, um die verbrannte Kruste von der Herdplatte zu putzen. So hatte sie sich den Abend wirklich nicht vorgestellt. Früher hatte sie oft einmal auf Kinder in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis aufgepasst und auch als Schülerin hatte sie sich so ein paar Dollar dazu verdient. Aber heute war ihr alles zu viel. Ashley wischte den Boden sorgfältig sauber, als sie einen lauten Schrei aus dem Nebenzimmer wahrnahm. Amy schrie wie am Spieß und war anscheinend mit dem Kopf gegen die Bettkante geknallt.

Hastig rannte Ashley ins Nebenzimmer und hob Amy aus ihrem Kinderbett.

»Oh Gott, Süße. Was machst du denn?«, beruhigte sie das kleine Mädchen und schaukelte es behutsam auf dem Arm hin und her, doch die Kleine brüllte nur noch lauter.

Ashley lief mit dem Kind in Richtung Küche und ließ sich auf einem Stuhl nieder. »Ist doch gut. Es ist doch alles wieder in Ordnung, Amy. Pschttt ...« Ashley streichelte ihr sachte über den Rücken und wippte sie auf dem Schoß. Nach einer kurzen Weile hatte sich Amy wieder beruhigt und spielte andächtig mit Ashleys Kettenanhänger.

»Ja, ja. Jetzt kannst du wieder lachen. Jetzt wo ich fertig bin«, witzelte sie und setzte Amy in ihren Kindersitz.

Plötzlich klingelte das Telefon. Schnell rannte sie zum Gerät und hob den Hörer hoch.
»Bei McPhee und Witter, Ashley Harper am Apparat.«.

»Oh, guten Abend. Könnte ich mit Jack oder Doug sprechen?«, erklang es am anderen Ende des Telefons. Ashley kannte diese Stimme, es war Gale Leery, ihre Nachbarin.

»Tut mir leid, Mrs. Leery. Die beiden sind heute Abend ausgegangen.« Ashley spielte mit der Schnur des Hörers und wickelte sie mehrfach um ihren kleinen Finger.

»Das ist kein Problem. Kannst du ihnen ausrichten, dass ich angerufen habe, und dass sie mich im Laufe der Woche zurückrufen sollen. Ich habe noch etwas von Lilly gefunden, das sie vielleicht gebrauchen könnten«, meinte Gale.

»Ja, sicher. Bis demnächst, Mrs. Leery«, antwortete Ashley und schlagartig vernahm sie ein enormes Gepolter und Geschrei aus der Küche.

Noch bevor sie aufgelegt hatte hechtete Ashley in die Küche und sah Amy auf dem Boden liegen. Sie schien aus ihrem Stuhl gefallen zu sein.

»Ach du meine Güte. Amy!«

Sie nahm die Kleine hoch und richtete den Stuhl wieder, als das Telefon erneut klingelte. Mit Amy auf dem Arm rannte sie zum Telefon. »Bei McPhee und Wit ..., Oh nein, auch das noch«.

Das Wasser, das sie kurz vorher in die Spüle eingelassen hatte, um das Geschirr abzuwaschen, lief nun literweise herunter und wurde zu einer riesengroßen Pfütze, welche die halbe Küche bedeckte.

»Oh, nein, nein, nein.«

Plötzlich wurde Ashley schwarz vor den Augen und sie konnte Amy nur noch mit viel Mühe auf dem Arm halten. Mit einem lauten Schlag fiel sie zu Boden. Ashley bemühte sich aufzustehen und die schreiende Amy zu beruhigen. Dicke Tränen kullerten der Kleinen aus den Augen und liefen über ihre Wangen.

»Es tut mir leid, Süße. Es tut mir so leid. Ich kann einfach nicht mehr.« Ashley fing an zu weinen und drückte Amy gegen ihre Brust. »Ich werde damit nicht fertig! Mir fehlt Justin so. Wo ist er denn, wenn man ihn braucht?«

Zusammengekauert saßen die beiden in einer Ecke der Küche und Ashley schaukelte das kleine Mädchen langsam hin und her, bis die Kleine vor Erschöpfung und Müdigkeit eingeschlafen war.

»Er ruft nicht einmal an. Wieso ruft er nicht an?« Ashley wurde immer panischer, bis sie schließlich ebenfalls einnickte. Schlafend saßen die beiden am Boden.

~*~

An diesem Abend herrschte im ‚Leerys Fresh Fish’ Hochbetrieb, wie eigentlich immer. Liebespaare genossen beim Kerzenlicht die leckeren Fischgerichte und Geschäftsleute plauderten gemütlich bei einem Glas gutem Wein über ihre Arbeit.

Und Andie fühlte sich hier völlig fehl am Platz, aber sie hatte nicht gewusst, wo sie sonst hingehen sollte. Nachdem sie Paceys Wohnung fluchtartig verlassen hatte, war sie im guten alten Capeside shoppen gegangen, wenn man es ‚shoppen‘ nennen konnte. Sie war ihn allen Läden gewesen, doch nach dem Einkaufen ging es ihr immer noch nicht wesentlich besser.

Andie zog ihren Mantel aus, hängte ihn an die Garderobe und setzte sich mit ihrer Einkaufstasche an die Bar. Gretchen war gerade dabei, Wein in zwei Gläser zu füllen.

»Hey!«, begrüßte Gretchen Andie, ohne hinzusehen. Schließlich hatte Gale ihr eingebläut, nicht schon wieder den Wein auf die Theke zu schütten.

»Hi.« Andie lächelte.

»Möchtest du was trinken?«, Gretchen runzelte genervt die Stirn, als doch ein paar Tropfen daneben gingen. Sie stellte die Flasche weg und wischte schnell das Missgeschick weg.

»Ein Wasser, bitte.« Andie strich sich ihre blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht und betrachtete Gretchen aufmerksam.

»Was ist?«, fragte Gretchen grinsend, während sie Wasser in ein Glas goss.

»Ach, ich dachte mir, nachher noch bei Pacey vorbeizuschauen«, erklärte Andie.

»Und da studierst du so aufmerksam meine Klamotten?«, lachte Gretchen und ließ einige Eiswürfel in das Glas plumpsen.

Andie zögerte: »Ich dachte nur gerade...«

Gretchen überreichte ihr das Glas Wasser: »Ich kann mir schon denken, was du gedacht hast. Böses Mädchen ...«

»Also, wenn du mir nichts verraten willst, können wir auch übers Wetter reden«, meinte Andie schüchtern und nippte am Glas. Gretchen kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe, also beschloss Andie, dass Gretchen zu keiner Auskunft bereit war: »Das Wetter im Capeside im Gegensatz zu Hamburg ist echt warm! Es ist echt herrlich hier. Ich habe das Klima hier sehr vermisst.«

»Ok, ok«, unterbrach Gretchen Andie. »Ich erzähle dir ein paar Geschichten aus der Pacey – Joey Saga ... Aber du darfst keinem der beiden erzählen, dass du es von mir hast oder es überhaupt weißt!«

»Selbstverständlich.« Andie rutschte unruhig auf dem Hocker hin und her. Es war nicht die feine Art, Gretchen auszuhorchen, aber sie hätte auch nichts sagen können.

»Also, es ist so …«, Gretchen stellte die beiden Weingläser auf ein Tablett. Andie spitzte die Ohren und lauschte jedem Wort aus Gretchens Mund. »Pacey hat mir heute erzählt, dass er und Joe einige Probleme haben.« Gretchen nahm ein Bierglas aus dem Regal und nickte einem Kellner zu, der gerade das Tablett mit dem Wein abholte.

»Inwiefern?« Andie nahm einen Schluck Wasser, ihre Kehle war schon ganz trocken.

»Na ja, Pacey hatte sich schon seine ganze Zukunft mit Joey vorgestellt. Er hat sich ausgemalt, mit ihr zusammenzuziehen, einen Hund zu kaufen ... und hat ihr deshalb spontan einen Antrag gemacht.«

Andie fühlte, wie ihr Herz etwas langsamer schlug. »Was hat Joey gesagt?«

»Na ja, unsere liebe Joey hat nichts darauf gesagt. Pacey ist absolut geknickt. Ich meine, für ihn wäre es echt das größte, eine eigene Familie zu haben. Und ein guter Vater zu sein.«

»Vater?«, Andies Herz blieb fast stehen.

»Ja.« Gretchen nickte. »Aber, glaub mir, Joey als Mutter wäre wohl nicht ideal.«

Davon war Andie überzeugt. Zwar gönnte sie Joey ein Baby und eine glückliche Beziehung, aber nicht ein Baby von Pacey und eine glückliche Beziehung mit Pacey, so blöd es auch für sie klang.

»Ich meine, wegen dem Job«, sagte Gretchen schnell, als hätte sie Andies Gedanken gelesen.

»Ja, klar.« Andie nickte hastig und wiederholte überzeugt: »Wegen dem Job.«

Gretchen grinste amüsiert.

Andie kam sich vor wie eine alte Tratschtante, als sie sich vorbeugte und stotterte: »Aber... aber Joey und Pacey sahen so glücklich miteinander aus ... Glaubst du etwa, Joey will...« Ihr war im Moment egal, was Gretchen jetzt von ihr hielt, aber sie musste unbedingt mehr darüber wissen, auch wenn es sie gar nichts anging.

Gretchen zuckte mit den Schultern: »Weiß nicht.« Während sie Bier in das Glas füllte, meinte sie beiläufig: »Aber du kennst doch Joey. Es würde Pacey ganz sicher das Herz brechen...«

Dann schwieg Gretchen. Andie nickte Gretchen schließlich zu: »Danke. Ich muss jetzt los.«

»Ach wirklich?«, fragte Gretchen belustigt.

»Ja, ja, ich will dich ja nicht bei ... bei der Arbeit aufhalten!«, stotterte Andie, trank ihr Glas in einem Zug leer und fingerte in ihrer Hosentasche nach etwas Kleingeld.

»Keine Sorge, geht auf’s Haus«, meinte Gretchen und räumte das Glas weg.

Andie lächelte dankbar und warf ihr ein »Ciao« zu.

»Bye!«, rief Gretchen Andie hinterher.

~*~

Ashley deckte die kleine Amy zu und drückte auf den weißen Knopf der Babyphonanlage, die nun rot aufleuchtete. Auf Zehenspitzen und schleichend verließ sie das Kinderzimmer und zog leise die Tür hinter sich zu. Sie wusste selbst nicht, was vorhin mit ihr los gewesen war. Es war ihr alles einfach zuviel gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte sie die Kontrolle über sich und über das kleine Mädchen verloren. Je länger sie darüber nachdachte, umso schneller entwickelten sich Schuldgefühle. Was wäre gewesen, wenn Amy etwas zugestoßen wäre? Das hätte sie nicht verantworten können. Und was wäre dann mit Jack? Und Doug?

»Oh du meine Güte«, murmelte Ashley und hielt sich eine Hand vor Bestürzung vor den Mund. Ihr wurde es immer klarer, welche Verantwortung Jack und Doug ihr eigentlich überlassen hatten.

Ashley ging ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel. Benommen schaltete sie den Fernseher ein. Doch kein TV Sender konnte ihr Interesse wecken, bis sie den Fernseher kurzerhand wieder ausschaltete.

»Ich muss Justin anrufen«, sprach sie zu sich und zog ihr Handy aus ihrer Handtasche.
Mit zitternden Händen wählte sie seinen Namen im Kurzwahlspeicher an.

»Justin Harper«, erklang es kurz darauf am anderen Ende der Leitung.

Ashley strahlte innerlich auf. »Hi. Ich bin’s, Ashley.«

»Hi, Süße. Wie geht’s dir?«, fragte er besorgt.

»Ja, geht so. Bin etwas überfordert. Ich passe heute auf Jacks Tochter auf. « Ashley bemerkte, wie Justin lächelte. Sie wusste es, immerhin kannte sie ihn schon ewig.

»Und alles gut gelaufen mit der Kleinen?«, hakte Justin nach.

Ashley kaute nervös auf ihren Fingernägeln herum. »Ja, sicher. Die Kleine ist ruhig und friedlich«, log sie und hatte ein schlechtes Gewissen dabei, Justin die Wahrheit zu verschweigen. Aber sie wollte ihn doch nicht beunruhigen. Immerhin hatte er dort seinen Job zu machen.

»Gut. Bei mir ist sehr viel los. Ich komme kaum zum schlafen«, schnaufte er und fügte schnell hinzu: »Aber wenn ich schlafe, träume ich nur von dir.«

Ashley strahlte. »Ich liebe dich«, meinte sie und ließ sich gehen die Sessellehne sinken.

»Ich liebe dich auch, Süße«, erwiderte Justin.

»Rufst du mich an, wenn du in deinem Hotelzimmer bist?«, fragte sie und spielte dabei an ihrem Ring herum, den ihr Justin einmal geschenkt hatte.

»Sicher. Du ich muss jetzt leider weiter. Halt die Ohren steif, Schatz. Ich denke andauernd an dich«.

»Ja, mach’s gut, Liebling.« Ashley erhob sich wieder.

»Bye«, verabschiedete er sich und Ashley legte ihr Handy wieder beiseite.

Ihm ging es gut, das wusste sie. Und sie hatte wirklich keinen Grund zur Beunruhigung, aber warum war sie dann so durcheinander und nervös? Gedankenversunken ging sie zum Kühlschrank und goss sich ein Glas Milch ein. Als sie einen großen Schluck nahm, hörte sie wie die Haustür aufsprang. Jack und Doug waren zurück.

»Hi, Ashley. Wir sind wieder da«, begrüße Doug sie und warf den Autoschlüssel auf die Kommode.

»Und, hat die Kleine dich schön auf Trab gehalten?«, fragte Jack und ging nach oben zum Kinderzimmer, um einen Blick auf Amy zu werfen. Das Mädchen schlief tief und fest, so dass Jack wieder die Tür schloss.

»Ja, ja. Amy ist schon ein richtiger Wirbelwind. Aber wir haben das gut hinbekommen«, schwindelte Ashley und zog sich ihren Mantel an.

»Nochmals, vielen Dank. Du warst unsere Rettung in letzter Minute«, bedankte sich Doug und hielt ihr die Tür auf.

»Bleib’ doch ruhig noch ein wenig. Ich mache noch ein Flasche Wein auf«, warf Jack ein und war gerade dabei den Korken aus der Flasche zu ziehen.

»Nein, vielen Dank, Jack. Aber ich bin auch schon etwas müde. Ein anderes Mal gerne«, verabschiedete sie sich und winkte den beiden zu.

»Tschüss.«

»Mach’s gut«, rief Doug und setzte sich auf die Couch, kaum dass Ashley fort war.

Jack stellte den Wein auf den Couchtisch und holte zwei Gläser aus der Vitrine.

»Ich gehe noch schnell duschen«, meinte er lässig und zog sich bereits das Hemd über den Kopf.

Doug, der bereits dabei war es sich auf dem Sofa bequem zu machen, sah seinem Geliebten hinterher und spielte mit dem Gedanken, ihm ins Badezimmer zu folgen.

~*~

Zum zweiten Mal an diesem Tag ging Andie unruhig vor Paceys Wohnungstür auf und ab. Vielleicht war ja Joey schon da und sie würde nur stören. Allerdings bemerkte Andie nach einem Blick auf die Uhr, dass es noch nicht so spät war. Joey würde vielleicht noch nicht zum Abendessen erschienen sein. Und sollte es wirklich so zwischen den beiden kriseln, wie Gretchen erzählt hatte, würde Joey eh mit einer Verspätung kommen.

Also gab Andie sich einen Ruck und klingelte.

Einen Augenblick später öffnete Pacey und begrüßte sie mit einem verblüfften: »Hi, Andie.«

»Hey.« Andie lächelte. »Ich wollte mich entschuldigen, dass ich so schnell abgehauen bin.«

»Macht nichts, komm rein.« Pacey lächelte charmant und winkte sie in die Wohnung. Mittlerweile roch es in jedem Raum nach dem leckeren Abendessen.

»Ich mache gerade die Nachspeise«, erklärte Pacey, als Andie zu ihm in die Küche kam.

»Was denn?«, wollte Andie wissen.

»Schokoladenpudding. Joey mag den ganz besonders ... hoffe ich«, erklärte er und rührte den Topf um, in dem der Pudding erwärmt wurde.

»Sie wird ihn sicher mögen«, meinte Andie zuversichtlich. Sie lehnte sich an den Kühlschrank und beobachtete Pacey. Wie er sich um Joey bemühte, war wirklich beneidenswert! Doch würde es überhaupt etwas bringen? Andie wusste, dass Joey manchmal zickig sein konnte und so hatte Pacey es wohl nicht immer leicht.

»Hilfst du mir beim Tisch decken?«, fragte Pacey, »Du bist eine Frau, du weißt bestimmt, wie man einen Tisch schön dekoriert!«

»Sicher«, lächelte Andie.

»Die Tischdecke liegt irgendwo im Wohnzimmer«, erklärte Pacey.

Während Andie die Tischdecke holte und sie über den Küchentisch ausbreitete, sprachen die beiden über belanglose Dinge. Pacey schien eingesehen zu haben, dass Andie auf das Thema Sascha etwas allergisch reagierte und Andie traute sich nicht, das Thema Joey anzuschneiden.

Als sie Teller und Besteck verteilte, fragte Andie schließlich: »Was müsst ihr eigentlich besprechen?«

Pacey seufzte: »Das ist eine echt lange und schwierige Geschichte.«

Gretchen hatte Andie diese Geschichte zwar ziemlich kurz und unkompliziert erzählt, aber Andie verschwieg das und sagte: »Pacey, wenn du darüber reden möchtest, ich bin jetzt hier!«

»Im Moment nicht, aber danke. Vielleicht, wenn dieser Abend vorüber ist.« Pacey rührte den Pudding noch ein letztes Mal um und füllte ihn in zwei Glasschälchen. »Falls er irgendwann vorübergeht«, fügte er leise hinzu. Dann stellte er den Pudding in den Kühlschrank: »Danke für dein Angebot. Ich komme bestimmt darauf zurück.«

»Gut.« Andie lächelte wieder. Pacey schloss sie in eine freundschaftliche Umarmung und Andie fühlte sich richtig gut.

»Also, bis dann! Hals und Beinbruch! Viel Glück!« Sie winkte ihm zu.

Pacey begleitete sie noch zur Tür: »Danke, werde ich brauchen.«

»Ciao!« Andie wickelte sich ihren Schal um und verließ die Wohnung.

Pacey rief ihr ein »Bye!« hinterher und schloss dann die Tür.


~*~

In Andie breitete sich ein richtiges Hochgefühl aus. Sie war froh, dass Pacey ihr vertraute und dass sie beide normal miteinander reden konnten. Na ja, was ja für Pacey ganz natürlich war, für Andie eher ungewohnt. Sie hatte sich nun mal ein Problem eingehandelt – ein Problem mit dem Namen ‚Gefühl‘ – aber das versuchte sie so gut es ging zu verdrängen. So wie sie ihr Sascha-Problem verdrängt hatte. So wie Ashley ihre eigenen Probleme verdrängt hatte. Sie kam endlich am Hause der Harpers an und suchte in ihrer Jackentasche nach dem Schlüssel, den Ashley ihr gegeben hatte, für den Fall, dass es spät werden würde und Ashley schon schlief, wenn Andie heimkam. Aber in den Fenstern brannte noch Licht. Andie fand endlich den Ersatzschlüssel und sperrte die Türe auf.

»Schatz, ich bin wieder zu Hause!«, rief sie gut gelaunt und zog Mantel und Schal aus. Als keine Ashley antwortete und es im Haus still blieb, machte Andie sich auf den Weg in die Küche.

Ihr kam plötzlich in den Sinn, dass Ashley etwas passiert sein könnte ... oder Amy.

‚Bitte lass alles in Ordnung sein! ‘, dachte Andie. Als sie die Küchentür öffnete, fragte sie laut: »Ash?«

Doch ihre Sorgen waren unbegründet. Ashley saß am Küchentisch und telefonierte. Erleichtert setzte Andie sich zu Ashley und beobachtete sie. Geduldig wartete sie, bis Ashley aufgelegt hatte. Als dies ein paar Augenblicke später passierte, fragte Andie: »War das Justin?«

»Äh, nein. Viiiel besser.« Ashley lächelte zum ersten Mal seit einigen Tagen und lehnte sich entspannt zurück.

»Du hast ‘ne Affäre«, versuchte Andie den jemanden zu erraten, den Ashley angerufen hatte, aber es glückte ihr nicht so ganz.

»Nein.« Ashleys Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Ich habe gerade mit Fran telefoniert. Fran leitet so eine Therapiegruppe.« Andie sah sie irritiert an, also erzählte Ashley weiter: »Mir ist klargeworden, dass es nicht so weitergeht. Ich bin ja schließlich kein kleines Kind, das unsichtbare Monster sieht und dann schreiend davonläuft.« Sie stand auf: »Möchtest du etwas Schokoladeneis?«

»Soll dieses Eis den Frust beseitigen?«, fragte Andie unbehaglich.

Ashley schüttelte den Kopf: »Es ist zum Feiern. Fran und ich treffen uns nächste Woche mit der Gruppe. Ich bin schon richtig gespannt.«

»Auf eine psychiatrische Behandlung?« Andie stand ebenfalls auf und holte zwei Schüsseln aus dem Schrank für das Eis.

»Ich gehe in eine Selbsthilfegruppe, nicht zu einem Seelenklempner«, meinte Ashley und grinste von einem Ohr zum anderen.

»Ich kann verstehen, dass es dir besser geht. Glaub mir, eine Therapie wird dir nicht schaden, im Gegenteil, es wird nur noch besser«, sagte Andie und half Ashley beim Verteilen des Eis‘ in die Schüsseln. Sie wusste nur zu gut, wie hilfreich eine Therapie sein konnte und erinnerte sich für einen flüchtigen Moment an den Sommer, den sie fernab von Pacey in psychiatrischer Betreuung verbracht hatte. Zwar hatte sie sich danach ‚geheilt‘ gefühlt, dafür jedoch ihre Beziehung zu ihm den Bach runtergehen lassen, in dem sie ihm untreu geworden war und dumm genug, es ihm zu beichten. Sie hätte es ihm nie erzählen dürfen.

»Genau das habe ich mir auch gedacht.«

Andie legte ihren Löffel beiseite und sah sie an. Dann quiekte sie glücklich: »Ich bin so stolz auf dich.«

»Ich auf mich auch.« Ashley legte ebenfalls den Löffel weg und die beiden umarmten sich freundschaftlich.

~*~

Jack betrachtet sein Ebenbild im Spiegel, der von dem Dunst des Wassers beschlagen war. Mit zwei Fingern strich er das Wasser beiseite und rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken. Es hatte gut getan, nach dem Gespräch mit Doug einfach einmal abzuspannen und das warme Wasser auf seinem Körper gespürt zu haben.

Nach einer kurzen Weile, als sich Jack angezogen hatte, lief er die Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Er wollte nicht mehr darüber sprechen, was am Abend vorgefallen war. Er wollte einfach einen netten Restabend mit dem Mann verbringen, den er liebte.

»Doug?«, rief er auf dem Weg zum Wohnzimmer, doch er hörte keine Antwort

Langsam ging er ins Zimmer und sah Doug zusammengerollt auf der Couch schlafen. Jack lächelte und nahm ihm die Fernbedienung aus der Hand, um den Fernseher abzuschalten. Sanft legte er seinen Arm hoch und nahm eine Wolldecke, die unter seinen Füßen lag. Jack deckte ihn liebevoll zu und ging zum Kamin, um Feuer zu machen. Die Nacht über sollte es kalt werden und vor allem am Strand zog die Feuchtigkeit vom Meer gewiss ins Haus. Nachdem das Holz Feuer gefangen hatte, setzte er sich auf den Sessel gegenüber von Doug.

Er sah so friedlich und entspannt aus, wie er so dalag. Ein paar seiner dunkelbraunen Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht und sein Oberkörper hob sich leicht bei jedem Atemzug.

Er liebte Doug, daran hatte er keine Zweifel. Er war sich sicher, dass er sein ganzes Leben mit ihm verbringen wollte. Aber kann man ein Leben nicht miteinander teilen, ohne auf einem Papier verheiratet zu sein? Er war sich sicher, dass er alles für Doug tun würde und wenn es ihm so wichtig war zu heiraten, würde er auch dies tun. Jack wusste, dass es ihm wichtig sein musste und er war froh, dass er nun endlich zu seiner Homosexualität stand.

Vor ein paar Monaten war dies noch nicht so gewesen. Plötzlich wanderten seine Gedanken zu Grams. Er musste daran denken, wie sie alle vor Jahren in Potters B&B zusammengesessen hatten und sie erzählte, dass, wenn man jemanden liebte, man ihn Stunden lang einfach nur beim Schlafen beobachten konnte.

Sie hatte dies einmal erlebt und Jack wusste, dass er viel von ihr gelernt hatte. Tränen quollen aus seinen Augen, die er schnell wegwischte. Ihm fehlte Grams Weisheit und ihm fehlte Jen, die immer einen passenden Rat für ihn übrig gehabt hatte. Die Beiden hatten ihm in jeglicher Weise zur Seite gestanden und ihn immer bedingungslos geliebt.

Traurig blickte er zu Doug. Er wurde geliebt. Er hatte jemanden gefunden, der ihn wirklich liebte und der ihm immer zur Seite stand. Egal wo, egal wie und egal wann.

»Ich liebe dich, Doug«, murmelte er. Jack schloss die Augen und lauschte dem Knistern des Holzes im Kamin. Die Wärme umhüllte wohlig seinen Körper und Jack genoss das Gefühl, bis er ebenfalls einschlief.


Fade to black ...


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